Gelsenkirchen. Bundesjustizminister Marco Buschmann spricht im WAZ-Interview über den Angriff Russlands auf die Ukraine und was das für Deutschland bedeutet.

Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte in einer denkwürdigen Regierungserklärung, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine eine „Zeitenwende“ in der deutschen Politik markiert. Wie es dazu gekommen ist, dass die Bundesregierung sogar Waffen ins Kriegsgebiet schicken will, wie groß die Gefahr eines Dritten Weltkriegs tatsächlich ist und wie er über das Ende der Partnerschaft zwischen Schalke 04 und Gazprom denkt, erklärt der Gelsenkirchener Bundesjustizminister, Marco Buschmann (FDP), im Interview mit Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur WAZ, und Sinan Sat, Leiter der WAZ Lokalredaktion in Gelsenkirchen.

Herr Bundesminister, Sie sind Teil des Sicherheitskabinetts der Bundesregierung. Wann war Ihnen gemeinsam klar, dass die Koalition eine dramatische Kehrtwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik vollziehen muss?

Buschmann: Wir befinden uns in einer sehr ernsten Lage. Die vergangene Woche war eine Zeitenwende für die internationale Politik. Denn mit der Ukraine wurde ein europäischer Staat von Russland angegriffen. Auch wenn dieses Szenario zu befürchten war, so ist ein Krieg in Europa einfach nur schrecklich. Aber klar ist auch: Putins Kriegstreiberei erforderte eine schnelle und unmissverständliche Antwort. Die haben wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und den USA gegeben. Das Sanktionspaket, wie wir es gegen Putin verhängt haben, ist einmalig.

Dass Waffen nicht unmittelbar in Kriegsgebiete geliefert werden, gehörte zu den unumstößlichen Grundsätzen ...

Dr. Alexander Marinos (Stellv. Chefredakteur WAZ), Bundesminister der Justiz, Marco Buschmann, und Sinan Sat (Redaktionsleiter WAZ Gelsenkirchen/Buer) beim Interview in der Lokalredaktion Gelsenkirchen.
Dr. Alexander Marinos (Stellv. Chefredakteur WAZ), Bundesminister der Justiz, Marco Buschmann, und Sinan Sat (Redaktionsleiter WAZ Gelsenkirchen/Buer) beim Interview in der Lokalredaktion Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Buschmann: Es war in der Vergangenheit so, dass Deutschland keine Waffen in Krisengebiete geschickt hat. Putins aggressiver Angriffskrieg gegen ein freies Land schafft eine völlig neue Situation. Ein souveränes Land, das für sich die Entscheidung gefällt hat, sich in Richtung Westen zu orientieren, will sich verteidigen. Dazu hat es jedes Recht. Daher liefert auch Deutschland Waffen.

Die angekündigte massive Aufrüstung der Bundeswehr wird sehr viel Geld kosten und zu neuen Schulden führen. Wie dick ist diese Kröte für die FDP, die sich das nachhaltige Haushalten auf die Fahnen geschrieben hatte?

Buschmann: Es geht um die Fähigkeit, Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Dafür stehen gerade Freie Demokraten ein. Wir werden nun ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro auflegen, mit dem die Bundeswehr verstärkt und modernisiert wird. Wir geben hier aber nicht nur sehr viel Geld hinein, sondern werden auch die Strukturen erneuern. Wir streben auch an, das auch unzweifelhaft rechtlich im Grundgesetz abzusichern. Klar ist aber auch, dass wir im Bundeshaushalt schnellstmöglich zur Einhaltung der Schuldenbremse zurückkehren und solide haushalten.

Wie groß ist die Gefahr, dass Russland nach der Ukraine weitere Länder angreift – etwa die baltischen Staaten?

Buschmann: Der Angriff gegen einen anderen Nato-Mitgliedsstaat würde dieselbe Reaktion hervorrufen wie ein Angriff gegen uns selbst. Putin würde damit einen Dritten Weltkrieg riskieren. Und deshalb zeigen wir umso klarer durch umfassende und beispiellose Sanktionspakete, dass diese kriegerische Aggression gegen ein unabhängiges Land nicht toleriert wird. Putin fügt sich selbst schweren Schaden zu. Er bringt nicht nur unglaubliches Leid über die Ukraine, sondern letztlich auch über sein eigenes Land.

Sie sprechen von einem „Dritten Weltkrieg“. Vor dem Hintergrund, dass Putin die Alarmbereitschaft der russischen Atomstreitkräfte erhöht hat, löst das Ängste in unserer Bevölkerung aus.

Buschmann: Ich wende mich gegen Panikmache – aber auch gegen Verharmlosung. Ein Angriff Russlands auf einen Staat, der Nato-Mitglied ist, wäre eine schwerwiegende Eskalation. Wie gesagt: Wir stünden in diesem Fall zweifelsfrei zu unseren Bündnispflichten. Umso mehr sollten wir alles tun, um zu vermeiden, dass es dazu kommt. Unser Sanktionspaket zeigt ja bereits erste Wirkung.

Deutschland ist beim Gasverbrauch zu 55 Prozent von russischen Quellen abhängig. Wenn Putin den Gashahn zudreht, könnte es kalt werden in Deutschlands Wohnzimmern.

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Buschmann: Die Verflechtungen zwischen Russland und Europa sind bislang gerade im Energiesektor in der Tat eng. Umso dringender ist es nun, dass wir uns hier unabhängiger machen Das gelingt durch mehr erneuerbare Energien in unserem Land und beispielsweise auch durch neue Flüssiggas-Terminals in Deutschland.

Die dürften aber kaum bis zum nächsten Winter fertig sein.

Buschmann: Das stimmt, aber wir sollten schlichtweg alles tun, um das zu beschleunigen. Auch mehr Unabhängigkeit durch mehr erneuerbare Energie ist kein Projekt von heute auf morgen. Aber wir sollten alle Hebel in Bewegung setzen.

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War es nicht ein Fehler des Bundeskanzlers und der gesamten Bundesregierung, bei der Androhung von Sanktionen gegen Russland nicht auch von Anfang an klipp und klar Nordstream 2 einzubeziehen?

Buschmann: Es war Russland völlig klar, dass Nordstream 2 am Ende ist, wenn es die Ukraine angreift. Man soll jetzt also nicht so tun, als wenn eine andere öffentliche Aussage dazu Russland abgehalten hätte, die Ukraine zu überfallen.

Herr Buschmann, Sie als Gelsenkirchener und Schalke-Fan: Wie finden Sie es, dass Schalke jetzt den Vertrag mit Gazprom beendet hat?

Buschmann: Ich finde es richtig, dass Schalke diesen Schritt gegangen ist. Gazprom wird mit vom russischen Staat gesteuert und auch als ein Mittel der Außenpolitik benutzt. Daher kann es nicht sein, dass man als Spieler mit Stolz dieses Logo auf der Brust trägt. Ein Verein wie Schalke lebt von der Loyalität, von der Begeisterung der Fans. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man dauerhaft seine Leidenschaft auf einen Verein setzt, der indirekt von einer Regierung bezahlt wird, die andere Länder überfällt.