Gelsenkirchen. Viele junge Menschen ohne Job oder Schulabschluss: Die Zahlen sind dramatisch. Mit dieser „passgenauen Hilfe“ will Gelsenkirchen gegensteuern.
Die Zahlen sind weiterhin dramatisch: Fast jeder dritte Azubi in Gelsenkirchen bricht seine Ausbildung ab, NRW-weit ist es etwa jeder vierte. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in der Stadt bei etwa zwölf Prozent, im Land bei weniger als der Hälfte davon. Und fast acht Prozent der hiesigen Schülerinnen und Schüler verlassen die Schule ohne Abschluss, während es NRW-weit knapp zwei Prozent sind. Doch ein Werkzeug, mit dem die Stadt Gelsenkirchen diese Situation verbessern möchte, wurde jetzt geschliffen: Die Jugendberufsagentur soll jetzt noch niederschwelliger, vernetzter und zielorientierter agieren.
Jugendberufsagentur Gelsenkirchen will „Erfolgserlebnisse statt Frustmomente“ schaffen
2018 wurde die Agentur ins Leben gerufen, mit dem Ziel, den Übergang von der Schule in eine Ausbildung oder einen Beruf für junge, förderungsbedürftige und benachteiligte Menschen im Alter von 16 bis 25 Jahren einfacher zu gestalten. Mit einer jetzt unterzeichneten Vereinbarung haben sich Stadt, Jobcenter und Arbeitsagentur verpflichtet, die Arbeit noch weiter auszubauen.
So soll unter anderem neben dem Standort an der Vattmannstraße zusätzlich noch in zentraler Lage der City ein Standort der Jugendberufsagentur eröffnet werden. „Hier wollen wir für die jungen Menschen eine passgenaue Lösung finden und ganz individuell auf ihre Belange eingehen“, erklärt Annette Höltermann, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit. Es gehe darum, „Erfolgserlebnisse statt Frustmomente“ zu schaffen.
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Denn viel zu oft – die Zahlen sprechen für sich – ist es schließlich so, dass junge Menschen in Gelsenkirchen nicht geschmeidig ins Berufsleben starten: Häufig der Beginn einer brüchigen Erwerbsbiografie. Und auch wenn die Zahlen im NRW-Vergleich weiter aufschrecken lassen, so betrachtet Höltermann die bisherige Arbeit der Jugendberufsagentur auch als Erfolg. Die Zahl der jungen Menschen, die hier fit für Bewerbungen gemacht werden konnten, konnte laut ihr von September 2021 bis September 2022 von 2019 auf 2050 Personen gesteigert werden - „trotz der Schwierigkeiten durch Corona“.
Hilfe für junge Menschen in Gelsenkirchen soll nicht an Zuständigkeiten scheitern
Das Ziel ist am Ende zwar immer die erfolgreich abgeschlossene Ausbildung. Der Weg dahin kann jedoch lang sein. „Es ist nicht so, als wäre jeder Jugendlicher sofort ausbildungsreif“, sagt Anke Schürmann-Rupp, Geschäftsführerin des Jobcenters. Hier seien zunächst „berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen“ wichtig – quasi Schulunterricht mit allgemeinbildenden und einigen berufsspezifischen Lerninhalten.
Häufig gehe es aber auch gar nicht um fehlende Reife, sondern um ganz andere Probleme. „Manch einer benötigt erst einmal eine Schuldnerberatung oder eine Drogenberatung. Da müssen erst einmal andere Probleme aus der Welt geschaffen werden“, gibt Schürmann-Rupp zu bedenken. Klar aber soll sein: Was auch immer jemand braucht, bei der Jugendberufsagentur soll er bekommen, was er benötigt. „Dafür sind wir nicht zuständig: Diesen Satz gibt es für uns nicht“, sagt Höltermann von der Arbeitsagentur. Niemand solle an andere Zuständigkeitsbereiche verwiesen werden, sondern die Hilfe bekommen, die er benötigt.
Jugendberufsagentur Gelsenkirchen: „Chillig“ statt „grauer Behördenflur“
Die erste Schwierigkeit allerdings besteht darin, die Jugendlichen, die so ein Angebot gebrauchen könnten, zu erreichen. „Natürlich sind viele bekannt aus einem Leistungsbezug“, sagt Sozialdezernentin Andrea Henze. Ein Bürgergeld-Bezug etwa ist allerdings keine Voraussetzung, um die Dienste der Jugendberufsagentur in Anspruch zu nehmen.
Junge Menschen, die man noch nicht im Visier hat, wolle man deshalb etwa „dort abholen, wo sie ihre Freizeit verbringen“, sagt Annette Höltermann. So sei man bei der Eröffnung des Skateparks in Hassel etwa mit VR-Brillen vor Ort gewesen, um das Interesse der Jugendlichen zu wecken. „Es muss chillig, lässig sein, eben nicht wirken wie der graue Behördenflur“, sagt Schürmann-Rupp. Stadträtin Andrea Henze bekräftigt in diesem Zuge, was sie bereits im großen WAZ-Interview ein Jahr nach ihrem Amtsantritt betont hatte: „Wir dürfen nicht darauf warten, dass die Leute zu uns in die dritte Etage eines Bürogebäudes kommen.“ Man müsse gerade auch die jungen Menschen da abholen, wo sie sind.
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Ob die Jugendberufsagentur mit all diesen guten Absichten am Ende entscheidend dazu beiträgt, dass sich die problematischen Zahlen in Gelsenkirchen tatsächlich mehr auf Landesniveau zu bewegen? „Jeder ist es wert, dass wir uns um ihn kümmern, dass wir ihn in eine bruchlose Erwerbsbiografie bringen“, sagt Jugend- und Familiendezernentin Anne Heselhaus und meint damit: Es gehe eher um die passgenaue, individuelle Hilfe für jeden einzelnen – „und weniger darum, in einigen Jahren die NRW-Quote erreicht zu haben“, ergänzt Vorstandskollegin Henze.