Gelsenkirchen. . Edith Bierwirth weiß, wie Mode funktioniert. Die heute 79-jährige Gelsenkirchenerin hat lange Jahre als Mannequin gearbeitet, für Gelsenkirchener Unternehmen Kollektionen in München, Düsseldorf und Berlin vorgeführt. Und dabei viele interessante Menschen kennengelernt.
Als sie die alten Fotos vom Weka in der WAZ-Serie „Wo Oma gern eingekauft hat“ sah, wurde Edith Bierwirth ganz wehmütig ums Herz. Nicht nur, weil die heute 79-Jährige dereinst selbst in der Weka gearbeitet hat --nach ihrer Ausbildung bei Dauschert und Co, die sie mit einem Kaufmannsgehilfenbrief 1953 abschloss. Im Weka begann sie ihre Laufbahn als Mannequin.
Jeden Mittwoch gab es in den 50er Jahren im Westfalenkaufhaus Modeschauen. Edith Neumann, wie die junge Frau mit Mädchennamen hieß, arbeitete als Verkäuferin und als Mannequin gleichzeitig. Damit wurde frau nicht reich; 225 Mark verdiente sie im Monat. Aber es machte ihr Spaß. Um noch professioneller zu werden, besuchte Edith die Mannequinschule Huchzermeyer in Essen. Ein „Studio zur Pflege und Erlernung gesellschaftlicher Umgangsformen sowie zur Berufsausbildung für Mannequins und Fotomodelle“.
Mannequinschule bereitete auf die großen Auftritte vor
Die Maße der jungen Frau wurden selbstredend in den Vertrag aufgenommen : 92 – 66 – 96, Kleidergröße 38, Schuhgröße 38, Körpergröße 168 cm. Im Zwischenzeugnis wird ihr neben gutem Aussehen auch bescheinigt, „sicher, flott und selbstbewusst“ zu sein. Das sahen die Modemacher wohl genauso. Schon 1959 eskortierte Edith formvollendet elegant den damaligen Frauenschwarm Bully Buhlan über die Bahnhofstraße.
Später präsentierte Edith Neumann auf Haus- und Hotelschauen Kostüme für Schulze – für immerhin schon 550 Mark im Monat. 1961 ein stattliches Sümmchen. Später arbeitete sie als Vorführdame für Marcona und für Feilgenhauer, bevor sie zu Geppert – später Gelco – wechselte. Hier reiste sie mit Geschäftsführer Dr. Joachim Dreier als Modell zur Modewoche in München, zur Igedo in Düsseldorf und nach Berlin, um dort die neuesten Kollektionen den Großkunden vorzuführen. War das ein Jetset-Leben? „Nein, wir haben bis abends gearbeitet, dann gemeinsam im Hotel gegessen und das war es dann“, winkt sie bescheiden ab. Viele interessante Menschen kennengelernt habe sie dabei allerdings schon.
Als die Ärzte keine Hoffnung mehr hatten, dankte sie ihren Schutzengeln
Vor russischen Botschaftsangehörigen führte sie 1967 in Gelsenkirchen Kostüme mit Mini-Röcken quasi als Appetitanreger vor – Geppert verkaufte schließlich auch nach Moskau.
Als ihr Ehemann Klaus seine Gaststätte „Alter Markt“ in Gelsenkirchen eröffnete, schränkte sie das Reisen ein, um ihn zu unterstützen. Der „Alte Markt“ wurde zum Treffpunkt, ebenso wie die Nachfolgegaststätte in der City, die „Nummer 1“. Als Edith Bierwirth 2003 so schwer erkrankte, dass die Ärzte keine Hoffnung mehr sahen, bedankte sie sich bei ihren Schutzengeln für ihr schönes Leben — und bekam es neu geschenkt. Dafür ist sie bis heute dankbar.
Textilindustrie als fünfte Säule der Wirtschaft vor Ort aufgebaut
Nach dem Krieg wurde gezielt versucht, in Gelsenkirchen die Bekleidungsindustrie als fünfte Säule aufzubauen. Auch, um Arbeitsplätze für Frauen und Mädchen zu schaffen. Dabei half, dass viele Unternehmen aus dem Textilzentrum Breslau nach dem Krieg sich hier niederlassen wollten. Sie produzierten im ersten Stockwerk der ohnehin fast warenlosen Kaufhäuser an der Bahnhofstraße unter einfachsten Bedingungen. An den Nähmaschinen saßen junge, meist kurz angelernte Frauen.
Binnen sechs Jahren, von 1947 bis 1953, explodierte die Branche. 50 Unternehmen produzierten zu Hochzeiten vor Ort mit 6000 Beschäftigten. Krawatten, „Backfisch- und Puttenmäntel“, Eros-Miederwaren, Winterdirndl – die Palette war breit. Die Agbi-Modenschau wurde Vorläufer der Düsseldorfer Igedo, Gelco und Napieralla bauten schnell Produktionshallen. 1958 gab es den ersten Konjunkturknick mit Kurzarbeit, in den 70er Jahren begann die Branche zu schrumpfen. Im Jahr 2000 gab es noch sechs der 50 Betriebe, heute hat nur noch das international tätige Unternehmen Gelco – 1867 in Schlesien gegründet – seine Zentrale in Bismarck. Alle anderen sind in Konkurs oder umgesiedelt.