Gelsenkirchen. Regelmäßig entstehen illegale Müllkippen in Gelsenkirchen. Oft an selber Stelle. Warum Behörden bei der Überwachung solcher Orte bislang zögern.
Peter Lindtner ist stinksauer auf die Stadt. Der Wanderwart des Gelsenkirchener Kanu-Clubs wirft der Verwaltung Tatenlosigkeit und Desinteresse vor, Probleme aktiv anzugehen. Grund für den Ärger ist illegaler Müll. Bereits „zum zehnten Mal“ innerhalb eines Jahres haben unbekannte Täter Berge von Altreifen auf einer Wiese vor dem Verein am Rhein-Herne-Kanal „in die geschützte Landschaft gekippt“. Rund um das nahe Resser Wäldchen, dem Forststützpunkt Emscherbruch und Pendlerparkplatz Münsterstraße hat sich ein regelrechter Mülltourismus eingestellt – nachts werden heimlich mitunter Tonnen an Abfall abgeladen.
Was passiert seitens der Stadt, fragt Lindtner erbost? Müll werde gemeldet, von ihm, vom Verein, und dann abgeholt. „Weiter nichts, es werden nur Gründe angeführt, warum nicht gehandelt werden kann, aber keine Handlungsansätze zur Verhinderung auch nur angedacht“. Lediglich auf die Mülldetektive werde hingewiesen, die faktisch nichts erreichten, weil deren Arbeitszeit keinerlei Schnittmenge mit denen der Müllsünder habe. Lindtners Verdacht: „Ein echtes Interesse an der Überführung und Aufdeckung ist gar nicht vorhanden, weil es erstens zu aufwendig und zweitens vielleicht auch mit einem Risiko der Nachtarbeit verbunden ist, von dem fehlenden Mut, sich den Verursachern gegenüber zu stellen, spreche ich gar nicht.“
Kameraüberwachung für neuralgische Müll-Punkte in Gelsenkirchen gefordert
Lindner fordert eine schärfere Überwachung solch neuralgischer Stellen, am besten mit Kameras. Ansprüche, denen Stadt und Polizei ablehnend gegenüberstehen. Auch der RVR äußert sich skeptisch.
„Eine 24/7 Überwachung diverser Standorte, auf den Verdacht hin, dass dort möglicherweise etwas abgelegt wird“, rechtfertige aus Sicht der Stadt „nicht den notwendigen Personalaufwand, der ja dann an anderer Stelle fehlt“, teilt Stadtsprecher Martin Schulmann auf Anfrage mit.
Auch die Möglichkeit, wiederkehrende illegale Müllkippen nach dem Vorbild von Spielplätzen und Schulhöfen in Gelsenkirchen mit Künstlicher Intelligenz (KI), Sensor- und Abschreckungstechnik (grelles Licht, evtl. Durchsagen) auszustatten, schließt die Stadt zum einen wegen des „technischen Aufwandes“ aus. Und zum anderen: „Eine Wiese zu überwachen, rechtfertigt diesen auch hohen finanziellen Aufwand nicht.“
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Der Kameraüberwachung im öffentlichen Raum stehen zudem hohe datenschutzrechtliche Hürden gegenüber. Nach höchstrichterlicher Lesart stellt sie einen „schwerwiegenden Grundrechtseingriff“ dar, der nur gerechtfertigt ist, wenn eine solche Überwachung Aufklärung oder der Verhinderung schwerster Straftaten dient. Also bei Gefahr für Leib und Leben. Umweltdelikte erreichen diese Stufe laut Polizeibehörde nicht.
„Um Straftaten handelt es sich erst, wenn die Abfälle zum Beispiel gefährliche Gifte enthalten, explosionsgefährlich sind oder ein Gewässer nachhaltig verunreinigen könnten“, so Polizeisprecherin Merle Mokwa. Alles andere falle unter die Rubrik Ordnungswidrigkeit/illegaler Müll, für die die Stadt zuständig sei. Die Behörde kündigte an, neuralgische Stellen im Stadtgebiet verstärkt kontrollieren zu wollen.
Der Heinrich-König-Platz in der Innenstadt war beispielsweise schon einmal in der Diskussion zur Kameraüberwachung – heute wie damals ist der Bereich aus Sicht der Polizei kein Kriminalitätsschwerpunkt, der die Voraussetzungen für eine solche Maßnahme erfüllen und rechtfertigen würde.
Kameraüberwachung gibt es trotzdem – an Orten mit hohem Gefährdungspotenzial. Dazu gehören vor allem Orte des öffentlichen Personennahverkehrs, also Bus- und Bahnhöfe, Flughäfen oder auch Fußballstadien.
Gewerkschaft der Polizei: Es fehlt dann auch Personal
Aus einem Positionspapier der Gewerkschaft der Polizei (GdP) geht hervor, dass sie Videoüberwachung unter den genannten Gesichtspunkten als „polizeilich sinnvoll“ erachtet. Eine flächendeckende Überwachung von Stadtteilen ohne Berücksichtigung spezieller Gefährdungsbeurteilungen lehnt die GdP allerdings ab.
Die denkbare Ausweitung der Videoüberwachung auf weitere gefährliche Orte setzt laut GdP zudem voraus, „dass das Bildmaterial auf Polizeiwachen übertragen wird, wo genügend Kräfte vorhanden sein müssen, die sowohl angemessen intervenieren als auch strafverfolgend wirken können. Dafür ist zusätzliches Personal notwendig.“ Gerade erst hat Innenminister Herbert Reul die Planungen für die 47 Kreispolizeibehörden veröffentlicht, demnach erhält Gelsenkirchen gerade einmal 5,5 Stellen mehr.
„Es macht keinen Spaß mehr, gegen Windmühlen aufseiten der Täter und der verantwortlichen Stellen zu kämpfen.“
Der Regionalverband Ruhr (RVR) und sein Eigenbetrieb Ruhr Grün „sind nachhaltig verärgert über die illegalen Müllabladungen in unserem Forstgebiet in Gelsenkirchen“, teilt RVR-Sprecher Jens Hapke mit. Daher kontrollierten Mitarbeiter und die Revierleitung die Brennpunkte mittlerweile auch in Randzeiten – bisher ohne Erfolg. Kameraüberwachungen im Freiraum führt RVR Ruhr Grün in seinen Waldgebieten, die im gesamten Ruhrgebiet verteilt sind, aber nicht durch.
Was Kameras filmen dürfen
Wer sich mit dem Gedanken trägt, Kameras an Haus und Hof anzubringen, muss wissen, dass diese nur sein Eigentum, also sein Grundstück filmen dürfen, nicht aber öffentlichen Grund. Die Kamera an der Haustür darf beispielsweise den Vorgarten im Blick haben, nicht aber den öffentlichen Gehweg vor der Tür oder die Straße.
Zur Vermeidung von Schäden durch Diebstahl und Vandalismus darf der Inhaber eines Supermarktes seine Geschäftsräume überwachen. Dafür kann er einen Detektiv engagieren oder ein Videoüberwachungssystem installieren.
Ob Aufnahmen von Wildtierkameras, die im öffentlichen Raum zufällig Straftaten aufgenommen haben, in einem Gerichtsverfahren als Beweismittel eingebracht und zugelassen werden, entscheiden im Einzelfall die zuständigen Staatsanwaltschaften und Gerichte.
Um Hinweise von Zeugen, die Personen bei der illegalen Müllablagerung beobachten, kümmert sich die Polizei oder leitet sie an die zuständige Stadt weiter.
Peter Lindtner vom Kanu-Club kann mit diesen Antworten wenig anfangen. „Unsere pädagogische Arbeit mit Jugendlichen zum Naturschutz wird durch die Täter und das Nichthandeln der zuständigen Stellen in geradezu beeindruckender Weise zerstört. Es macht keinen Spaß mehr, gegen Windmühlen aufseiten der Täter und der verantwortlichen Stellen zu kämpfen.“