Gelsenkirchen. Über 100 Jahre lernten Gelsenkirchener Kinder bis zum Abschluss gemeinsam in Volksschulen. Für verheiratete Lehrerinnen galt lange Berufsverbot.

Heute lernen Kinder in Grundschulen schreiben und rechnen und wechseln danach in andere Schulformen. Noch im letzten Jahrhundert aber drückten Schülerinnen und Schüler gemeinsam acht oder neun Jahre gemeinsam die Schulbank in der Volksschule, bis zum Schulabschluss. Erst 1968 lief die Institution der Volksschule aus. Katholische und evangelische Grundschulen existierten dann neben Gemeinschaftsgrundschulen und der weiterführenden Hauptschule.

Die ehemalige Lehrerin Hildegard Schneiders hat in der Geschichte der Volksschulen nachgeblättert und den Weg ihrer Entwicklung in zwei Heften für den Heimatbund aufgezeichnet. Sie spürte alle Volksschulen in Alt-Gelsenkirchen mit ihrem Namen, ihrem Standort und ihrer Lebensdauer auf. Herausgefunden hat sie bei ihrer Recherche allein 136 verschiedene Schulnamen. Aus vielen Umbenennungen waren immer wieder neue Namen entstanden.

Der allererste Lehrer in Gelsenkirchen war Magister Pyr – im Jahr 1410

Die erste schriftliche Erwähnung eines Lehrers im Dorf Gelsenkirchen – genannt Magister Pyr – reicht bis ins Jahr 1410 zurück, wie die Historikerin aufwendig recherchiert hat. Seit 1609 war Gelsenkirchen unter der Herrschaft der Hohenzollern und gehörte damit zu Preußen, wo Friedrich Wilhelm I. erst 1717 die Schulpflicht für alle Fünf- bis Zwölfjährigen anordnete. In Weimar galt diese bereits seit 1609.

Bildung gab es lange nur für Kinder wohlhabender Eltern

„Bisher war Schulbildung meistens Kindern wohlhabender Eltern vorbehalten“, weiß die Autorin. In Dorfschulen blieben viele Plätze verwaist, Eltern schickten ihre Kinder lieber aufs Feld. Oft unterrichteten nicht ausgebildete Lehrer den Nachwuchs. Erst 1763 schuf Friedrich II. durch das Generallandschulreglement die Voraussetzung für eine Kontrolle des Schulwesens durch den Staat.

Das erste Foto eines Gelsenkirchener Lehrers zeigt Johann Wilhelm Lindemann, der 1791 geboren wurde, bis 1865 unterrichtete und 1871 starb. Er war der einzige katholische Lehrer an der ersten Gelsenkirchener Schule am Rundhöfchen neben der Dorfkirche. Zwei Räume für beide Konfessionen befanden sich in der Schule. Der Mann, der acht Kinder zeugte, war gleichzeitig Küster, erhielt seinen Lohn durch Schulgeld und in Form von Naturalien. Von den Schülern, heißt es in der Chronik, bekam er sogar Kirmesgeld. Vor ihm hatten schon sein Vater und sein Großvater an gleicher Stelle eine Klasse in einem Schulraum unterrichtet.

Berufsverbot als Lehrerin für verheiratete Frauen

Johann Wilhelm Lindemann war der einzige katholische Lehrer an der ersten Gelsenkirchener Volksschule. Er unterrichtete von 1865 bis 1871 am Rundhöfchen neben der Dorfkirche.
Johann Wilhelm Lindemann war der einzige katholische Lehrer an der ersten Gelsenkirchener Volksschule. Er unterrichtete von 1865 bis 1871 am Rundhöfchen neben der Dorfkirche. © Archiv Koenen | Archiv Koenen

Die erste Schule in Schalke entstand 1872, drei Jahre später auch eine in Ückendorf. Die gegen die Katholiken gerichtete Politik Bismarcks hatte auch in Gelsenkirchen Folgen. 1895 trugen evangelische Schulen Namen der Hohenzollern wie Augusta, Luise, Wilhelm oder Victoria. Katholische Schulen beriefen sich bei der Namensgebung auf Heilige wie Joseph, Elisabeth oder Augustinus. „An den Schulen“, sagt Schneiders, wurde des Kaisers Thronjubiläum ebenso gefeiert wie Bismarcks Geburtstag.

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„Von Gleichbehandlung der Geschlechter war noch nichts zu spüren. Der sogenannte Lehrerinnenzölibat von 1911 diskriminierte Pädagoginnen. So verloren sie bei ihrer Heirat nicht nur die Anstellung, sondern auch die Pensionsrechte. Erst nach dem Ende des Kaiserreichs durften sie heiraten. „Wie flexibel und tolerant die Schulbehörde in der Weimarer Republik sein konnte“, sagt Schneiders, habe sich am großen Streik von 1920 gezeigt. Einen Monat lang hatten über 1000 Schüler die Schulen bestreikt. Vier Monate später hatte man deren Forderungen erfüllt und vier große konfessionsfreie Schulen eingerichtet. Sanktionen erfolgten nicht, die Schüler blieben straffrei.

Bei der Ruhrbesetzung mussten Schüler die Klassenzimmer räumen

1920 erließ die Regierung das Reichsgrundschulgesetz, das für alle die gemeinsame Unterstufe der Volksschule vorsah. Fünf Jahre später wurde die Schulpflicht von sieben auf acht Jahre erweitert. Während der Ruhrbesetzung mussten viele Schülerinnen und Schüler ihre Schule räumen. Die Franzosen hatten 1923 elf Schulgebäude mit 110 Räumen besetzt. Für 5590 Schulpflichtige mussten andere Unterkünfte gefunden werden. Während des Kirchenkampfes 1933 verbot das Nazi-Regime sowohl den Religionsunterricht als auch kirchliche Jugendorganisationen. Sie legten 1939 die Konfessionsschulen zusammen. Seitdem existierte nur noch die Deutsche Einheitsschule. Jüdische Schüler mussten 1936 ihre Klassen verlassen und durften nur noch die israelitische Schule an der Ringstraße 44 und ab 1934 an der Josefstraße 14 besuchen.

Von-Richthofen-Schule nach dem Krieg umbenannt in Dahlbusch-Schule

Vortrag über Volksschulen am Mittwoch

Hildegard Schneiders war bis 2005 Lehrerin am Ricarda-Huch-Gymnasium. Sie unterrichtete Deutsch, Geschichte und Latein. Die Historikerin hat bereits in mehreren Bänden des Heimatbundes Gelsenkirchener Geschichte in alter und neuer Zeit vorgestellt.

Mit Besichtigungen und Vorträgen erinnert sie an bedeutende Ereignisse der Stadtgeschichte. Am Mittwoch, 22. Februar, referiert sie um 19 Uhr mit ihrem Bildvortrag in der Flora, Florastraße 26. Ihr Thema: „Die Geschichte der Volksschulen in Alt-Gelsenkirchen“

So mancher Name, der einen militärischen Ursprung hatte, verschwand nach dem Krieg wieder. So hieß die von-Richthofen-Schule (benannt nach dem Jagdflieger aus dem 1. Weltkrieg) jetzt Alte Schule. Ab 1947 erfolgte wieder die Trennung in katholische und evangelische Volksschulen, ehe 1968 die Auflösung der Volksschule beschlossen wurde. Erstmals gab es jetzt räumlich getrennte Stufenschulen für die 1. bis 4. Klassen in der Grundschule und für die Klassen 5 bis 10 in der Hauptschule. Allmählich verschwanden südlich des Kanals die reinen Konfessionsschulen. 2008 und 2011 erfolgte die Umwandlung der letzten konfessionellen Grundschulen – mit einer Ausnahme: die katholische Don-Bosco-Schule und die evangelische Martin-Luther-Schule in der Feldmark.