Gelsenkirchen. Weka, Sinn, Boecker, Stellbrink, Preute: Ein Einkaufsbummel an Gelsenkirchens Bahnhofstraße war dereinst durchaus lohnenswert. Ein Blick zurück.
Die Hiobsbotschaften für die Bahnhofstraße als Einkaufsstraße häufen sich. Bevor die Meile ihren Charakter als solche ganz verliert und sich hoffentlich neu erfindet, wirft die WAZ Gelsenkirchen einen Blick zurück auf die Glanzzeit als Flanier- und Einkaufsmeile.
Der Einkaufsbummel durch Gelsenkirchens Innenstadt, er begann in den 50er bis 80er Jahren bereits rund um die Altstadtkirche, an Rundhöfchen und Ahstraße. Der Herrenausstatter „Overbeck & Weller“ empfing seine Kunden an der Ahstraße/Ecke Ebertstraße mit einem Springbrunnen am Eingang und edelstem Marmor an den Wänden – bis das Haus 1978 der Stadtbahn weichen musste. Doch der Herrenausstatter „Coprian“ im Iduna-Hochhaus fing manchen Kunden auf.
Bummel begann schon an der Robert-Koch-Straße
Neben dem heutigen Altstadtcafé an der Robert-Koch-Straße lockte Spielwaren angehende Gelsenkirchener Familien mit entsprechendem Geldbeutel in den Boomer-Jahren mit einem Komplettsortiment rund um den Nachwuchs, vom Kinderwagen über Windeln bis zu Steifftieren. Um die Weihnachtszeit mussten die Schaufenster stets häufiger geputzt werden als sonst, weil Kinder in dichten Trauben sich die Nasen staunend an den Scheiben platt drückten, hinter denen paradiesische Schätze wie Modelleisenbahnen und Sprechpuppen lockten. Ähnlich faszinierend für den Nachwuchs beim Sonntagsausflug „in die Stadt“ war nur die Auslage von „Spielwaren Koch“.
Dazu eine historische Fotostrecke:Womit Gelsenkirchens Bahnhofstraße einst glänzte
Doch zurück zur „Pforte“ der Flaniermeile. Am Neumarkt versorgte „Tischlein deck dich“ die Einwohner mit Feinkost, die auch bei Düsseldorfern das Wasser im Munde zusammen laufen ließ. Gutes Schuhwerk für den langen Einkaufsbummel gab es nebenan bei „Bruns“. Um die Preise in den Geschäften besser entziffern zu können, bot bereits damals nebenan Brillen Benning seine Dienste an. Hier gab es in jenen Jahren auch edles Geschmeide.
Das Café Bußmann lockte eine Tür weiter im Sparkassenhaus mit einem feinen (aber eher faden) Ragout Fin (das sind die Blätterteigtöpfchen mit geschnetzeltem Kalbfleisch in Pilz-Sahnesauce mit Teigdeckel) im Spitzendeckchen- und Biedermeier-Polster-Ambiente zur Stärkung zwischendurch. Wer es moderner mochte, pausierte bei einem Spaghetti-Eis oder Milchshake schräg gegenüber im Eiscafé „De Lorenzo“.
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Die ersten Geldscheine hatten damals also bereits beim Betreten der Bahnhofstraße das Portemonnaie der Flanierenden verlassen. Dabei war auch hier die Auswahl groß. Technikbegeisterte und Hifi-Fans kamen etwa bei Radio Richter im heutigen Dieler-Haus auf ihre Kosten. Hier konnten sie im ersten Stock vom eigenen Tonband träumen. Foto-Abzüge machte Photo Porst. Im alten „Haus der Dame“, das zwar schon früh in Besitz der Familie Schmitz überging, aber noch lange Zeit für Gelsenkirchenerinnen das „Haus der Dame“ blieb, kleideten sich Damen ein. Marken-Mode ebenso wie Nähgarn, Knöpfe in allen Spielarten und Gummilitzen für die Schlüpfer in allen Stärken gab es hier; selbst Nähen nach Schnittmuster war damals weit verbreitet.
Krachlederne im 8XL-Format bei Leder Vater
Einer der wenigen „Überlebenden“ ist Leder Jungmann, allerdings jenseits der Meile. Bei „Leder Vater“ im Zentrum indes hing eine gigantische Krachlederne im Schaufenster. Der Besitzer versprach: Wem die passt, der darf sie behalten – doch es fand sich wohl niemand mit 8XL-Figur. Hier gab es zur Lederkleidung übrigens auch die passenden Handschuhe zum Pelz. Den wiederum erstand die Gelsenkirchenerin bei Boecker am Bahnhof. Und dann waren da noch das Schuhhaus Boehmer, der Juwelier Wehmeyer, der Herrenausstatter Schmoller und allerfeinste Damenunterwäsche gab es bei „Lady M“ in der Arminstraße. Hier harrte auch die Boutique „Junge Moden“ lange aus; hinter deren Auslage träumte mancher Teenager vom (für die meisten unbezahlbaren) perfekten Modell-Outfit. Ebenfalls größeren Geldbeuteln vorbehalten war die legendäre „Martini-Bar“ im ersten Stock neben dem „Haus der Dame“.
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Die Parfümerie „Er und Sie“ verhieß exklusive Schönheit dank edler Cremes und verlockender Düfte; anfangs in Bahnhofsnähe, später am Ort des früheren Cafés Nase, etwa in Höhe des Kaufhofgebäudes. Ganz andere Verführungstaktiken mit vehementen Angriffen auf die „schlanke Linie“ nutzte das „Schokoladenhaus Stellbrink“, ein inhabergeführter Süßwarenladen mit schmalem Ladenlokal und breitem Angebot. Inhaber Wilhelm Stellbrink protestierte im Juni 1963 mit einer spektakulären Aktion gegen die offenbar (damals schon) überforderte Baubehörde. Er klebte seine Schaufenster mit Paragrafen zu und kommentierte die Aktion mit einem Schild: „Unter diesen Paragrafen liegt unsere am 23. Juli 1962 eingereichte Baugenehmigung zur Modernisierung der Außenfront hoffnungslos begraben.“ Lesen Sie auch:Sinn startete in Gelsenkirchen 1928 mit spektakulärer Architektur
Von der Martini-Bar zu Piano Kohl
Auch rund um die Bahnhofstraße war das Einzelhandelsangebot groß. „Blümel“ mit üppigem TV- und Hifi-Sortiment saß am Margarete-Zingler-Platz; als Adresse diente – damals noch zu Recht – die Beschreibung „Am Wochenmarkt“. An der Ahstraße bot das Pianohaus Rating Klavier, Flügel und mehr feil, das Pianohaus Kohl, das auch zu Konzerten einlud und Künstlern wie Günter Uecker eine Bühne bot, residierte zuletzt an der Weberstraße.
Leben herrschte auf der Meile übrigens damals auch jenseits des Einkaufs. Bei Live-Musik im feinen Weka-Restaurant und auch am Abend. Da traf man sich in der legendären „Martini-Bar“, dem „Hotel zur Post“ am Bahnhof, im Apollo-Kino gegenüber Boecker oder in einem der vielen (Eis-)Cafés. Oder man nutzte den Abend einfach zum Bummeln: Zu sehen gab es ja genug.