Essen/Münster. Beinahe jeden Tag wird im Revier ein Geldautomat gesprengt. Lassen sich die Geräte durch den Einsatz von Farbpatronen schützen?

Noch nie wurden in der Bundesrepublik so viele Geldautomaten gesprengt wie im vergangenen Jahr. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wollen Geldinstitute, Versicherer und Hersteller jetzt neue Systeme testen, um die Scheine aus gesprengten Automaten einzufärben oder zu verkleben und sie so wertlos zu machen. Wie sinnvoll solche Pläne sind, ist umstritten.

Ministerin droht mit Gesetz

Mittlerweile knallt es fast jede Woche, meistens sogar mehrfach. Allein in Nordrhein-Westfalen gab es nach Angaben des Landeskriminalamts NRW 2022 mehr als 180 Angriffe gegen Geldautomaten mit Sprengstoff, rund 30 mehr als im Vorjahr. Und auch in diesem Jahr vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo ein Automat in die Luft fliegt und dabei immer öfter auch die Gebäude beschädigt vor oder an denen er installiert ist. Innenministerin Nancy Faeser hat deshalb vor wenigen Tagen mit gesetzlichen Vorgaben zum Schutz von Geldautomaten gedroht, falls Banken und Sparkassen ihre Automaten nicht von sich aus besser sichern sollten.

Immer wieder werden Geldautomaten gesprengt
Immer wieder werden Geldautomaten gesprengt © Polizei | Polizei

„Eine leidige Diskussion, die wir seit Jahren führen“, sagt Jens Guschmann, Referent für Bargeldlogistik und Sicherheitsingenieur beim Sparkassenverband Westfalen-Lippe zu dieser Drohung. Bisher habe die Branche dabei einen „präventiven Schutzansatz“ gewählt. „Wir haben versucht, vor die Tat zu kommen.“ Zum Beispiel, indem Zugangstüren nachts gesichert, Videoüberwachungsanlagen angebracht und Tresore speziell gegen die Zuleitung von explosivem Gas geschützt worden sind. „Das hat auch funktioniert.“ Immer öfter hätten die Automatenknacker ohne Beute wieder abziehen müssen.

Aber auch die Gegenseite ist flexibel. Statt vor Ort umständlich und viele Minuten lang mit Gasflaschen zu hantieren, nutzen die meisten Automatenknacker inzwischen Pakete mit festem Sprengstoff – leicht und handlich im Transport und der Installation am Tatort. Videos gibt es, bei denen vom nächtlichen Betreten der Filiale bis zur Explosion des Automaten nicht einmal 40 Sekunden vergehen. Zu schnell für jede noch so schnelle Polizei. Die neue Technik, räumt Guschmann, sei ein „KO-Kriterium“. Da greifen die bisherigen präventiven Maßnahmen nicht. „Dagegen ist kein Kraut gewachsen.“

Systeme sollen getestet werden

Fachleute der Landeskriminalämter schlagen den Banken deshalb nicht nur vor, widerstandsfähigere Geldautomaten zu installieren, sondern vorhandene Automaten auch mit Systemen nachzurüsten, die Geldscheine einfärben. In Schweden, Belgien und Frankreich ist der Einsatz der Tinten-Technologie bereits per Gesetz verpflichtend. Auch in Deutschland sind erste Automaten mittlerweile damit ausgerüstet. Wie wirkungsvoll dieser Zusatzschutz ist, ist allerdings umstritten.

Immer öfter werden Fassaden bei der Sprengung von Geldautomaten beschädigt.
Immer öfter werden Fassaden bei der Sprengung von Geldautomaten beschädigt. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Während hessische Ermittler nach drei Test-Explosionen berichteten, ein großer Teil der Scheine sei durch das Einfärben unbrauchbar geworden, hat der niederländische Chefermittler für Geldautomatensprengungen, Jos van der Stap, jüngst im „Spiegel“ vor übertriebenen Hoffnungen gewarnt: Oft bleibe ein nennenswerter Teil der Scheine ganz oder überwiegend sauber. Auch die Deutsche Kreditwirtschaft, zu der sich die führenden Banken- und Sparkassenverbände zusammengeschlossen haben, gibt zu, dass nicht jedes Färbesystem „ausreichend wirkt“. „Letztendlich kommt es darauf an, wie schnell die Farbe die Geldscheine durchdringt“, erklärt Volker Willner, Pressesprecher des Sparkassenverbandes Westfalen-Lippe.

Um unter anderem das heraus zu bekommen, treffen sich Experten von Banken, Sparkassen und Versicherer in dieser Woche, um – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – verschiedene Tresore zu sprengen und Färbesysteme zu testen. Branchenkenner in Deutschland, die ungenannt bleiben möchten, halten das allerdings für Zeitverschwendung. Sie weisen darauf hin, dass in Deutschland, in sehr geringer Zahl auch in den Niederlanden, immer wieder auch Automaten in die Luft gejagt werden, auf denen unübersehbar ein Aufkleber auf die Farbpatronen hinweist. „Das würden sie nicht machen, wenn sie mit dem Geld nichts anfangen könnten“, sagt ein Sicherheitsexperte und erzählt von einem „regelrechten Schwarzmarkt für gefärbte Geldscheine“ in Osteuropa, auf dem sich verfärbte 100-Euro-Scheine gegen 20er tauschen lassen.

In Holland werden Geldscheine verklebt

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Die Niederländer sind deshalb verstärkt dazu übergegangen, den Inhalt ihrer Automaten – je nach Lage immerhin 100.000 bis 200.000 Euro - bei einer Sprengung zu verkleben. Spezielle Chemikalien verwandeln die Scheine dabei binnen Sekunden in einen dicken, unlösbaren Geldklumpen.

Eine Möglichkeit, über die auch in den deutschen Geldinstituten bisher nur diskutiert wird. Das System sei noch nicht von der Bundesbank zugelassen. Das muss es aber sein, will ein Institut die verklebten Scheine dort wieder gegen neues Geld eintauschen, erklärt Willner. Je nach Zustand des Geldes könne es schwierig sein, Zahl und Echtheit solcher Scheine noch zu überprüfen, erklärt die Bundesbank ihre Zurückhaltung bei der Zulassung.

Dabei drängt die Zeit. Denn die Banden setzen immer stärkeren Sprengstoff ein, um ans Ziel zu gelangen. LKA-Ermittler haben deshalb oft auch nur zwei Wörter dafür, dass in den dadurch beschädigten Gebäuden bisher noch kein Mensch ums Leben gekommen ist. Das eine ist „Glück“. Das andere „Wunder“.