Gelsenkirchen. Karin Welge findet: Gelsenkirchen übererfüllt Pflichten bei der Flüchtlingsaufnahme. Tatsächlich sind die Zahlen deutlich – aber nur bestimmte.
Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) meldet sich in der Diskussion um die Verteilung von Geflüchteten in NRW deutlich zu Wort – und fordert, dass dringend mehr berücksichtigt wird, „welche Integrationsleistungen für das gesamte Land NRW“ Städte wie Gelsenkirchen bereits erfüllen. „Gelsenkirchen ist bereits ganz weit vorne, in dem was wir tun und leisten.“
Wie die WAZ berichtete, sind viele Revierstädte unzufrieden mit dem aktuellen System bei der Verteilung von Geflüchteten aus der Ukraine. Dabei geht es aktuell vor allem um die sogenannte FlüAG-Quote, die Quote nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz, nach der die Menschen zugewiesen werden. Was dabei für Kritik sorgt: Seit dem 1. Juli bekommen Ukraine-Flüchtlinge ihr Geld vom Jobcenter, sie erhalten keine Asylbewerberleistungen mehr. Durch diesen Rechtskreiswechsel werden sie bei der FlüAG-Quote nicht mehr berücksichtigt.
Während unter anderem der NRW-Städtetag fordert, dass die Ukrainer auch nach dem Rechtskreiswechsel als Zahlfälle berücksichtigt werden sollten, geht Gelsenkirchens Stadtoberhaupt noch einen Schritt weiter - und fordert eine grundsätzlichere Debatte.
OB Karin Welge: In Gelsenkirchen leben doppelt so viele Flüchtlinge wie hier nach entsprechenden Verpflichtungen leben müssten
Laut Welge erfüllt Gelsenkirchen die FlüAG-Quote zu 90 Prozent und könnte somit weitere Flüchtlinge zugewiesen bekommen, um die 100 Prozent zu erreichen. „Das macht den Anschein, als würden bei uns zu wenig Menschen aus dem Fluchtgeschehen versorgt, sagt die OB gegenüber der WAZ. Jedoch werde dabei nicht berücksichtigt, „wer alles wirklich in der Stadt lebt“.
Berücksichtigt werden müsse etwa auch der Zuzug aufgrund von Arbeitsaufnahme oder der Familiennachzug. Mieteinbezogen wird das in einer anderen Quote, der Erfüllungsquote der Wohnsitzauflage. Und diese erfüllt Gelsenkirchen zu 238,5 Prozent.
„Das heißt: Es leben bei uns bereits doppelt so viele Menschen wie hier nach den entsprechenden Verpflichtungen zur Aufnahme hier leben müssten“, stellt Welge klar. Und was noch oben draufkommt: Dabei sind die 11.000 Menschen aus Südosteuropa, die es in Gelsenkirchen ebenfalls zu integrieren gilt, bei der Quote noch nicht mal berücksichtigt.
Die Unterschiede bei der tatsächlichen Verteilung von Flüchtlingen sind in NRW enorm. Die Kleinstadt Borgentreich im Kreis Höxter erreicht bei der Wohnsitzauflage beispielsweise nur eine Quote von 9,5 Prozent. Für die Großstädte in NRW gilt zwar in der Regel, dass sie alle ihre Quote übererfüllen. Dennoch erfüllt sie eine Stadt wie Düsseldorf beispielsweise „nur“ um 118,7 Prozent - das ist etwa die Hälfte von Gelsenkirchen.
Gelsenkirchens OB Welge spricht von „Unsinn“ beim aktuellen Verteilmechanismus in NRW
Welge ärgert, dass diese Realität bei dem aktuellen Verteilmechanismus in NRW nicht berücksichtigt wird.„Ich bin ein Freund von Zahlen, wenn sie Orientierung geben. Ich bin aber kein Freund von Zahlen, wenn sie nicht die Realität widerspiegeln und auch noch in der Ableitung zu Irritationen und falschen Interpretationen führen“, sagt die Oberbürgermeisterin. Man müsse sich von diesem „Unsinn“ befreien. „Wenn man eine ernsthafte politische Debatte führen möchte, müssen wir uns die Realitäten anschauen und keine Zahlen, die morgen schon wieder andere sind.“
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Der Streit um die FlüAG-Quote sei deshalb nicht zielführend – „weil er nicht ehrlich die Frage beantwortet, welche Kommune am meisten leistet und am meisten Unterstützung bekommen sollte“, so Welge. Stattdessen müsse „ernsthaft mit allen Kommunen hier in NRW darüber gesprochen werden, wie Integration von Menschen gut gelingen kann.“ Schließlich sei dies im Interesse des gesamten Bundeslandes.
OB Karin Welge: „Gelsenkirchen versorgt bereits unglaublich viele Menschen“
„Angesichts des Fachkräftemangels brauchen wir eigentlich jeden Menschen und müssen alle gemeinsam daran arbeiten, dass jeder, der zu uns kommt und ein Bleiberecht oder eine Bleibeperspektive hat, auch schnellstmöglich und bestmöglich integriert wird – damit derjenige überall in NRW die Chance hat, nachher einen guten Arbeitsplatz zu bekommen und die Gesellschaft zu stärken“, betont Welge.
Gelsenkirchen dürfe mit dieser Aufgabe nicht alleine gelassen werden. „Denn Gelsenkirchen leistet bereits eine ganze Menge und versorgt unglaublich viele Menschen aus bildungsfernen Schichten und dem Fluchtgeschehen.“
Das sagt das Land
Die Landesregierung versucht aktuell nach eigener Aussage eine Lösung bei der Aufnahme nach der FlüAG-Quote zu finden.
Man prüfe die Auswirkungen sehr genau und stehe dazu im engen Austausch mit der der kommunalen Familie, um eine möglichst praktikable Lösung zu finden, hieß es Anfang der Woche auf WAZ-Nachfrage aus dem Integrationsministerium.