Gelsenkirchen. Sie war wichtiger für Gelsenkirchens Geschichte als man denken mag: 1896 verband die erste Straßenbahnlinie das Zentrum mit der Braubauerschaft.

Es mag auf den ersten Blick ein reines Liebhaberthema sein, das das neue Heft des Heimatbunds Gelsenkirchen behandelt: „Straßenbahnen im Gelsenkirchener Stadtbild von 1895 bis 1914“. Verfasst hat es Ludwig Schönefeld, ein gebürtiger Gelsenkirchener, den es beruflich in die Schweiz verschlagen hat. Seit mehr als 40 Jahren befasst sich der Kommunikationsexperte mit der Geschichte des öffentlichen Nahverkehrs im Ruhrgebiet, vor allem im Bereich der Bogestra, also in Gelsenkirchen, Bochum, Wattenscheid und Herne-Wanne-Eickel. Aber es geht ihm nicht in erster Linie um die Gefährte im Wandel der Zeit, sondern um die Bedeutung des Nahverkehrs für die Stadtentwicklung.

Schönefeld: „Wo die Straßenbahn entlang fuhr, da wurde bald auch gebaut“

„Der Nahverkehr war schon immer ein wichtiges Instrument für die Städte. Wo die Straßenbahn entlang fuhr, da wurde bald auch gebaut. Und in den ersten Jahren schon ging es darum, die dörflichen Gebiete an die sich entwickelnden Städte zu binden. Damit wurden auch die späteren Gebietsreformen vorbereitet“, erklärt Schönefeld.

Der Startschuss für den Straßenbahnverkehr in Gelsenkirchen fiel 1894, als Siemens & Halske das Gelände an der heutigen Hauptstraße für den Bau eines Betriebs- und Bauhofs kaufte. Die Genehmigung zur Anlage eines Schienennetzes für vier Straßenbahn-Strecken in Gelsenkirchen lag seit 1893 vor. Lange Genehmigungsverfahren gab es in jenen Jahren nicht. Und so konnte bereits am 3. November 1895 die erste Straßenbahnlinie an den Start gehen. Sie verband das Stadtzentrum vom Neumarkt aus mit der Braubauerschaft, wo sie am Bahnhof Bismarck an der heutigen Albenhausenstraße endete. Da die 3,4 Kilometer lange Strecke eingleisig verlief, wurden „Ausweiche“ und Wendemöglichkeiten eingebaut.

1919 gab es bereits Gegenverkehr auf der Bahnhofstraße. Links im Bild der Lichtspielpalast, der auch als Theater diente, im Hintergrund der Neumarkt und die Altstadtkirche.
1919 gab es bereits Gegenverkehr auf der Bahnhofstraße. Links im Bild der Lichtspielpalast, der auch als Theater diente, im Hintergrund der Neumarkt und die Altstadtkirche. © Sammlung Ludwig Schönefeld | Cramers Kunstverlag Dortmund

Extrablatt für die erste Verbindung vom Schalker Markt nach Wattenscheid

Bereits einen Monat später verbanden die eisernen Gefährte die Stadtteile Schalke und Ückendorf, vom Schalker Markt aus ging es über die Schalker Straße zum Bahnhof und weiter zum Ückendorfer Platz. Endstation war in der ersten Ausbaustufe die Zeche Holland. Der Wattenscheider Zeitung war im Oktober 1896 die Vollendung der Linienanbindung ein Extrablatt wert.

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Ein wenig länger – bis 1901 – dauerte wegen Komplikationen durch die zu überquerende Emscher und diverse Zechen- und Eisenbahnen die Fertigstellung der Verbindung von Erle über Buer nach Horst. Im gleichen Jahr eröffnete der Betriebshof in Buer an der Breddestraße. Es folgten Verbindungen von der heutigen Hauptstraße über Bulmke und Röhlinghausen bis Wanne-Eickel. Siemens hatte zudem die Genehmigung für den Bau einer Verbindung nach Essen. Begehrlichkeiten, Steele und Kray an die eigene Stadt zu binden, gab es von Wattenscheider und von Gelsenkirchener Seite – vergeblich, wie heute klar ist.

Ludwig Schönefeld hat das neue Heft für den Heimatbund Gelsenkirchen zu den Anfängen der Straßenbahn in Gelsenkirchen geschrieben und mit vielen fotografischen Raritäten versehen. Wer noch mehr zum Thema erfahren mag, kann sich auch über Schönefelds Website informieren, zu der auch QR-Codes in jedem Kapitel des Heftes jeweils passend zum Thema führen.
Ludwig Schönefeld hat das neue Heft für den Heimatbund Gelsenkirchen zu den Anfängen der Straßenbahn in Gelsenkirchen geschrieben und mit vielen fotografischen Raritäten versehen. Wer noch mehr zum Thema erfahren mag, kann sich auch über Schönefelds Website informieren, zu der auch QR-Codes in jedem Kapitel des Heftes jeweils passend zum Thema führen. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

1907 übernahm die Bogestra von Siemens

1907 übernahm die bereits 1896 in Berlin gegründete Bogestra die Betriebsführung von Siemens, unter der Bedingung, 15 Jahre lang weiter deren Elektrik zu nutzen. Eigentlich hätten die Städte das Schienennetz nach Ablauf der Konzessionsfrist der Bogestra entgeltfrei überlassen müssen. Sie stimmten nach schwierigen Verhandlungen dennoch dem Verbleib bei der Bogestra unter der Bedingung zu, dass diese das Schienennetz weiter ausbaut. Schienen wurden zunächst da verlegt, wo die Straßen noch nicht gepflastert waren. Im Nachgang dann begannen die Pflasterarbeiten.

Das war ein gutes Geschäft für die Stadt, sagt Schönefeld, konnte die Stadt dank Nahverkehr und von der Bogestra gepflasterter Straßen doch besser wachsen. 1912 – pünktlich zur Eröffnung der ersten Krupp-Flugwoche auf dem Flugplatz in der damaligen Gemeinde Rotthausen – wurde die „Flugplatzlinie“ eingeweiht, die in der Schillerstraße in der heutigen Feldmark endete. Heßler war zu der Zeit bereits am Schienennetz.

1914 bremste Hitze die Bahn aus – Schienen wölbten sich auf der Bahnhofstraße

Doch nicht alles ging glatt beim Ausbau des Schienennetzes. Triebwagen sprangen bisweilen aus den Schienen und 1914 etwas bremste andauernde Hitze die Straßenbahn auf der Bahnhofstraße aus. Die Gleise hatten sich über das hölzerne Parkett gewölbt, das die Hitze nicht hinreichend ableiten konnten. Und im Krieg fehlte der Straßenbahn das Personal, weil die jungen Männer in den Krieg zogen. So kam es zu den ersten weiblichen Schaffnerinnen und Straßenbahnfahrerinnen; die Ehefrauen und Verlobten der Mitarbeiter sprangen für sie ein.

Eigene Website zum Nahverkehr im mittleren Ruhrgebiet

Schätze aus Familienalbum willkommen

Trotz bereits üppigem Archiv freut sich Ludwig Schönefeld weiterhin über Fotos aus frühen Tagen des Nahverkehrs in Gelsenkirchen. Vor allem alte Familienfotos und persönliche Erinnerungen seien extrem wichtig für seine Arbeit. Wer solche Schätze im Familienalbum hat und teilen möchte, kann ihn unter der E-Mail-Adresse webmaster@durch-tausend-feuer.de kontaktieren.

Auch der Heimatbund Gelsenkirchen e.V. ist weiterhin interessiert an alten Dokumenten aus Gelsenkirchen, um diese historisch auszuwerten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hier wird um Information per E-Mail an info@heimatbund-gelsenkirchen.de gebeten.

Ludwig Schönefeld hat für das Heft noch viele fotografische Schätze und wissenswerte Fakten gesammelt, von Übersichten zum Schienennetz über Fahrkarten, Schaffner und Straßenbahnfahrer, von denen die meisten junge Technikbegeisterte waren, bis hin zu den Fahrzeugen selbst. Weiterführende Informationen können per QR-Code an den Kapiteln eingesehen werden. Die Codes führen auf die üppig bestückte Website von Schönefeld www.durch-tausend-feuer.de, wo noch viel mehr Wissenswertes des Verkehrsmittels vor Ort bis fast in die heutige Zeit zu finden ist.

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Nahverkehrs-Websites hat Schönefeld für mehrere Ruhrgebietsstädte aufgebaut. „Mir ist es wichtig, mit den historischen Themen auch junge Menschen zu erreichen und begeistern,“ sagt Schönefeld. „Die bevorzugen digitale Formate: Über das Internet erreiche ich am Tag einige hundert Nutzer.“ Ein großes Problem bei der Arbeit sei die Verortung der Motive. Bei der Recherche nutzt er alte Luftbilder sowie ein umfangreiches Literaturarchiv.

Für die Produktion des vorliegenden Heimatbund-Heftes aus der Reihe „Gelsenkirchen in alter und neuer Zeit“ ist Schönefeld eingesprungen. Dank üppigem Archiv und Kenntnis entstand es binnen sechs Wochen in täglichen Zehn-Stunden-Schichten. Das Heft ist wie alle Heimatbund-Hefte im örtlichen Buchhandel für fünf Euro zu haben.

Ergänzend zum Thema gibt es zudem am Donnerstag, 21. September, einen Vortrag zur Geschichte der Straßenbahn in Gelsenkirchen von Ludwig Schönefeld geben. Veranstalter ist der Heimatbund Gelsenkirchen e.V.. Der Abend beginnt um 19 Uhr in den Räumen der Bergbau- und Stadtteilsammlung Rotthausen, Belforter Straße 20.