Gelsenkirchen-Buer. Wieso Wurst-Händler Lechtenböhmer („Der Schlesier“) seinen Stand auf den Märkten in Gelsenkirchen-Buer und -Hassel aufgibt. Und wie es weitergeht.
Er ist eine Institution auf den Wochenmärkten Buer und Hassel: Seit Jahrzehnten verkauft „Der Schlesier“ dort etwa seine beliebte Oppelner Wurst, die Krakauer und den deftigen Schwartenmagen, für die die Kundschaft geduldig Schlange steht. Nun wird sie sich umorientieren müssen: Tanja und Johannes Lechtenböhmer geben ihren Stand in dieser Woche auf. Was viele Bueraner bedauern dürften, bedeutet für die Hasseler eine tiefgreifende Zäsur: Auf dem dortigen Wochenmarkt gibt’s dann keine frischen Waren mehr.
Johannes Lechtenböhmer (53) hat sich schon seit einem Jahr mit der Entscheidung geplagt: Soll er seinen Fleisch- und Wurstwaren-Stand schließen, den er vor rund 15 Jahren von seinem Vorgänger Harald Rautenberger übernommen hatte? Soll er seinen Job als selbstständiger Metzger mit Sitz in Oer-Erkenschwick drangeben?
Hohe Arbeitsbelastung ist der Grund für das Aus in Gelsenkirchen-Buer und -Hassel
„Einerseits waren da der Spaß, den mir mein Beruf grundsätzlich immer gemacht hat, und die Nähe zu den Kundinnen und Kunden. Was haben wir gelacht in all den Jahren...“, so Lechtenböhmer. „Andererseits ist aber auch die Arbeitsbelastung immer weiter gewachsen. Als Ein-Mann-Betrieb mit nur einem Helfer schiebe ich rund 80 Stunden die Woche, meine Kinder machen beruflich etwas Anderes.“
Der Metzger in zweiter Generation beriet sich immer wieder mit seiner Frau, die regelmäßig selbst im Verkaufswagen steht und weiß, worum es geht. Vor einigen Monaten ist die Entscheidung dann gefallen – „für mehr Freiheit und Lebensqualität“, wie die 52-Jährige sagt.
„Der Schlesier“ baut samstags in Gelsenkirchen-Buer ab 3.30 Uhr seinen Stand auf
Das Paar hat schon seine eigenen zwei Kinder „nur so nebenher laufen lassen“, das soll ihnen nicht auch mit den fünf Enkeln passieren. Hobby, Urlaube: Alles kam zu kurz – oder fiel ganz aus. „Ich saß seit drei Jahren nicht mehr auf meinem Motorrad, obwohl das meine große Leidenschaft ist!“ Schon ewig sind sie auch nicht mehr im Reiturlaub gewesen.
Wie denn auch?! Samstags steht er um 3.30 Uhr auf dem Marktplatz in Buer, um (allein) seinen Verkaufshänger mit den Waren zu bestücken („das dauert gut zwei Stunden“). An den weniger stark frequentierten Markttagen Dienstag und Donnerstag startet er um 5.30 bzw. 5 Uhr, in Hassel mittwochs und freitags zwischen 5 und 6 Uhr.
Bei Gelsenkirchener Kundschaft flossen zum Abschied die Tränen
Hinzu kommt die Wurst-Herstellung, die auch ihre „gut acht bis zehn Stunden“ dauert: montags, dienstags, mittwochs und freitags zerlegt er dafür in seiner 400-Quadratmeter-Halle die angelieferten Schweine, kocht, brät und verarbeitet das Fleisch mit entsprechenden Gewürzen zu den Köstlichkeiten, für die ihn seine Kundschaft so schätzt. „Donnerstags und samstags verkaufe ich auch noch selbst“, umreißt er sein Pensum. [Lesen Sie auch:Händler-Ideen für Gelsenkirchen-Buer bergen Konfliktstoff]
Handschriftlich auf roter Pappe hat er schon Ende vergangener Woche die Hasseler und Bueraner über das Aus informiert. „Da sind schon viele Tränen geflossen“, berichtet seine Frau und ringt ebenfalls um Fassung. „In Hassel ist es so familiär, da stehen wir ja nur mit dem Geflügelhändler Rosinek und einem Textiler. Klar, dass man sich da gut kennt. Wir duzen uns mit 90 Prozent der Kunden!“
Besonders Senioren in Gelsenkirchen-Hassel schätzen das Miteinander
Als die Nachricht raus war, dass „Der Schlesier“ aufhört, „haben die Leute wie verrückt unseren Mittagstisch zum Einfrieren gebunkert“, erzählt Tanja Lechtenböhmer. „Aus unserer Gulaschkanone haben wir vergangenen Freitag 120 Portionen abverkauft, die ist immer besonders beliebt.“ Aber auch die anderen Eintöpfe seien stark nachgefragt. „Ältere kochen sich so etwas doch nicht für sich selbst.“
Dass diese deftigen Speisen fehlen werden und noch mehr der zwischenmenschliche Austausch: Die 52-Jährige weiß es nur zu gut. Der zweimal wöchentliche Wochenmarkt in Hassel, er ist zwar seit Jahren nur noch auf drei Händler zusammengeschrumpft, nachdem immer mehr Discounter an der Polsumer Straße aus dem Boden geschossen waren. Aber in Sachen Kontaktbörse ist er konkurrenzlos, jedenfalls für Senioren. So vertraut sind Wochenmarkt-Händler und Kunden, dass eine Mitarbeiterin im „Schlesier“-Verkaufswagen gar mehrere Heiratsanträge erhalten habe.
Stadt Gelsenkirchen bemüht sich um Nachfolger mit Frische-Sortiment
Wie es für die (Noch-)Inhaber weitergeht? Tanja Lechtenböhmer hat bereits einen Job in einer Bäckerei gefunden, Ehemann Johannes will als Angestellter in einer Fleischerei anheuern. „Endlich mal einen Acht-Stunden-Tag zu haben“, darauf freut er sich. „Mit Verantwortung sind wir fertig“, ruft seine Frau aus dem Verkaufswagen mit einer gewissen Vorfreude: Dass sie am heutigen Samstag hier auf dem Markt in Buer stehen und nicht durchgängig die Hochzeit ihres Sohnes besuchen können, das schmerzt.
Und der Markt in Hassel? „Er ist auf keinen Fall tot“, betont Siegbert Panteleit, bei Gelsendienste verantwortlich für die Wochenmärkte. „Wir bemühen uns, wieder Beschicker mit einem Frische-Sortiment anzuwerben, aber es wird schwierig. Markthändler: das ist ein Knochenjob.“ Er fürchtet, dass der Weggang des „Schlesiers“ nur ein Anfang sein könnte: „Immer mehr Händler nähern sich dem Rentenalter, ohne dass nachfolgende Generationen den Stand übernehmen wollen. Und Neueinsteiger gibt’s kaum.“ [Lesen Sie auch: Gelsenkirchener Traditionsfleischer schließt seinen Laden]