Gelsenkirchen. Harte Ansagen richten Stadt und Politik an Grabeland-Pächter in Gelsenkirchen-Bismarck. Die aber fühlen sich „unverschämt“ behandelt.

Wie hart sollte die Stadt Gelsenkirchen mit Menschen umgehen, die jahrelang städtische Grundstücke gepachtet und gepflegt, aber auch intensiver genutzt haben als vorgesehen? Es ist eine Frage, die von Stadt und Politik klar beantwortet wird, wie sich jetzt in Bismarck zeigt. „Unverschämt“ und „ungerecht“ finden das aber die betroffenen Pächter. Willkommen an der Bickernstraße in Bismarck.

Der Hilferuf kam im Mai. Da gingen Heike Borkowski und Wolfgang Hasenbeck an die Öffentlichkeit, um ein neues Heim für ihre Tiere, ihre Ziegen, Singvögel und Katzen zu finden. Hier, unweit der Kanal- und Bickernstraße, da hatten sie für sich und die Tiere vor Jahrzehnten auf 1500 Quadratmetern einen großen Garten angelegt, dazu eine Laube aufgestellt. Aber bis zum 30. September müssen Borkowski, Hasenbeck und die Tiere verschwunden sein. So wie zahlreiche Pächter hier.

Denn: Bei der Fläche handelt es sich um sogenanntes Grabeland, das von der Stadt nur befristet verpachtet wird, also „vorgehalten wird, um zukünftige stadtbauliche Ziele umzusetzen“, erläuterte Iris Schubert vom Liegenschaftsamt in der vergangenen Bezirksvertretung (BV) Mitte. Dort machten die Grünen das Grabeland noch mal zum Thema.

Stadt Gelsenkirchen: „Wir haben einen Acker verpachtet und brauchen einen zurück“

In den Pachtverträgen stehen kurzfristige Kündigungsfristen. Bebaut werden darf die Fläche deshalb eigentlich nicht, sogar sind „im Grabeland nur einjährige Pflanzen erlaubt, wie etwa Möhren“, erläuterte Iris Schubert. Allerdings seien in Bismarck „Wochenendresidenzen mit allem Drum und Dran“ entstanden, „wir haben da sogar kleine Zoos“, sagte die Verwaltungsmitarbeiterin – und nahm augenscheinlich Bezug auf Borkowskis Ziegen und Vögel. Solche „illegalen“ Bauten seien nicht tolerierbar. „Das hat sich über Jahrzehnte verfestigt, ist aber nicht rechtmäßig.“ Schuberts Vorgesetzter Meik Engel brachte es wie folgt auf den Punkt: „Wir haben einen Acker verpachtet und brauchen einen Acker zurück.“

So sah die Grabeland-Idylle von Wolfgang Hasenbeck und Heike Borkowski in Gelsenkirchen-Bismarck im Mai 2023 aus. Mittlerweile ist die Laube niedergebrannt.
So sah die Grabeland-Idylle von Wolfgang Hasenbeck und Heike Borkowski in Gelsenkirchen-Bismarck im Mai 2023 aus. Mittlerweile ist die Laube niedergebrannt. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Ähnlich kompromisslos bewertete die Politik die Situation in der BV, vor allem der Fraktionsvorsitzende der SPD, Lothar Urban. „Das ist ein klassischer Fall, wo man Dinge geduldet hat, die nicht in Ordnung sind“, formulierte er Richtung hilfesuchender Pächter wie Borkowski. „Ich möchte nicht, wenn die heruntergeschmissen werden, angerufen und gebeten werden, ich solle mich darum kümmern, dass die dableiben dürfen. Nein! Da hatten die noch nie ein Recht zu.“ Dass hier Stromkabel verlegt und Tiere gehalten wurden, Aufbauten entstanden seien, das sei nun einmal falsch. „Die Leute wissen, dass die das nicht dürfen. Und da kann ich politisch auch nicht helfen.“

Grabeland-Pächter in Gelsenkirchen Bismarck: „Wir wurden abgekanzelt“

Heike Borkowski verfolgte die Debatte von der Zuschauertribüne im Ratssaal aus – mit steigendem Blutdruck. Dargestellt habe sie sich gefühlt „als wenn ich kleine Kinder fressen würde.“ Aus ihrer Sicht hat sie das Grundstück 30 Jahre lang gepflegt, der Stadt damit einen Dienst erwiesen. Auch die weidenden Ziegen seien wie Landschaftspfleger gewesen. Außerdem: „Das Grundstück war 1500 Quadratmeter groß. Wie hätte man das alles bewirtschaften sollen mit einjährigen Pflanzen?“ Nun, da ist sie sich sicher, werde aus dem Acker eine Müllhalde, ein weiterer Abladeplatz für illegalen Unrat in Gelsenkirchen. So wie früher.

Denn vollgemüllt gewesen sei das Gelände auch vor über 30 Jahren. Entsorgt hätten Borkowski und ihr Mann alles auf eigene Faust. „Die Stadt will das Gelände so wiederhaben wie es einst war? Dann müsste man hier eigentlich drei Müllcontainer hinkippen.“ Zuvorkommend sei die Stadt dagegen 1989 gewesen. „Damals hat man uns dabei unterstützt, hier mit den Tieren hinzuziehen“, behauptet Borkowski. Und nun? „Wurden wir so abgekanzelt.“

Die Grabeland-Ziegen im Mai 2023. Eine von ihnen ist mittlerweile verstorben.
Die Grabeland-Ziegen im Mai 2023. Eine von ihnen ist mittlerweile verstorben. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Die „städtebaulichen Ziele“, wegen der den Pächtern jetzt gekündigt wurde, sind übrigens ein alter Schuh. 2015 wurden in der Politik schon Beschlüsse für eine künftige Wohnbebauung am Standort gefasst. Damals stimmte man einem sogenannten Qualifizierungsverfahren zu, bei dem unter Einbindung von Fachleuten die bestmögliche Lösung für einen Standort gefunden werden sollte. Dann aber hörte man jahrelang nichts über die Pläne – die jetzt wieder aufgegriffen werden.

Wohngebäude sollen immer noch entstehen. „Wann mit der Vermarktung begonnen werden kann, ist aber noch nicht absehbar“, so die Stadt. Peter Röttgen, Bezirksfraktionsvorsitzender der CDU kommentierte die langatmigen Planungen am Acker in der BV leicht hämisch mit den Worten: „Vielleicht könnte man eine Schule bauen, dann wären wir da, glaube ich, schneller.“

Ziegen sind im Schloss Wittringen in Gladbeck untergekommen

Die alten Pächter sind verärgert, die Wohnbebauung liegt noch in weiter Ferne – aber positive Neuigkeiten gibt es immerhin, was einen Teil der Tiere von Heike Borkowski angeht. Zwei Ziegen seien mittlerweile über Kontakte einer Tierärztin im Streichel-Zoo am Schloss Wittringen in Gladbeck gelandet. Um die Singvögel kümmere sich jetzt ein Bekannter. Und den Katzen könnten Borkowski und ihr Mann bald in ihrem neuen Garten viel Freiraum bieten. Umziehen würden die beiden bald in eine „nette Parterrewohnung“, die sie durch einen „Glücksfall“ gefunden hätten.

Borkowskis Hund hat keine Möglichkeit mehr, im neuen Garten zu toben. Er ist mittlerweile verstorben – „Rauchvergiftung“, sagt Borkowski. Denn an der Bickernstraße hat es von Februar bis Anfang September ganze neun Mal gebrannt, wie die Feuerwehr auf Nachfrage bestätigt. Ob es auch illegale Abrissversuche eines gekündigten Pächters waren, lässt sich nur spekulieren. Schwere gesundheitliche Folgen durch die Brände vermutet Borkowski auch hinter dem Schicksal ihrer dritten Ziege. Auch sie sei mittlerweile nicht mehr am Leben.

Die Laube des Ehepaars fiel dem Feuer ebenfalls zum Opfer. Abgebrannt sind auch viele andere Lauben. Reste von ihnen stehen noch auf dem Acker. Ob alles bis zum 30. September entfernt sein wird? Die Stadt jedenfalls ist schon sicher: „Die Frist wird nicht ausreichen.“ Man stelle sich auf Räumungsklagen ein.