Gelsenkirchen. Viermal sind in Gelsenkirchen Geldautomaten explodiert. Warum selbst ein Polizeibeamter sagt: „Über einem Automaten möchte ich nicht wohnen.“
Es kracht nachts ohrenbetäubend, dichter Qualm steigt auf, binnen weniger Minuten haben vermummte Täter das Objekt ihrer Begierde geplündert – und jagen auf und davon. Gelsenkirchen wurde gleich vier Mal zum Tatort solch spektakulärer Geldautomaten-Sprengungen: Von Dezember 2022 bis März 2023 hinterließen die Täter in Erle und Resse sowie in Horst und in Scholven nach ihren Raubzügen jeweils ein Trümmerfeld.
Die Zahl der Geldautomaten-Sprengungen entwickelt sich derart steil nach oben, dass der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Nachrüstungen der Geräte fordert. Die deutschen Geldhäuser reagieren, im Vergleich zu anderen Ländern wie den Niederlanden, allerdings verspätet. Jüngst erst hat sich die Deutsche Kreditwirtschaft zusammen mit dem Bundeskriminalamt (BKA) auf Initiative von Justizministerin Nancy Faeser auf eine Reihe von Präventionsmaßnahmen zum Schutz von Geldautomaten verständigt. Im Juni soll es auf Bundesebene weitere Gespräche mit den Banken geben.
Gelsenkirchener Polizeibeamter: „Über einem Geldautomaten möchte ich nicht wohnen.“
Die Geldinstitute rüsten also auf oder wollen es tun, sie weisen aber zugleich darauf hin, dass es „keine pauschal wirksamen Präventionsmaßnahmen gibt“, wie Udo Kramer von der Sparkasse Gelsenkirchen oder Wilhelm Uhlenbruch von der Volksbank Ruhr-Mitte stellvertretend für die hiesigen Geldhäuser sagen.
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Das hat einerseits mit einer veränderten, immer gefährlicheren Vorgehensweise der Täter zu tun. Und andererseits mit der deutschen Vorliebe für Bargeld, dem die Banken Rechnung tragen wollen beziehungsweise müssen. Hierzulande hält sich augenscheinlich noch hartnäckig die Einstellung, dass „nur Bares wirklich Wahres ist“ (siehe Infobox).
Dem BKA zufolge sind die Automaten-Sprenger umgestiegen. Sie nutzen jetzt überwiegend „feste Explosivstoffe statt wie zuvor Gasgemische“. Durch solche Explosionen entsteht meist ein noch höherer Sachschaden und es steigt auch die Gefahr für Menschen. Denn noch immer sind viele Geldautomaten in Wohnhäusern aufgestellt. Hinter vorgehaltener Hand sagt selbst ein Gelsenkirchener Polizeibeamter: „Über einem Geldautomaten möchte ich nicht wohnen.“
Schäden und Investitionen nach Geldautomaten-Sprengungen in Gelsenkirchen: Sechsstellige Summen
Nach Angaben der Sparkasse Gelsenkirchen betrug der Sachschaden der Sprengungen „über 300.000 Euro“. In den vergangenen fünf Jahren sind drei ihrer Automaten im Stadtgebiet in die Luft geflogen. Volksbank oder Deutsche Bank waren zuletzt jeweils nur ein Mal betroffen, entsprechend niedriger fallen wohl die Schadenssummen aus, zu denen gibt es aber keine genaueren Angaben.
Mehr als eine „halbe Million Euro“ investiert die Volksbank Ruhr-Mitte nach eigenen Angaben in mehr Sicherheit für die Geldautomaten hier und in den angrenzenden Nachbarstädten. Die Bank unterhält allein in Gelsenkirchen 20 Automaten. Die Sparkasse will sich dazu nicht äußern, bei einer Zahl von 65 Automaten in Gelsenkirchen dürfte der finanzielle Rahmen der Aufrüstung wesentlich größer ausfallen.
Standort- oder Nachtschließungen nach Geldautomaten-Sprengungen
Bei den beschlossenen Schutzmaßnahmen geht es etwa um mehr Videoüberwachung oder Systeme, mit denen das Bargeld eingefärbt oder verklebt wird, damit es unbrauchbar wird: Letzteres ist eine der Kernforderungen des BDK: Dazu kommen „Vernebelungsanlagen, stärkere Verriegelungen, Zusatzrollladen, die Reduzierung von Bargeldbeständen oder auch Wachschutz vor Ort“, wie die Geldhäuser auf Anfrage zu ihren Gegenmaßnahmen mitteilen.
So viele Geldautomaten gibt es noch
Die Zahl der Geldautomaten beträgt aktuell deutschlandweit etwa 55.000. 2019 waren es noch rund 59.000. Die 371 deutschen Sparkassen verfügen mit etwa 23.000 Geldautomaten über das bundesweit dichteste Automatennetz. Aufgrund der hohen Kosten ist damit zu rechnen, dass sich die Zahl der Geldautomaten weiter verringert.
Eine Umfrage des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen aus 2021 zeigt, warum Menschen hierzulande weiterhin am liebsten mit Bargeld bezahlen wollen. Als häufigste Gründe fürs Bezahlen mit Bargeld gaben Befragte an: Kontrolle über die Ausgaben (35 Prozent), die persönliche Freiheit über die Bezahlform (17 Prozent), Datenschutz (13 Prozent), Gewohnheit (13 Prozent) und eine grundsätzliche Befürwortung des Bargelds als Zahlungsmittel (13 Prozent). Demnach zahlen die Freiheit über die Bezahlform und der Datenschutz auf ein gemeinsames Konto ein.
Die Banken arbeiten dabei „eng mit der Polizei“ zusammen. Mit ihr zusammen wird ein sogenanntes „Risiko-Potenzial“ herausgearbeitet. Fällt die Analyse sehr schlecht aus, zieht das noch härtere Konsequenzen nach sich. Die Sparkasse hat beispielsweise in Absprache mit Experten „die Geldautomaten im Hans-Sachs-Haus und im Rewe-Supermarkt in Buer sowie einige Außenwandautomaten stillgelegt“. Die Volksbank hat wegen der geänderten Sicherheitslage für alle Geräte in den Foyers der Filialen oder SB-Stationen eine „Nachtschließung“ angeordnet.
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Zielführender scheint der Ansatz zu sein, mehr auf den bargeldlosen Zahlungsverkehr und den Farb- und Klebeschutz zu setzen. Erste Anzeichen dafür gibt es aus den Niederlanden, wo die Geldautomaten zu einem Großteil mit Farb- und Klebepatronen gesichert sind. Von dort kommt nach Angaben des BKA allerdings auch ein Großteil der bandenmäßig organisierten Automaten-Sprenger. Weitere in den vergangenen Jahren waren demnach auch reisende Täter aus Osteuropa – insbesondere aus Polen, Rumänien und Moldau.
Sicherheit für Geldautomaten: Trendwende nimmt hier erst langsam Fahrt auf
Während die Zahl der Sprengungen in Deutschland sprunghaft anstieg, ging sie in den Niederlanden deutlich zurück. 2019 waren dort noch 71 Fälle registriert worden, im vergangenen Jahr waren es nur noch neun. Das Bundeskriminalamt hingegen geht für das vergangene Jahr von einem Höchstwert an gesprengten Geldautomaten aus. Gerechnet wird mit rund 500 versuchten und vollendeten Sprengungen. 2021 waren es 392 Taten - der bisherige Höchstwert lag 2020 bei 414 Fällen.