Gelsenkirchen. Seit dem Hartz-IV-Ende werden eifrige Arbeitslose belohnt. Allerdings gibt es auch klare Schattenseiten. Was sich in Gelsenkirchen verändert hat.
Wenn Gelsenkirchens Jobcenter-Chefin Anke Schürmann-Rupp darüber spricht, was sich durch die Bürgergeld-Reform Anfang 2023 in ihrem Geschäft getan hat, dann bedient sie sich dem Bild der „Medaille mit den zwei Seiten“: Für die Tüchtigen, die Menschen die sich um die Integration in den Arbeitsmarkt bemühen, sei jetzt alles einfacher – aber auch für diejenigen, die sich eher weigern, mit dem Jobcenter zu kooperieren. „Die Kundinnen und Kunden, die unsere Angebote wahrnehmen, können wir jetzt besser unterstützen“, sagt Schürmann-Rupp. „Aber bei der Termintreue ist definitiv Luft nach oben.“
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Gerne haben politische Gegner der Bürgergeld-Reform mit der Lüge gearbeitet, dass das Ende von Hartz-IV auch das Ende der Sanktionierung von Arbeitsunwilligen bedeute. „Dabei kann es auch heute zu einer Leistungsminderung bis zu 30 Prozent des Bürgergeldes kommen“, sagt die Gelsenkirchener Jobcenter-Geschäftsführerin. Der Weg dahin sei allerdings wesentlich länger als zuvor – was für eine bestimmte Klientel offenbar ein Grund dafür ist, die Termine am Jobcenter eher platzen zu lassen.
Bürgergeld in Gelsenkirchen: Einfacherer Umgang, weniger Termintreue
In Zahlen bedeutet diese Zustandsbeschreibung: Die Sanktionsquote liegt aktuell noch niedriger als vor der Reform (laut Jobcenter 0,8 statt 1,2 Prozent der Bürgergeld-Empfänger in Gelsenkirchen). Gleichzeitig habe die Termintreue jedoch stark abgenommen – mittlerweile nehme ein ganzes Drittel der Kundinnen und Kunden keine Termine im Jobcenter wahr. Vor der Bürgergeld-Reform und vor Corona sei die Termintreue besser gewesen, so Schürmann-Rupp. Zahlen habe man dazu aber nicht erhoben.
Trotz der vielen geschwänzten Termine: Erfolgreich sei das Jobcenter Gelsenkirchen bei der Vermittlungsarbeit trotzdem, sagt die Geschäftsführerin. In Gelsenkirchen stehe man „seit Wochen auf den ersten Rängen bei der Vermittlungsquote“. Von Januar bis September habe man 4762 Arbeitslose in sozialversicherungspflichtige Jobs gebracht.
Hilfreich hierfür sei auch gewesen, dass seit dem Ende von Hartz IV weniger komplexe Eingliederungsvereinbarungen mit den arbeitslosen Menschen getroffen werden können. „Wir hatten vorher Vereinbarungen, bei denen die Kundinnen und Kunden erst einmal im Duden nachschauen mussten, um alles zu verstehen“, sagt Schürmann-Rupp. „Jetzt sind sie in einfacher Sprache, die jeder versteht.“ Auch auf eine Rechtsfolgebelehrung könne man nun zunächst einmal verzichten.
Nicht nur einfacher sei der Umgang mit den Menschen geworden, auch „wertschätzender“ könne man nun ihnen gegenüber agieren. Schürmann-Rupp macht das anhand des Weiterbildungsgeldes deutlich, das mit dem Bürgergeld eingeführt wurde. „Mit diesen Anreizen sollen die Menschen für Weiterbildung und Qualifizierung begeistert werden.“
Belohnungen für Weiterbildungen: Was das Bürgergeld Neues gebracht hat
Das Belohnungssystem ist dreistufig: Zuerst ist da der Bürgergeld-Bonus, der bei der Teilnahme an einer eher geringfügigen Weiterbildung („nicht abschlussorientiert“) gezahlt wird und 75 Euro monatlich beträgt. Wer bei einer „abschlussorientierten Weiterbildung“ mitmacht, kann 150 Euro zusätzlich bekommen. Der Betrag bleibt anrechnungsfrei, wird also ohne Abzüge aufs Bürgergeld gezahlt.
Wer eine Weiterbildung mit Abschluss in Angriff nimmt, bekommt für erfolgreiche Zwischen- und Abschlussprüfungen außerdem eine Weiterbildungsprämie, die bis zu 2500 Euro betragen kann (1000 Euro einmalig nach der Zwischenprüfung, 1500 Euro nach der Abschlussprüfung).
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Laut Schürmann-Rupp hat Gelsenkirchen bereits in 591 Fällen den „Bürgergeld-Bonus“ gezahlt, in 186 Fällen den Bonus für eine abschlussorientierte Weiterbildung und in acht Fällen die Weiterbildungsprämie. Wie sie das neue Anreizsystem bewertet? „Wir haben nicht den Eindruck, dass die Leute nur eine Weiterbildung machen, um das Geld zu bekommen“, sagt sie. „Aber es gibt einen Anreiz, in die Maßnahme einzusteigen, sie dann auch durchzuhalten und sich durchzubeißen.“
Man müsse berücksichtigen, dass viele Jobcenter-Kunden bildungsfern seien und lange keine Schulbank mehr gedrückt hätten. „Für sie hat das auch mit Mut zu tun, so einen Schritt zu gehen.“ Eine Statistik dazu, ob die Boni auch zu mehr Weiterbildungen geführt haben, konnte das Jobcenter auf Nachfrage nicht liefern.
In Gelsenkirchen betrug die Arbeitslosenquote im Oktober 12,5 Prozent (darunter 10 Prozent Bürgergeld-Empfänger und 2,5 Prozent im Arbeitslosengeld). In absoluten Zahlen sind das knapp 19.400 Arbeitslose im Bürgergeld und knapp 24.200 Arbeitslose insgesamt.
In einer früheren Version des Artikels hieß es, nur ein Drittel der Jobcenter-Kunden würden die Termine wahrnehmen, tatsächlich nehmen zwei Drittel die Termine wahr, ein Drittel jedoch nicht. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.