Gelsenkirchen. Die Ampel plant Neues bei der Förderung junger Arbeitsloser. In Gelsenkirchen hat man „noch nie ein Gesetz erlebt, das so auf Ablehnung stößt“.
Wird Gelsenkirchen von der Bundesregierung bei dem großen Problem der Jugendarbeitslosigkeit alleine gelassen, indem funktionierende Strukturen ohne Not zerschlagen werden? Von Gewerkschaften bis politischen Fraktionen über Arbeitgebervertretern und Wohlfahrtsverbänden wird Alarm geschlagen aufgrund der Ampel-Pläne zur neuen Aufgabenverteilung von Jobcenter und der Arbeitsagentur. Und auch die Stadtverwaltung selbst geht jetzt mit Druck nach vorne: „Ich habe noch nie ein Gesetzesvorhaben erlebt, das auf so eine Ablehnung gestoßen ist“, betonte Sozialdezernentin Andrea Henze jetzt gegenüber der WAZ.
Bei den vielkritisierten Plänen geht es um Folgendes: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plant, junge Menschen unter 25 Jahren künftig nicht länger vom Jobcenter, sondern von den Arbeitsagenturen betreuen zu lassen. Der Grund: Heil muss sparen. Durch die Umstrukturierung sollen über 800 Millionen Euro aus seinem Etat gekürzt werden können. Denn die Leistungen zur Arbeitsförderung im U25-Bereich würde so künftig nicht mehr direkt über den Staatshaushalt, sondern über die Beitragsmittel der Arbeitslosenversicherung finanziert werden.
7200 junge Erwachsene in Gelsenkirchen betroffen von vielkritisierten Ampel-Plänen
Michael Grütering, Geschäftsführer der Arbeitgeberverbände Emscher-Lippe, nennt das Vorhaben einen „Taschenspielertrick“. Es handle sich um keine Einsparung von Mitteln, sondern lediglich um eine Verschiebung von einem steuerfinanzierten Bereich in einen beitragsfinanzierten. „Dadurch werden jetzt die Unternehmen und Beschäftigten belastet. Nur diese beiden Gruppen werden diese Verschiebung bezahlen“, so Grütering. Ob der Beitrag von mehr als 800 Millionen Euro ohne Beitragserhöhung finanziert werden könnte, sei obendrein fraglich.
Sozialdezernentin Henze, selbst Mitglied der SPD, ärgert zudem, dass diese Verschiebung „ohne eine plausible fachliche Begründung“ erfolgt. Statt durch die neue Aufgabenverteilung etwas zu verbessern, sei viel mehr absehbar, dass man bei der Förderung junger Arbeitsloser nicht mehr auf lokale Herausforderungen reagieren könne. Und diese sind in Gelsenkirchen enorm: Fast jeder dritte Azubi in der Emscherstadt bricht seine Ausbildung ab, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei etwa zwölf Prozent und fast acht Prozent der jungen Menschen verlassen die Schule ohne Abschluss. Andrea Henze spricht von insgesamt rund 7200 jungen Erwachsenen, die – Stand jetzt – von den Ampel-Plänen betroffen wären.
Ampel-Pläne sorgen für Protest in Gelsenkirchen: „Eingriff in unsere Selbstverwaltung“
Dass die Arbeitsagentur weniger angebunden an den Städten ist als das Jobcenter liegt daran, dass die Jobcenter, wie in Gelsenkirchen, entweder in städtischer Trägerschaft sind oder, wie in Essen, sogar ein Amt der Verwaltung darstellen. Die Stadtverwaltung hat beim Jobcenter also viel mehr Mitspracherecht. Mit einer Umstellung, das befürchtet Henze, würden wichtige Entscheidungen dann vornehmlich in Nürnberg an der Agentur-Zentrale getroffen. „Das würde einen Eingriff in unsere Selbstverwaltung, in unsere Steuerungsfähigkeit darstellen“, sagt sie.
Hinzukommt, dass die Ausschreibung für Projekte zur Arbeitsintegration junger Leute dann bundesweit erfolgen müssten. Es müssten dann nicht mehr die örtlichen Wohlfahrtsverbände sein, die sich mit ihren Ansprechpartnern vor Ort um die jungen Menschen kümmern. „Wir haben hier ein gefestigtes Netz, das man ohne Not auseinanderreißen würde“, betont Henze. Irritiert ist sie auch, weil durch die Einführung des Bürgergelds zu Beginn des Jahres doch eigentlich eine „Hilfe aus einer Hand“ versprochen wurde. „Nun aber wird diese Hilfe wieder aufgebrochen.“
Aktuell läuft es so: Ein junger Mensch, der erstmals in den Arbeitsmarkt integriert wird, wird komplett beim Jobcenter versorgt. Dort läuft derzeit die Förderung genauso wie die Bearbeitung der Leistungen. Künftig müsste er für ersteres zur Arbeitsagentur und für letzteres zum Jobcenter. Sollte man es für diese Gruppe wirklich noch komplizierter machen, fragen sich Henze und Grütering.
Neues Gesetz: „Ein Schlag für die Arbeit mit Jugendlichen in Gelsenkirchen“
Die behördliche Umstellung würde zudem Zeit kosten – Zeit, die man nicht habe, betont Henze. Zwei bis drei Jahre würden sicher vergehen, um die Aufgaben komplett umzustellen. Das heiße auch: Zwei bis drei Schulabgängerjahren könne man in dieser Übergangszeit möglicherweise nur eine eingeschränkte Förderung ermöglichen. „Und das, obwohl wir beim bisherigen System schon genug Probleme haben“, sagt Henze. Auch Grütering wird deutlich: „Wir werden junge Menschen auf diesem Weg verlieren.“
„Das wäre ein Schlag für die Arbeit mit Jugendlichen und die Integration in den Arbeitsmarkt“, warnt auch DGB-Regionsgeschäftsführer Mark Rosendahl. Er schätze Hubertus Heil normalerweise sehr, sagt der Gewerkschafter. „Er hat viel Gutes in den letzten Jahren auf den Weg gebracht. Aber das hier, das sind wirklich ganz schlechte Pläne.“ Man dürfe auch nicht davon ausgehen, dass alle Beschäftigten der Jobcenter, die mit der U25-Förderung beschäftigt seien, dann einfach in die Bundesagentur wechseln. „Es wird da Reibungsverluste geben beim Übergang der Personals“, ist Rosendahl sicher. Manch einer werde sich auch woanders bewerben – ein Risiko, dass man in Zeiten des Fachkräftemangels nicht eingehen müsse, so der Gewerkschafter.
Gegenüber der WAZ hatten sich auch bereits die Fraktionen von SPD, CDU und Grünen kritisch zu den Plänen geäußert. Die betroffenen Menschen dürften „nicht zum Spielball finanzpolitischer Interessen werden“, mahnte unter anderem Daniel Siebel (SPD). Nach WAZ-Informationen sind in der Politik Pläne zu einem gemeinsamen Appell Richtung Berlin in Arbeit.
Die Stadt will das Thema nun auch noch mal verstärkt beim Städtetag einbringen und beteiligt sich gemeinsam mit Hamburg, Mannheim und Dortmund federführend beim Protest. Zum Start der Sitzungswoche des Deutschen Bundestages Anfang September „wollen wir deutlich gemacht haben, dass man uns gehört hat“, betont Mark Rosendahl.