Gelsenkirchen. Bildungskatastrophe: Die SPD lud Eltern, Schüler und Politik zur gemeinsamen Lösungssuche. Wo Hamburg ein Vorbild für Gelsenkirchen sein kann.
An Grundschulen ist in Gelsenkirchen der Lehrkräftemangel bekanntlich besonders groß, der Integrationsbedarf angesichts eines extrem hohen Anteils von zugewanderten Kindern ebenfalls. Dies nahm die Gelsenkirchener SPD zum Anlass, zu einer Podiumsdiskussion ins Paul-Loebe-Haus einzuladen. Ein Abend mit dramatischen Diagnosen und vielseitigen Blickwinkeln auf die drängenden Schulthemen.
Nicht nur Genossinnen und Genossen, sondern auch zahlreiche Eltern folgten der Einladung. Sie waren auch aufgefordert, eigene Fragen und Vorschläge ans Podium weiterzureichen. Auf dem Podium saßen Elternsprecherin Daniela Isopp, der stellvertretende Schülerschaftssprecher Jan Albert Plaumann (Oberstufenschüler an der Evangelischen Gesamtschule), die SPD-MdL Christin Siebel und NRW-SPD-Bildungsexperte Jochen Ott sowie GEW-Vorsitzender Lothar Jacksteit (CDU) und OB Karin Welge.
Moderator Norbert Kiesow nannte zum Auftakt Fakten: 174 unbesetzte Lehrerstellen an Gelsenkirchener Grundschulen, die allermeisten arbeiten mit Stellenbesetzungen von 60 bis 70 Prozent. Abordnungen fangen das Nötigste auf.
Elternsprecherin: „Unterrichtsausfall ist die Regel, Klassen werden zusammengelegt“
Daniela Isopp schilderte anschließend die verheerende Situation: „Lehrer und Eltern sind am Limit. Es gibt neben den unbesetzten Stellen Dauerkranke und hohe Akutkrankenstände. Stundenausfall ist die Regel, Klassen werden zusammengelegt, auch Distanzunterricht kommt vor, weil nur acht von 20 Lehrkräften da sind.“
Lothar Jacksteit bestätigte die dramatische Situation: „Ohne Abordnungen wäre es nicht möglich, für jede Klasse eine eigene Klassenleitung einzusetzen.“ Die Einschätzung des Bedarfs an Abordnungen vom Schuljahresbeginn seien aber jetzt schon überholt. „Wenn Lehrkräfte merken, dass sie mangels Personal den Kindern nicht gerecht werden können, drohen Ohnmachtsgefühle bis hin zum Burn-out. Die Folge: noch mehr Ausfall,“ blickt er in die Zukunft. Die GEW spricht schon lange von einer Bildungskatastrophe.
Gefragt nach Lösungsmöglichkeiten, forderte Jochen Ott zunächst die Neuaufstellung der Bildungsfinanzierung mit festen Zuständigkeiten für Land und Kommune. Er fordert, alle Nachwuchskräfte nach dem Referendariat für fünf Jahre zur Arbeit an Brennpunktschulen zu verpflichten, wo der Bedarf am größten ist. Die Erfahrung zeige, dass wenn die Lehrkräfte einmal da seien, diese auch gern blieben. „Die Arbeit an Schulen mit intellektuellen Eltern ist nicht leichter. Und wenn die Lehrkräfte bemerken, was sie an Brennpunktschulen bewirken können, ist das auch für sie deutlich befriedigender.“
MdL: „Ein echter, schulscharfer Sozialindex muss die Verteilung des Personals sichern“
Wie wirkungsvoll das sein könne, zeige sich in Hamburg, wo an Brennpunktschulen maximal 17 Kinder je Klasse lernen. Ein wirklich schulscharfer Sozialindex müsse die entsprechende Verteilung des Personals sichern. Zudem müsse die Stadt an Brennpunktschulen Familienzentren installieren, um Eltern und deren Unterstützung durch Entlastung zu ermöglichen. „In Gelsenkirchener Grundschulen lernen bis zu 30 Kinder in einer Klasse“, erläuterte Daniela Isopp – und bisweilen auch mehr. Sie forderte, bei Planungen und Minister-Besuchen die Eltern einzubeziehen. „Wir machen doch Integrationsarbeit, helfen Klassenfahrten vorzubereiten und mehr.“ Stadtteilbezogene Runde Tische in diesem Sinne einzurichten, Schule in den Stadtteil zu öffnen – der Wunsch danach kam an dem Abend aus dem Publikum.
+++ Sie wollen keine Nachrichten aus Gelsenkirchen verpassen? Dann können Sie hier unseren kostenlosen Newsletter abonnieren +++
Karin Welge appellierte an den Gemeinsinn aller im Land: „Wir brauchen jedes Kind. Und nicht nur wir in Gelsenkirchen profitieren von gut ausgebildeten Kindern, sondern auch andere Kommunen.“ Nicht alle würden nach der Ausbildung erfahrungsgemäß in Gelsenkirchen bleiben. Bei den Familienzentren, die Schulen in den Stadtteil öffnen, sei Gelsenkirchen vorangegangen. Das Land forderte sie auf, den Fächerkanon zu überprüfen und sich auf die Basiskompetenzen zu fokussieren.
Bezirksregierung löst Internationale Förderklassen an Grundschulen auf
Das zweite Thema – Integration – ist in Gelsenkirchen ein besonders drängendes. 67 Internationale Förderklassen gibt es derzeit, davon elf in Grundschulen, die aktuell von der Bezirksregierung schrittweise aufgelöst und in Regelklassen überführt werden. Ohne vernünftiges Sprachförderkonzept könne Integration angesichts des hohen Anteils von nicht deutsch sprechenden Kindern aber nicht funktionieren, mahnten die OB und Ott gleichermaßen.
Neben dem Drängen auf Respekt – gegenüber Frauen im Lehramt nicht überall die Regel – und dem Einhalten von Regeln müsse darauf geachtet werden, dass die Last nicht nur von unteren und mittleren Schichten getragen werde, mahnte Ott in Bezug auf Stadtteile und Schul(form)en. Dabei habe er „großes Verständnis für Eltern, die ihre Kinder in einem anderen Stadtteil anmelden, um die Bildungschancen ihrer Kinder zu steigern“. Trotz der verheerenden Auswirkungen, die die Konzentration Nicht-Deutsch-Sprechender an einigen Standorten weiter verschärft.
- Lesen Sie dazu auch:Schulen in Not: Gelsenkirchen steht vor monströsen Aufgaben – die Lage
Offene Wunde: Die Sicherung des Offenen Ganztags
Beim Thema „Offener Ganztag“ gab es sehr großen Gesprächsbedarf bei den Eltern. Zu wenig und zu kleine Räume, Unsicherheit wegen Klagen der Träger über zu hohe Kosten bei zu geringer Bezahlung und drohender Einschränkung der Betreuungszeiten. Das Thema stand jedoch nicht auf der Agenda, wurde aufgrund von Zeitmangel kaum behandelt.
Gemischt waren die Meinungen zur digitalisierten Schule. Zwischen „Riesenchance“ (Ott) und „für Erstklässler ungeeignet, da geht es bei den Kleinsten ums Schreiben lernen und Motorik geht“ (Isopp) reichte das Spektrum. Plaumann sah die Gefahr, dass „schwächere Schüler sich dazu verlocken lassen, die Hausaufgaben Chat GPT machen lassen und so den Stoff nicht wirklich lernen“.
Der Gesprächsbedarf bei Eltern und Schülern war eindeutig. Die Gelsenkirchener SPD plant nun eine weitere Podiumsdiskussion zur Situation von Schulen. Dann soll es um weiterführende Schulen gehen.