Gelsenkirchen. Der Fachkräftemangel wird noch düsterer, wenn die Babyboomer massenhaft in Rente gehen. Aber für andere Bereiche hat das auch etwas Positives.

Während zig Branchen schon jetzt unter dem Fachkräftemangel ächzen, stellt sich die Frage, wie groß die Klagen erst werden sollen, wenn die Massenverrentung der Babyboomer ansteht. Nicht nur in Gelsenkirchen sind die Menschen der Jahrgänge um 1960 die Gruppe mit der beachtlichsten wirtschaftlichen Größe. Aber es gibt auch Bereiche, die angesichts der herausfordernden demografischen Entwicklung positiv in die Zukunft blicken: „Ich freue mich auf die Babyboomer!“, sagt Beate Rafalski, Geschäftsführerin der Ehrenamtsagentur Gelsenkirchen.

Der Verein an der Ahstraße ist die Anlaufstelle für Menschen, die sich engagieren wollen, aber nicht wissen, wo genau. Er bringt die Neu-Ehrenamtler dann mit der passenden Organisation zusammen. „Der Wunsch helfen zu wollen, steht bei vielen gar nicht unbedingt an erster Stelle“, sagt Rafalski. Es gehe vielmehr darum, sich auf der Suche nach einer „neuen, sinnstiftenden Aufgabe“ zu machen. „Natürlich wollen die Menschen der Gesellschaft etwas zurückgeben, aber sie wollen sich auch selber neue Türen öffnen, sich weiterhin gebraucht fühlen“, sagt sie.

Vermittlungserfolg an Gelsenkirchener Grundschule

Und das könnte insbesondere auf viele Babyboomer zutreffen, die nicht selten in Führungspositionen arbeiten, die Verantwortung quasi gewöhnt sind – und ihre Erwerbsbiografien in den nächsten Jahren scharenweise beenden. Rafalski prognostiziert, dass dann viele zur Ehrenamtsagentur stoßen werden. „Wenn man in die Rente geht und plötzlich meint, der Ehefrau sagen zu wollen, wie sie zu kochen hat, dann sucht man sich besser eine andere Aufgabe“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.

Fürs Ehrenamt würden sich die Babyboomer dann natürlich bestens eignen, glaubt sie. „Es sind Menschen, die gut gebildet sind, die eine gewisse Qualifikation haben.“ Diese ist schließlich bei vielen ehrenamtlichen Aufgaben hilfreich, zum Beispiel bei dem „stark nachgefragten“ Bereich der Förderung von Schulkindern. „Neulich erst habe ich einen Mann vermittelt, der ganz bewusst an einer Grundschule als Lesehelfer tätig werden wollte“, berichtet Rafalski.

Problem ist und bleibt die Besetzung von Vereinsvorständen

Einem anderen Babyboomer (Rafalski: „Er sagte, er werde zu Hause verrückt“), habe man eine Aufgabe als Fahrer bei der Tafel oder in einer Senioreneinrichtung in Buer vorgeschlagen. Einem weiteren Herren, einem ehemaligen Vodafone-Mitarbeiter, habe man empfohlen, bei den Technikbotschaftern einzusteigen, die Senioren unkompliziert an digitale Technik heranführen wollen.

Schwierig wird es laut Rafalski allerdings weiterhin, wenn es um die Frage geht, wer Vereine künftig leiten soll. „Es sind immer weniger Menschen bereit, über eine längere Zeit eine verantwortungsvolle Aufgabe in Vereinsvorständen zu übernehmen.“ Aber wäre das nicht was für die ehemaligen Führungskräfte der Boomer-Generation? Bereit, den Vorsitz in einem Fußball- oder Leichtathletikverein zu übernehmen, sei meist eher derjenige, der ein „Standing“ im Verein habe, der dort verwurzelt sei und „die Kaderschmiede durchlaufen hat“ – nichts also für diejenigen, die nach dem Berufsleben plötzlich eine neue Aufgabe suchen. „Das“, sagt Rafalski, „ist definitiv eine Herausforderung für die Gesellschaft.“

Auswahl an rund 200 ehrenamtlichen Betätigungsfeldern in Gelsenkirchen

Die Ehrenamtsagentur reagiert auf die Entwicklung mit mehr projektbezogener Arbeit. Sie kann Interessenten nach eigenen Angaben aktuell rund 200 Angebote machen. Ein Schwerpunkt ist das Engagement im Bereich Klima und Jugend.

So werden beispielsweise für das noch recht neue „Gießkannenheld:innen“-Projekt engagierte Leute gesucht, die sich bereit erklären, die unter dem Klimawandel leidenden Stadtbäume mit Wasser zu versorgen. Die Regenwassertanks und Gießkannen werden dazu kostenlos bereitgestellt. Weiterhin läuft auch das „Heldenpass“-Projekt. Dabei kommen Jugendliche ab der Jahrgangsstufe 9 mit verschiedenen gemeinnützigen Organisationen in Kontakt. Sie haben ein Schuljahr Zeit, verschiedene Angebote auszuprobieren und damit Stempel auf ihrem „Heldenpass“ zu sammeln.