Gelsenkirchen. Seit Britta Zur nach Düsseldorf gegangen ist, ist die Spitze der Gelsenkirchener Polizei unbesetzt. Wie das NRW-Innenministerium das erklärt.

Vor genau 13 Monaten erklärte Britta Zur im WAZ-Interview, dass sie sich in Gelsenkirchen „verliebt“ habe und zugleich, warum sie die Stadt dennoch verlässt. Es war das vorerst letzte Interview dieser Redaktion mit der damals noch amtierenden Polizeipräsidentin der Stadt. Danach wechselte Zur als Beigeordnete für die Bereiche Sport und Bürgerservices in die Düsseldorfer Stadtverwaltung und die Stelle des Gelsenkirchener Polizeipräsidenten ist seither unbesetzt.

Im sonnengelben Kleid nahm sie Platz im Innenhof des Gelsenkirchener Polizeipräsidiums, um Revue passieren zu lassen, was sie erlebt hatte in zweieinhalb Jahren an der Spitze der Gelsenkirchener Polizei. Als Britta Zur im Dezember 2019 die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft verließ, wo sie Übergriffe auf Amtspersonen verfolgt hat, und zuständig war für Mord und Totschlag, war sie die jüngste Polizeipräsidentin Deutschlands.
Im sonnengelben Kleid nahm sie Platz im Innenhof des Gelsenkirchener Polizeipräsidiums, um Revue passieren zu lassen, was sie erlebt hatte in zweieinhalb Jahren an der Spitze der Gelsenkirchener Polizei. Als Britta Zur im Dezember 2019 die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft verließ, wo sie Übergriffe auf Amtspersonen verfolgt hat, und zuständig war für Mord und Totschlag, war sie die jüngste Polizeipräsidentin Deutschlands. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Zwar wird das Präsidium stellvertretend vom Leitenden Polizeidirektor Peter Both geführt - dass die Führung einer derart großen und wichtigen Behörde so lange nicht nachbesetzt wird, wirft gleichwohl Fragen auf. Warum also hat die Gelsenkirchener Polizei noch immer keinen neuen Präsidenten oder eine neue Präsidentin, obwohl spätestens seit April 2022 klar war, dass Britta Zur gehen wird?

Das sagt das NRW-Innenministerium zur Polizeipräsidentenbesetzung in Gelsenkirchen

Einmal mehr konfrontierte die WAZ nun das nordrhein-westfälische Innenministerium mit dieser Frage, nachdem dies auch schon im März die SPD-Landtagsabgeordneten Sebastian Watermeier und Christin Siebel getan hatten, und einmal mehr gibt es keine konkrete Antwort aus Düsseldorf, wann diese Schlüsselposition in Gelsenkirchen wiederbesetzt wird.

„Die internen Abstimmungen zur Nachbesetzung der Leitung des Polizeipräsidiums Gelsenkirchen laufen derzeit. Angesichts der großen Herausforderungen, die mit der Leitung eines Polizeipräsidiums verbunden sind, bedürfen diese aber zugleich größtmöglicher Sorgfalt“, so ein Sprecher des Innenministeriums.

„Baldmöglichst“ werde Innenminister Herbert Reul (CDU) der Landesregierung entsprechende Personalvorschläge zur Nachbesetzung unterbreiten, so der Ministeriumssprecher weiter. Was der Innenminister unter „baldmöglichst“ versteht, bleibt indes sein Geheimnis. Stattdessen weist das Ministerium darauf hin, dass die Ernennung von Polizeipräsidentinnen und -präsidenten für das Kabinett verpflichtend sei.

Ist das Gelsenkirchener Präsidium dem Innenminister womöglich nicht so wichtig, weshalb eine zeitnahe Nachbesetzung der Behördenleitung keine besondere Priorität für Reul hat? Oder gibt es schlicht keine passenden Kandidaten für den Job in Gelsenkirchen?

Mitnichten meint der Ministeriumssprecher: „Die Leitung eines Polizeipräsidiums gehört zu den absoluten Spitzenfunktionen innerhalb der Polizei NRW. Das Interesse an der Wahrnehmung einer solchen Position ist allgemein groß.“

Dennoch hat Reul noch keinen Kandidaten präsentiert, der „geeignet, befähigt und besonders im Vertrauen“ des Innenministeriums steht. Das ärgert nicht nur die SPD-Landtagsabgeordneten, auch die FDP äußerte sich zuletzt wiederholt kritisch. „Es ist unverantwortlich, dass die Landesregierung, die Koalition aus CDU und Grünen, die Stelle des Polizeipräsidenten bzw. der Polizeipräsidentin seit dem Weggang von Britta Zur nicht neu besetzt hat“. Eine Vakanz auf einem so wichtigen Posten sei gerade vor dem Hintergrund der hohen Jugendkriminalität nicht zu akzeptieren.

„Die brutale Jugendgewalt in Gelsenkirchen macht fassungslos“

Auslöser für die aktuelle Reaktion der Gelsenkirchener FDP war ein Kommentar in dieser Zeitung. Nach abermaligen brutalen Übergriffen von Jugendlichen auf andere Kinder und Jugendliche wurde darin die Herabsetzung der Strafmündigkeit in Deutschland zur Diskussion gestellt und an die Verantwortung des Gelsenkirchener Bundesjustizministers Marco Buschmann (FDP) appelliert.

Die FDP wies Letzteres als „populistisch“ zurück. Schließlich sei es so, „dass die FDP nur ein Partner in der Berliner Ampel-Koalition ist“, so die Gelsenkirchener FDP-Stadtratsfraktionsvorsitzende Susanne Cichos. Zugleich wies Cichos darauf hin, dass Bundesjustizminister Buschmann in den vergangenen Wochen und Monaten – auch im Hinblick auf seine Heimatstadt Gelsenkirchen – mehr Konsequenz in der Strafverfolgung gefordert habe.

Denn: „Die brutale Jugendgewalt in Gelsenkirchen macht fassungslos“. Darin stimmt auch die FDP-Fraktionsvorsitzende Susanne Cichos der Einschätzung der WAZ-Redaktion überein. Nicht zuletzt deshalb hat der kommissarische Leiter des Gelsenkirchener Polizeipräsidiums auch im vergangenen Herbst eigens die Ermittlungskommission König ins Leben gerufen. Oftmals waren die Taten im Umfeld des Heinrich-König-Platzes in der Innenstadt geschehen. Die im September 2022 eingerichtete Ermittlungskommission hat inzwischen weit mehr als 200 Taten bearbeitet. Die erschreckende Straftaten-Serie von Jugendlichen wird mit Sicherheit auch eines der Schwerpunktthemen für den nächsten Polizeipräsidenten sein, wann auch immer dieser ernannt wird.