Gelsenkirchen. Finanz-Schock in Berlin: Gelsenkirchen sorgt sich jetzt, noch mehr alleine gelassen zu werden. So hält SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert dagegen.

Das „Ja“ kommt schnell aus Kevin Kühnert herausgeschossen. Wird der laute Hilfeschrei des armen, so gebeutelten Gelsenkirchens, in der die gesellschaftliche Stimmung längst zu kippen droht, überhaupt noch gehört, dort bei der politischen Elite in Berlin? „Wird er“, sagt der SPD-Generalsekretär sofort. Die schwierige Situation sei ihm und der Partei „vollumfänglich bewusst“, dafür mache man genug Termine vor Ort. „Bei einer Stadt, in der es strukturell seit langem schon kaum Handlungsspielräume finanzieller Art gibt, ist natürlich klar, dass der Unmut steigt, weil die Stadtpolitik gar nicht mehr reagieren kann auf die Defizite.“ Aus dem Dilemma heraussparen könne man sich aber auch nicht. Deswegen, so Kühnert am Dienstagabend (21. Nov.) am Rande eines Besuchs in Gelsenkirchen, plädiere man als SPD ja auch seit langer Zeit dafür, Kommunen wie Gelsenkirchen von ihren Altschulden zu befreien.

Aber sind genau solche Programme jetzt nicht auf einen Schlag völlig unrealistisch geworden? Steht nicht überhaupt alles plötzlich finanzpolitisch zur Debatte?

Kühnert ist im Ruhrgebiet, als gerade ein politisches Erdbeben das Land erschüttert. Das historische Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima-Fonds reißt ein Milliarden-Loch in den Haushalt des Bundes. Eine Erschütterung mit einer solchen Magnitude ist auch in Gelsenkirchen noch gut zu spüren. Hier macht man sich Sorgen, dass man nun erst recht weitere finanzielle Entlastungsprogramme aus Berlin vergessen kann, wo die Ampel-Regierung damit beschäftigt sein wird, ihre eigenen Haushaltslöcher irgendwie zu stopfen. Welche Zusagen brauchen arme Kommunen wie Gelsenkirchen, um in einer solchen Ausnahmesituation nicht vergessen zu werden?

Kevin Kühnert (SPD): Der Gürtel muss nicht enger geschnallt werden

„Für uns ist politisch ganz klar: Karlsruhe hat nur darüber geurteilt, wie wir nicht mehr mit dem Klima- und Transformationsfonds umgehen dürfen“, so Kühnert gegenüber der WAZ im Anschluss an ein Informationsgespräch zur Trauerbegleitung in Gelsenkirchen-Ückendorf.

„Karlsruhe hat nicht gesagt, der Sozialstaat in Deutschland sei zu fett, Karlsruhe hat nicht gesagt, wir müssten ganz viel sparen in Deutschland. Deswegen widersprechen wir allen deutlich, die jetzt sagen, der Gürtel müsse enger geschnallt werden, der Sozialstaat müsse abgebaut werden, Investitionen könnten nicht mehr getätigt werden.“ Für Kühnert und die SPD wäre dies nun „genau das falsche Zeichen“. „Denn wir haben schon viel zu viel Zeit verstreichen lassen, wir schieben einen Rückstau an Investitionen vor uns her.“ Gerade in den Strukturwandelregionen im Ruhrgebiet könne man die Ergebnisse an vielen Stellen sehen.

Das heißt also: Er ist nicht da, der Gnadenstoß für den so lang erwarteten Altschuldenschnitt, der eigentlich im Koalitionsvertrag der Ampel festgehalten wurde und Kommunen wie Gelsenkirchen die Möglichkeit geben sollte, sich von der Zinslast ihrer sogenannten Liquiditätskredite zu befreien?

Diskussionsrunde im Saal der Paul-Gerhard-Kirchengemeinde in Gelsenkirchen-Horst (v.li): SPD-Fraktionsvize Lukas Günther, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, SPD-Landtagsabgeordnete Christin Siebel und Moderator Marius Rupieper. 
Diskussionsrunde im Saal der Paul-Gerhard-Kirchengemeinde in Gelsenkirchen-Horst (v.li): SPD-Fraktionsvize Lukas Günther, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, SPD-Landtagsabgeordnete Christin Siebel und Moderator Marius Rupieper.  © WAZ | Gordon Wüllner-Adomako

„Aus unserer Sicht nicht“, so Kühnert. „Ich erwarte da Vertragstreue. Das, was bis vor einer Woche gemeinsam in der Regierung verabredet war, ist mit dem Urteil aus Karlsruhe nicht unwirksam geworden. Die Probleme, die wir identifiziert haben, sind ja nicht weg, nur weil Karlsruhe uns Hausaufgaben zum Thema der Finanzierung mitgegeben hat“, meint der Generalsekretär. Das Bundesverfassungsgericht habe keine „Naturgewalt“ über die Politik kommen lassen, wegen der eine Befreiung der Kommunen von ihren belastenden Altschulden nicht mehr möglich sei.

Gelsenkirchen: Wie eine Bar mit nur zwei Getränken

Ob der Koalitionspartner der FDP, die nicht als großer Unterstützer der Altschuldenlösung gilt, das genauso sieht? „Das ist jetzt Politik, diese Diskussion zu führen“, sagt Kühnert im Anschluss ans WAZ-Gespräch in einer Diskussionsrunde mit Parteikollegen Lukas Günther (Vize der Gelsenkirchener Ratsfraktion) und Christin Siebel (Landtagsabgeordnete) und macht bildlich deutlich, worum es jetzt in einer Stadt wie Gelsenkirchen geht, die bald wieder eine Haushaltssicherungskommune werden könnte.

In einer so klammen Kommune habe man nur noch den politischen Spielraum, um zwischen Straßennamen zu unterscheiden – Maßnahmen eben, die kaum Geld kosteten. Wie eine Bar sei das, in der man nur noch zwei langweilige Getränke anbieten könne: Mineralwasser mit Sprudel oder ohne Sprudel. „In so eine Bar aber geht keiner rein, da sagt man: Kannst du zumachen den Laden.“ Wer über finanzielle Spielräume von Kommunen spreche, rede also nicht über politische Wünsche, deren Umsetzung ganz schön wären – sondern über das Funktionieren von Demokratie. „Es geht darum, dass der Wettbewerb der Ideen nur stattfinden kann, wenn es irgendetwas gibt, womit der Wettbewerb noch betrieben werden kann.“