Gelsenkirchen. Polizeipräsidentin Britta Zur scheidet aus dem Amt. Warum sie Gelsenkirchen verlässt, was sie vermissen wird, warum sie weinte, was bleiben wird.
Im sonnengelben Kleid nimmt sie Platz im Innenhof des Gelsenkirchener Polizeipräsidiums, um Revue passieren zu lassen, was sie erlebt hat in zweieinhalb Jahren an der Spitze der Gelsenkirchener Polizei. Als Britta Zur im Dezember 2019 die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft verließ, wo sie Übergriffe auf Amtspersonen verfolgt hat und zuständig war für Mord und Totschlag, war sie die jüngste Polizeipräsidentin Deutschlands. Die Ernennung Zurs passte in den Paradigmenwechsel, den NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) eingeleitet hatte, wonach die Staatsmacht mehr Gesicht und klare Kante zeigen soll. Zur war sich dessen immer bewusst, hat die Aufmerksamkeit und die Öffentlichkeit, die sie auch selber gesucht hat, gerne genutzt, um die Arbeit der Polizei sichtbar zu machen, ihr ein Gesicht zu geben, wie sie sagt - „weil es mir am Herzen liegt“.
Doch nun scheidet sie aus dem Amt und verlässt Gelsenkirchen. Die 41-Jährige wird – wie berichtet – ab August Beigeordnete der Stadt Düsseldorf für Sport und Bürgerservices. Warum ihr der Abschied aus Gelsenkirchen schwerfällt, welche Momente ihr in schmerzhafter und welche in guter Erinnerung bleiben werden, berichtet Zur im GEspräch mit der WAZ Gelsenkirchen.
Frau Zur, Sie sagen immer wieder, Gelsenkirchen sei Ihnen sehr ans Herz gewachsen. Warum verlassen Sie die Stadt dann nun?
Britta Zur: Ich habe vorrangig persönliche Gründe die Stadt und die Polizei Gelsenkirchen zu verlassen. Ich lebe in Düsseldorf und der entscheidende Punkt ist, meine Kinder leben dort. Dadurch, dass ich meinen Lebensmittelpunkt unter der Woche aber hauptsächlich in Gelsenkirchen habe, bin ich im Alltag kaum mehr präsent für meine Kinder. Das möchte ich ändern. Und dann kam eben die Möglichkeit, in Düsseldorf zu arbeiten.
Wie kam es eigentlich dazu?
Ich glaube, dass ich in Düsseldorf noch über ein sehr gutes Netzwerk verfüge, weil ich trotz meiner Tätigkeit hier in Gelsenkirchen, auch dort sehr präsent war. Ich wurde dann wegen der Dezernentenstelle angesprochen und musste ein Bewerbungsverfahren überstehen, das nicht ohne war.
Tatsächlich machen Sie ab August ja auch etwas ganz anderes als bisher. Als Staatsanwältin haben Sie Verbrechen aufgeklärt und als Polizeipräsidentin haben Sie ebenfalls eine Sicherheits- und Ermittlungsbehörde geleitet. Und nun wollen Sie sich als Verwaltungsfrau um Sport und Bürgerservices in der Landeshauptstadt kümmern.
Ja, ich freue mich darauf. Das ist eine neue Herausforderung. Ich werde mit Sport und Bürgerservices starten, wir werden sehen, wie sich das langfristig entwickelt, wie sich die Dezernatszuschnitte langfristig entwickeln. Was ich super spannend finde, ist der politische Aspekt. Das ist ein Baustein im Rahmen meiner Karriere, den ich eben noch nicht erleben durfte. Dass ich diese Möglichkeit nun in meiner Heimatstadt bekomme, freut mich. Ich muss aber auch klar sagen, ich hätte Gelsenkirchen für keine andere Stadt verlassen. Wenn es vergleichbare Angebote in der Vergangenheit gegeben hat, so habe ich sie stets abgelehnt, weil ich mich in Gelsenkirchen ja tatsächlich sehr, sehr, sehr wohl fühle.
Warum haben Sie sich in Gelsenkirchen verliebt?
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Ich habe mich tatsächlich in Gelsenkirchen verliebt. Das ist keine leere Phrase. Als ich hier vor etwa zweieinhalb Jahren angefangen habe, kannte ich Gelsenkirchen kaum. Das heißt, ich habe in einem neuen Job angefangen, in einer neuen Stadt, und ich kannte niemanden - auch in unserer 1700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählenden Behörde nicht. Und, das habe ich schon oft gesagt und ich werde es auch immer und überall weitererzählen, Gelsenkirchen hat mich von Anfang an mit so weit geöffneten Armen empfangen, in einer so herzlichen Art und Weise, dass mir der Start hier auch nicht schwergefallen ist. Obwohl dann auch gleich Corona kam und auch wir bei der Polizei vor nie da gewesenen Herausforderungen standen. Mir liegt die direkte Art der Menschen hier. Der Rheinländer trägt sein Herz auch auf der Zunge, aber der Ruhrpottler ist noch eine Spur direkter. Ich habe wahnsinnig viele Ausdrücke gelernt, die ich in einer Datei in meinem Handy abgelegt habe...
Lassen Sie mal hören...
[Lacht und winkt ab] Die sind überwiegend nicht jugendfrei. Es sind jedenfalls ganz viele Ausdrücke und Formulierungen, die ich so gar nicht kannte. Ich habe mich jedenfalls oft über die Wortakrobatik gefreut, auf die man hier mitunter trifft, und immer versucht, so viel wie möglich über Gelsenkirchen und die Menschen hier zu lernen. Ich habe trotz Corona versucht, mich in die Stadtgesellschaft einzubringen und der Polizei ein Gesicht zu geben.
Der Polizei ein Gesicht zu geben, das ist Ihnen sicher gelungen. Dass Sie selbst auch die Öffentlichkeit suchen, gefällt sicher nicht jedem. Haben Sie das in Gelsenkirchen auch zu spüren bekommen?
In dem Moment, in dem ich die Öffentlichkeit suche, polarisiere ich, das ist klar. Ich könnte auch meinen Job hier machen und mich in mein Büro zurückziehen, wie andere das machen. Das ist auch völlig in Ordnung. Es ist eine sehr persönliche Entscheidung, wie ich so ein Amt ausführe. Jede Kollegin und jeder Kollege setzt andere Schwerpunkte. Ich finde es super wichtig, dass wir als Polizei zeigen, wer wir sind und was wir können. Ich sage das immer wieder, ich sage das gebetsmühlenartig. Und ich bin gerne das Vehikel gewesen, die Aufmerksamkeit auf den tollen Apparat zu lenken, der hinter mir steht. Wenn ich dann das Zugpferd bin, dass der Polizei in der Öffentlichkeit mehr Sichtbarkeit zuteil werden lässt, dann mache ich das sehr gerne. In dem Moment, wo man das Licht der Aufmerksamkeit aber eben auch sucht, ist klar, dass das auch negative Reaktionen, Anfeindungen und Bedrohungen nach sich zieht.
Was hoffen Sie, wird von Ihnen bleiben, wenn Sie ab Juli nicht mehr Polizeipräsidentin in Gelsenkirchen sind?
Ich bin wahrscheinlich einer der wenigen Behördenleiter im Land, die wirklich feste und dauerhafte Freundschaften in ihrer Behörde und der Stadt geknüpft hat. Mir ist es völlig egal, welchen Dienstgrad jemand hat, wenn ich mich mit ihm unterhalte. Ich glaube, dass der Polizei grundsätzlich flachere Hierarchien und Typen wie ich guttun. Damit meine ich junge Leute, die frischen Wind reinbringen und auch mal einen anderen Umgangsstil pflegen. Wir sind Einstellungs- und Ausbildungsbehörde und wollen schließlich auch für junge Bewerber ein attraktiver Arbeitgeber sein. Wenn man mich fragt, dann würde ich mir wünschen, dass man im Nachhinein sagt, dass ich nicht nur der Kopf, sondern eben auch das Herz der Behörde war. Ich hoffe, dass diese Menschlichkeit bleibt.
Und was bleibt Ihnen selbst in Erinnerung? Woran denken Sie gerne zurück, woran weniger?
Corona hat über allem gelegen, aber unabhängig davon, bleiben natürlich die tödliche Schussabgabe im Januar 2020 vor der Wache am Wildenbruchplatz in schmerzlicher Erinnerung, bei der ein junger Polizist in Ausbildung auf einen Angreifer schießen musste [Anm. d. Red.: Die Staatsanwaltschaft hat im Juli 2020 die Ermittlungen gegen den Polizisten eingestellt und die tödlichen Schüsse als Notwehr eingestuft]. Furchtbar war im April 2020 der Tod eines SEK-Beamten, der bei einer Hausdurchsuchung sein Leben verlor. Nicht schön war auch die Demo vor der Synagoge im Mai 2021. Wir hatten beim Aufstiegsspiel gegen St. Pauli in der Arena sehr unschöne Szenen mit vielen Verletzten als die Fans den Platz gestürmt haben.
Demgegenüber stehen natürlich auch ganz, ganz viele schöne Erinnerungen. Ich habe wahnsinnig viel gelacht. Der emotionalste Moment für mich war bei der vorletzten Ernennung der KommissaranwärterInnen zu Kommissaren. Ich habe jedem einzelnen Kollegen, jeder einzelnen Kollegin gratuliert, die Urkunde übergeben, aber auch weil es zu lange gedauert hätte, nicht jedem selber die Schulterklappe angebracht. Das sind ja immer mehrere hundert. Und plötzlich stand der Kollege vor mir, der wenige Monate vorher die tödlichen Schüsse am Wildenbruchplatz abgegeben hat. Ich hatte vorher viele Gespräche mit diesem sehr jungen Kollegen geführt. Und als der dann vor mir stand, habe ich sofort angefangen zu weinen, habe ihm auch selber die Schulterklappen angesteckt. Plötzlich haben sich alle Kolleginnen und Kollegen von ihren Plätzen erhoben und applaudiert. Das war für mich der größte Moment. Wenn ich davon berichte, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Der junge Mann hat einen Menschen erschossen, um sich und seinem Kollegen das Leben zu retten und hat wirklich Schlimmeres verhindert, obwohl er noch so jung und in der Ausbildung begriffen war, so geistesgegenwärtig und vorbildlich reagiert.