Gelsenkirchen. Die Stadt Gelsenkirchen bekommt mehrere Millionen Euro für die Versorgung von Flüchtlingen vom Land. Nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
2015 und 2016 stehen in Deutschland für die Jahre großer Fluchtbewegungen. Tatsächlich aber hat die Bundesrepublik 2022 mehr Geflüchtete aufgenommen als in jenen Jahren, in denen von einer „Flüchtlingskrise“ die Rede war. Und das spüren Kommunen wie Gelsenkirchen, wo deswegen dringend mehr finanzielle Hilfe für die Unterbringung, Versorgung und Integration von Geflüchteten gefordert wird. Dabei hat das Land gerade erst 390 Millionen Euro an die Städte und Gemeinden dafür verteilt, wovon allein 4,83 Millionen Euro an Gelsenkirchen gehen. Aber ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Für Gelsenkirchen bedeute der aktuelle Zuzug aus der Ukraine und vielen anderen Ländern, dass die Stadt teilweise „an die Grenzen des Machbaren“ komme, sagte die Landtagsabgeordnete Ilayda Bostancieri (Bündnis 90/Die Grünen). Es sei notwendig und richtig, dass die Landesregierung die Städte und Gemeinden bei „dieser großen Aufgabe“ unterstütze und konkrete Hilfe leiste. „Nordrhein-Westfalen steht zu seiner humanitären Verpflichtung“, verkündete die Gelsenkirchenerin deshalb erfreut, nachdem das Kabinett die Auszahlung der Gelder aus dem Unterstützungspaket des Landes auf den Weg gebracht hatte. In den Kommunen selbst allerdings ist die Freude eher zurückhaltend.
Kritik aus Essen und Gelsenkirchen an Verteilung von Geflüchteten und Finanzierung
Zuletzt machte Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) in seiner Rolle als Vorsitzender des NRW-Städtetags erst wieder deutlich, für wie notwendig er weitere finanzielle Hilfen hält. „Wir haben offensichtlich aus den Jahren 2015/2016 nicht viel gelernt“, klagte er gegenüber der WAZ. „Bund, Land und Kommunen streiten sich auch heute wieder über die Finanzierung für Kosten der Unterbringung und der Integration.“ Und auch sieben Jahre später gebe es keine gerechte Verteilung von Geflüchteten innerhalb Deutschlands und erst recht nicht europaweit. „Eine gerechte Verteilung und die Finanzierung müssen dringend geregelt werden, weil die Kommunen sonst vor einer Überlastung stehen.“
Ähnlich sieht die Bestandsaufnahme von Gelsenkirchens Sozialdezernentin Andrea Henze (SPD) aus. „Die zusätzlichen Finanzmittel sind willkommen und ein Signal des Landes in die richtige Richtung, mildern jedoch lediglich den weitaus höheren Aufwand für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten in Gelsenkirchen“, zeigt sich die Stadträtin auf WAZ-Nachfrage verhalten.
„Wir gehen im Haushalt 2023 von einem Eigenanteil von rund 43,6 Millionen Euro der Stadt Gelsenkirchen an den Gesamtaufwendungen im Themenfeld Flüchtlinge und Zuwanderung aus“, so Henze. „Durch diese Dimension wird sehr schnell klar, dass die 4,8 Millionen Euro natürlich nicht auskömmlich sind.“ Und in diesen knapp 44 Millionen Euro seien die anteiligen Kosten für Kita- oder Schulneubau, die durch den Zuzug der Menschen erforderlich sind, noch gar nicht erhalten.
Gelsenkirchens Sozialdezernentin Andrea Henze fordert vollständige Kostenübernahme der Flüchtlingskosten
Außerdem ist der Sozialdezernentin zufolge nicht absehbar, wie die weitere Entwicklung der Flüchtlingsbewegung aus der Ukraine, aber auch aus Drittstaaten sein wird. „Alle Prognosen gehen davon aus, dass der Zustrom an Schutz suchenden Menschen anhalten wird. Deswegen wiederholen wir unsere Forderung nach einer vollständigen Kostenübernahme der kommunalen Aufwendungen für Geflüchtete – auch der Vorhaltekosten.“ Also auch für die Unterkünfte und Plätze, die für den Fall plötzlicher Massenströme bereitgehalten werden.
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Es geht Andrea Henze allerdings nicht nur um die finanziellen Hilfen, sondern um drei weitere Punkte. Zum einen müsste die schwarz-grüne Landesregierung – wie sie bereits angekündigt hat – die Plätze in den eigenen Landeserstaufnahmeeinrichtungen (wie etwa in Bochum) erweitern. Zum Zweiten dürfe – damit zusammenhängend – „keine Zuweisung von Geflüchteten mit geringer Bleibeperspektive“ mehr in die Kommunen erfolgen; Gelsenkirchen wurden 2022 insgesamt 375 Asylbewerber zugewiesen, fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor.
Zum Dritten müsse eine „Berücksichtigung der tatsächlich in einer Stadt lebenden Geflüchteten bei jeder weiteren Zuweisung durch die Wohnsitzauflagen-Quote“ erfolgen. Es ist ein komplexes Thema, zu dem sich auch Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) bereits im Sommer vergangenen Jahres kritisch gegenüber der WAZ geäußert hatte. Vereinfacht gesagt wird bei den Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen nicht berücksichtigt, wie viele Flüchtlinge tatsächlich insgesamt in der Stadt wohnen. „Es leben bei uns bereits doppelt so viele Menschen, wie hier nach den entsprechenden Verpflichtungen zur Aufnahme leben müssten“, stellte Welge fest. Dies müsse endlich berücksichtigt werden.