Gelsenkirchen. Der Bund will die Job-Vermittlung für junge Arbeitslose neu organisieren. Gerade für Gelsenkirchen wären die Folgen schlimm, wird gewarnt.

Der selbstauferlegte Sparzwang der Bundesregierung könnte schwerwiegende Folgen für die Job-Vermittlung bei arbeitslosen Gelsenkirchenern unter 25 Jahren haben: Es geht um Überlegungen des SPD-geführten Bundesarbeitsministeriums, junge Menschen künftig nicht mehr vom Jobcenter, sondern von der Arbeitsagentur betreuen zu lassen. Der Bund will so 800 Millionen Euro im eigenen Haushalt einsparen und die Leistungen zur Arbeitsförderung im U25-Bereich künftig über die Beitragsmittel der Arbeitslosenversicherung finanzieren. Nicht nur die Jobcenter laufen Sturm gegen die Pläne, auch die kommunalen Spitzenverbände und die Lokalpolitik in Gelsenkirchen zeigen sich alarmiert.

„Junge Menschen dürfen nicht zum Spielball finanzpolitischer Interessen werden“, sagt Daniel Siebel, SPD-Ratsherr in Gelsenkirchen.
„Junge Menschen dürfen nicht zum Spielball finanzpolitischer Interessen werden“, sagt Daniel Siebel, SPD-Ratsherr in Gelsenkirchen. © SPD

„Für die betroffenen jungen Menschen käme es zu einer massiven Verschlechterung, für die Jobcenter und die Agenturen für Arbeit zu einem erhöhten Aufwand“, teilten der Deutsche Städte- und Landkreistag in einer gemeinsamen Presseerklärung zu den Plänen mit, über die zuerst die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte. „Die Zuständigkeitsänderung würde die fundierte und umfassende Unterstützung der Jugendlichen auf dem Weg in den Arbeitsmarkt untergraben und gerade bei der Ausbildungssuche und der Arbeitsvermittlung das Angebot aus einer Hand auflösen“, so die Kritik. Abläufe würden zulasten der jungen Menschen verkompliziert.

SPD Gelsenkirchen kritisiert Umstrukturierungspläne

Gelsenkirchen wäre von den Plänen besonders betroffen: Fast jeder dritte Azubi in Gelsenkirchen bricht seine Ausbildung ab. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in der Stadt bei etwa zwölf Prozent und ist fast doppelt so hoch wie im Land. Die betroffenen Menschen dürften „nicht zum Spielball finanzpolitischer Interessen werden“, mahnt deshalb Daniel Siebel, SPD-Ratsherr in Gelsenkirchen und Vorsitzender des Sozialausschusses. Wegen der Sparvorgaben von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dürfe man gerade im U25-Bereich keine Verschlechterung in Kauf nehmen.

Zudem macht Siebel darauf aufmerksam, dass die Pläne in Entscheidung mit dem erst Anfang des Jahres in Kraft getretenen Bürgergeld-Gesetz stehe. Geplant war nämlich eigentlich, die Förderung in den Jobcentern auszubauen. „Sehr unglücklich“ nennt Siebel die Idee, die jungen Arbeitslosen aus dieser intensivierten Förderung herauszunehmen.

Grüne in Gelsenkirchen halten Pläne für eine „enorme Verschlechterung“

Sorgenvoll blickt auch die Grünen-Sozialpolitikerin Ingrid Wüllscheidt auf das Vorhaben. „Sollten die geschilderten Veränderungen in der Betreuung der unter 25-Jährigen sich tatsächlich so entwickeln, hielte ich das für eine enorme Verschlechterung für diesen Personenkreis“, sagte sie. „Die jungen Menschen nicht mehr ,aus einer Hand’ zu begleiten, sondern ihnen nun die Zuständigkeit zweier Behörden zuzumuten wird deren Erreichbarkeit für Integrationsangebote sicher nicht verbessern“, sagt sie und nimmt Bezug darauf, dass die jungen arbeitslosen Menschen ja für ihre Leistungen weiterhin zum Jobcenter müssten.

Auch sieht die stellvertretende Fraktionsvorsitzende die wichtige Aufgabe der Jobcenter als gemeinsame Einrichtungen von Kommune und Agentur gefährdet – eine Struktur, die aktuell „sehr gut und konstruktiv“ laufe.

Ingrid Wüllscheidt, Grüne Gelsenkirchen: „Sollten die geschilderten Veränderungen in der Betreuung der unter 25-Jährigen sich tatsächlich so entwickeln, hielte ich das für eine enorme Verschlechterung für diesen Personenkreis.“
Ingrid Wüllscheidt, Grüne Gelsenkirchen: „Sollten die geschilderten Veränderungen in der Betreuung der unter 25-Jährigen sich tatsächlich so entwickeln, hielte ich das für eine enorme Verschlechterung für diesen Personenkreis.“ © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Auch die Gelsenkirchener CDU, die es grundsätzlich begrüßt, zu einem möglichst ausgeglichenen Bundeshaushalt zurückzukehren, kritisiert die Pläne. Das Ziel, die schwarze Null einzuhalten, „rechtfertigt nicht jedes Mittel“, sagt Sozialpolitiker Alfred Brosch. „Die Umsetzung des sozial- und arbeitsmarktpolitischen Auftrags für Jobcenter ist ohnehin eine echte Herausforderung“, so der CDU-Ratspolitiker. Diese dürfe man nicht weiter erschweren.

Das „diffuse“ und „schwach kommunizierte“ Vorhaben der Ampel werfe viele Fragen auf. Eine von ihnen: „Warum sollte ein Arbeitnehmer Verständnis für Mehrbelastung akzeptieren, wenn Mittel an Bedürftige verausgabt werden, die bislang nicht beitragsfinanziert eingezahlt haben“, fragt Brosch zu der angedachten Finanzierung der U25-Förderung über die Sozialbeiträge.

„Unter keinen Umständen durchführen“

Auch Andrea Nahles, die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit und ehemalige SPD-Bundesarbeitsministerin, reagierte gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ noch verhalten auf die Umstrukturierungspläne. Auch sie betonte, man sei „überrascht“ worden. Der Bundesagentur sei aber bewusst, dass viele der jungen Menschen eine umfassendere Unterstützung und Begleitung benötigten.

Hubertus Heils (SPD) Arbeitsministerium teilte der „SZ“ mit, man wolle mit dem Umbau junge Menschen die Arbeitsförderung „einheitlich und aus einer Hand anbieten“ und sich überlagernde Zuständigkeiten abbauen. Die 400 Jobcenter dagegen bitten in einem Brandbrief darum, „den angedachten Systemwechsel unter keinen Umständen durchzuführen.“

Ob und wie weit die Pläne tatsächlich in ein Gesetz gegossen werden, und ob die frühe Kritik der Politik und betroffenen Ämter etwas an dem Vorhaben ändert, wird sich nach der politischen Sommerpause zeigen. Das Jobcenter Gelsenkirchen und die örtliche Arbeitsagentur wollten sich zu den Plänen jedenfalls nur knapp äußern. Der Vorschlag sei „überraschend“, heißt es in einer gemeinsamen Antwort der Behörden an die WAZ. Man benötige aber erst „inhaltliche Eckpunkte“, damit der Vorschlag tatsächlich bewertet werden könne.

In Gelsenkirchen sorgten erst im April ganz andere Gerüchte um die Umstrukturierung der Arbeitsagentur für Aufregung. Seitdem steht im Raum, dass die Arbeitsamtsbezirke in Gelsenkirchen/Bottrop und im Kreis Recklinghausen zusammengelegt und einer gemeinsamen Geschäftsführung unterstellt werden sollen. Die angeblichen, aus mehreren Quellen übermittelten Überlegungen wurden bislang noch nicht bestätigt, hatten in der Politik und bei den Arbeitgeberverbänden aber bereits zu einer aufgeregten Diskussion geführt.