Gelsenkirchen. Zur Diskussion mit Experten und Praktikern über die Pflegeausbildung lud die AG Gesundheit der NRW-SPD nach Gelsenkirchen. Es gab viel Kritik.
Sie sollte die Ausbildung verbessern und vor allem mehr junge Menschen in Pflegeberufe locken, die Reform der Pflegeausbildung. Kranken-, Kinder- und Altenpflege werden seit knapp drei Jahren in einer gemeinsamen, unverändert dreijährigen Ausbildung gelehrt. Neben der größeren Flexibilität und Qualifizierung sollten die verbesserte Bezahlung und die Ausbildungsvergütung für die dringend benötigte stärkere Nachfrage sorgen. Ein halbes Jahr vor den ersten „generalistischen“ Abschlüssen lud nun die SPD-Landesarbeitsgemeinschaft im Gesundheitswesen zu einem ersten Resümee zur Reform mit Experten und Praktikern ein. In der Awo-Pflegeschule Gelsenkirchen tauschten Politik, Verwaltung, Pflegeschulleitungen und betroffene Auszubildende Erfahrungen aus und zogen eine erste Bilanz.
Kompetente Kinderpflege nach dieser Ausbildung kaum möglich
Statt Kranken-, Alten oder Kinderpflegerin beziehungsweise -pfleger gehen die Auszubildenden künftig als Pflegefachfrau oder Pflegefachmann in den Beruf. In welchem der drei Bereiche, ist dann freigestellt. Doch das Fazit der Praktikerinnen im Saal ist eindeutig: kompetente Kinderkrankenpflege zu übernehmen nach dieser Ausbildung sei nicht möglich. Dies ist denn auch einer der Hauptkritikpunkte der Experten aus der Praxis: Dass die Kinderkrankenpflege zu komplex ist, um sie „nebenbei“ in eine Ausbildungsstruktur einzubinden.
Verbesserungsbedürftig sei auch die Anpassung der Lehrpläne, räumte Claudia Bertels-Tillmann ein, Leiterin der Pflegeschulen der Arbeiterwohlfahrt im Bezirksverband Westliches-Westfalen. Die Vorbereitungszeit sei zu kurz gewesen, um alle Aspekte berücksichtigen zu können. Auszubildende Lilla Stollfuß, die lange als Altenpflegehilfe tätig war, bevor sie sich für die Ausbildung zur Pflegefachfrau entschied, klagte: „Ich war zehn Tage in einer Kinderklinik im Einsatz, aber vorher in der Schule war Kinderkrankenpflege noch gar kein Thema. Das war dramatisch!“ Auch in der Klinik habe es zu wenig Personal gegeben, um sie hinreichend anzuleiten.
Doch das grundsätzlich in allen Bereichen zu vermeiden sei kaum möglich, betonte Bertels-Tillmann. Die Zahl der Kooperationspartner der Pflegeschulen sei begrenzt und ganze Kurse mit 25 Azubis so zu verteilen, dass sie nur in bereits behandelten Bereichen eingesetzt werden, sei kaum realisierbar.
Neun Prozent weniger Ausbildungsverträge in 2022 geschlossen
Der Landtagsabgeordnete Thorsten Klute (SPD), dessen Arbeitsgemeinschaft zur Podiumsdiskussion geladen hatte, verwies auf die gesunkene Zahl der Ausbildungsverträge im Land. Neun Prozent weniger waren es 2022, 2020 und 2021 hatte es noch einen Anstieg gegeben. Diese Entwicklung spreche eine deutliche Sprache und signalisiere Handlungsbedarf. Die Pflegeschulen müssten eine Riesenherausforderung binnen kurzer Zeit stemmen und seien „chronisch unterfinanziert, es fehlt an dringend benötigten Investitionsmitteln“, mahnt er. Kleinere Pflegeschulen müssten zunehmend schließen.
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Prof. Thomas Evers, im Landesgesundheitsministerium Leiter der Fachgruppe, räumt ein: „Die Zusammenlegung der Bereiche ist für die Schulen eine Riesenherausforderung. Die Träger der praktischen Ausbildung müssen mehr Verantwortung übernehmen, auch die Prüfungen sind komplexer. Aber die Praxisbilanz ist besser als behauptet. Alarmierend ist aber, dass sich ambulante Pflegedienste zunehmend aus der Ausbildung zurückziehen.“
Erschreckend hoch ist auch die Abbrecherquote in der neuen Ausbildung. Eine Tatsache, der das Berufskolleg Königstraße, das diverse Abschlüsse für Gesundheitsberufe anbietet, aktiv entgegenwirken möchte. Katrin Eichholz hat für das Berufskolleg eine Kooperation mit der Pflegeschule der Knappschaftskliniken Recklinghausen und Buer vorbereitet, über die sich Schülerinnen und Schüler durch Hospitationen in Kliniken bereits zu Schulzeiten ein klares Bild vom Beruf machen können. Damit hoffe man, Abbrecherquoten dauerhaft senken zu können. Die Möglichkeiten, praktische Erfahrungen zu sammeln, seien in der Schule allein einfach zu gering.
Eine andere Auszubildende, die zuvor als Altenpflegehelferin gearbeitet hat, und zwar „sehr gerne“, klagt: „Als Pflegefachkraft in der Altenpflege übernehme ich dann ja nur noch die Pflegegrad-5-Fälle, wirkliche Beziehungspflege ist dann ja kaum möglich. Da kann ich mir eher vorstellen, in die Krankenpflege zu gehen.“ Und auch sie betont noch: „Mit Kindern auf keinen Fall! Darauf fühle ich mich nicht vorbereitet.“
Claudia Bertels-Tillmann hat diese Argumente schon öfters gehört: „Viele glauben, Beziehungspflege sei etwa in der Altenpflege gar nicht mehr möglich, weil sie als Fachkraft auch die Pflegeplanung übernehmen. Dabei sehen sie nicht, welche Chancen darin liegen, wie Fall-orientiert man arbeiten kann. Und wir müssen besser klarmachen, dass in der neuen Ausbildung exemplarisch gelernt wird, nicht nur Wissen eingetrichtert wird. Und wir müssen die Lehrpläne weiter anpassen. Dafür war unsere Vorbereitungszeit viel zu knapp.“
Es fehlen Teilzeitstudiengänge für Lehrkräfte an staatlichen Hochschulen
Ein weiteres Problem: Auch in der Pflegeausbildung fehlen Lehrkräfte. Die meisten werden in privaten Hochschulen ausgebildet, die auch Teilzeitstudiengänge anbieten. Die ohnehin geringe Zahl an Studienplätzen an staatlichen Hochschulen – nur 300 in NRW – indes sind nicht einmal voll belegt. „Und solange das so ist, bieten sie auch nicht mehr Plätze an“, klagt Prof. Evers. Was helfen könnte, wären Teilzeitangebote auch in staatlichen Einrichtungen; die sind jedoch „schwer an die Kandare zunehmen“ so Evers.