Gelsenkirchen. „Totalverweigerer“ sollen härter sanktioniert werden. Dabei werden schon jetzt die wenigsten Bürgergeld-Empfänger mit äußersten Mitteln bestraft.
Die Ampel will bei „Totalverweigerern“ durchgreifen: Nachdem wochenlang über die Erhöhung des Bürgergeldes zum Jahresbeginn 2024 und über die Frage diskutiert wurde, wie sehr sich Arbeit in Deutschland noch lohnt, brachte das Bundeskabinett am 8. Januar die zweimonatige Komplettkürzung des Bürgergeldes für Arbeitsunwillige auf den Weg. Wie selten diese Maßnahme, die noch vom Bundestag verabschiedet werden muss, Anwendung finden wird, zeigt sich jedoch mit Blick auf die Zahlen in Gelsenkirchen. Denn hart sanktioniert werden schon jetzt nur die wenigsten.
Nach den geänderten Paragrafen des Bürgergeld-Gesetzes soll künftig bei „wiederholter Arbeitsverweigerung“, also nach einer bereits vorangegangenen Pflichtverletzung, für maximal zwei Monate der Leistungsanspruch in Höhe des Regelbedarfes entfallen, wenn eine zumutbare Arbeit nicht angenommen wird. Nicht herangegangen wird an die Kosten der Unterkunft, also die Übernahme von Miet- und Heizkosten durch das Jobcenter.
Nur „einige wenige“ Bürgergeld-Bezieher verweigern zumutbare Arbeit beharrlich
Jobcenter-Geschäftsführerin Anke Schürman-Rupp macht darauf aufmerksam, dass im Gesetzentwurf erkannt worden sei, dass nach Erfahrungen der Jobcenter nur „einige wenige“ Bürgergeld-Bezieher eine zumutbare Arbeit beharrlich verweigern. „Das ist auch im Jobcenter Gelsenkirchen so und zeigt sich an der weiterhin niedrigen Sanktionsquote.“ Nach Angaben von Schürmann-Rupp werden aktuell überhaupt nur 207 Menschen in Gelsenkirchen sanktioniert – was einer Sanktionsquote von gerade mal einem Prozent entspricht.
Viel höher war die Quote übrigens auch schon zu Hartz-IV-Zeiten, also vor 2023 nicht: Ende 2022 lag die Sanktionsquote in Gelsenkirchen bei 1,6 Prozent. Schon damals sagte Schürmann-Rupp, dass aus ihrer Sicht „das Thema Sanktionen im Kontext mit dem Bürgergeld zu hoch gehangen wird“.
Abgezogen werden können im Bürgergeld auch nach bisherigen Regelungen maximal 30 Prozent der Leistungen. Von den 207 sanktionierten Gelsenkirchenern müssen nach Angaben des Jobcenters jedoch fast alle (85,5 Prozent) nur eine zehnprozentige Leistungsminderung in Kauf nehmen. Zehn Prozent werden mit einer 20-prozentigen Kürzung sanktioniert – und lediglich 4,3 Prozent mit 30 Prozent.
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Die neue Möglichkeit der vorübergehenden Komplettkürzung ist laut Schürmann-Rupp als „ultima ratio“ gedacht, das heißt: Erst einmal müssten andere Sanktionsmöglichkeiten herangezogen werden. Das Gesetz allerdings spricht nicht explizit davon, dass man erst die 30-prozentige Kürzung durchlaufen haben muss, um voll sanktioniert zu werden. Im Grunde reicht auch schon die zehnprozentige Kürzung. Wesentlich ist aber, dass es sich um eine Pflichtverletzung aufgrund Weigerung, Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit gehandelt hat und nicht aus anderen Gründen (z.B. krasse Terminuntreue) sanktioniert wurde.
Hierzu hat das Jobcenter folgende Statistik: Im Zeitraum von Februar bis September 2023 kam es zu 137 Leistungsminderungen, weil Arbeit verweigert wurde. Für die Anzahl der Kunden mit einer dieser Leistungsminderungen wäre nach der neuen Regelung eine 100prozentige Kürzung des Bürgergeldes infrage gekommen.
Gelsenkirchener Jobcenter-Chefin: Neue Sanktionsmöglichkeiten für „Totalverweigerer“ können hilfreich sein
Keine besonders große Zahl. Dennoch sagt Schürmann-Rupp: Die neue Minderungsmöglichkeit bzw. der Hinweis darauf, dass es diese gibt, könnte in der Praxis durchaus hilfreich sein. „Sie kann dazu führen, dass die Kundinnen und Kunden wieder zur Zusammenarbeit bereit sind.“ In erster Linie werde mit ihnen jedoch „auf Augenhöhe“ gearbeitet, um gemeinsam Strategien zu erarbeiten, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Allerdings werden die Terminangebote dafür häufig verpasst oder geschwänzt. Wie eine Anfrage der WAZ Gelsenkirchen bereits im November zeigte, nimmt ein gutes Drittel der Kundinnen und Kunden gar keine Termine im Jobcenter mehr wahr. Dass diese Menschen dann nicht auch entsprechend schnell sanktioniert werden, begründete Schürmann-Rupp damit, dass der Weg zur Sanktion mit dem Bürgergeld weiter sei als noch bei Hartz-IV.
Dafür sollte das Bürgergeld mehr auf Arbeitsförderung setzen. Ein Instrument dafür: der „Bürgergeld-Bonus“. Warum die Ampel sich von diesem „Sonderbonbon“ aber schon wieder verabschieden will und welche Bedeutung es für die Jobcenter-Klienten in Gelsenkirchen hat, lesen Sie hier: Wer beim Bürgergeld ein „zusätzliches Bonbon“ erhält