Gelsenkirchen-Buer. Trotz Anwohner-Beschwerden: Die Stadt will die Außengastronomie in Gelsenkirchen-Buer mit neuen Ideen ausweiten. Experiment startet im Mai.
Treffpunkt, Partylocation, und das seit Generationen: Dass das Lokal ohne Namen, im Volksmund gerne „Fuck“ genannt, eine Institution ist, darin stimmten die rund 50 Teilnehmenden einer Bürger-Info-Veranstaltung im Rathaus Buer überein. Das war’s aber auch schon mit der Einigkeit. Spaltete sich das Plenum doch in zwei Lager, als es um Lärmbelästigung an der unteren Hagenstraße ging. Dabei wogten die Wellen der Emotionen durchaus hoch – auch was einige Neuigkeiten in Sachen Stadtentwicklung anging.
Es war der öffentlichkeitswirksame Hilferuf von L.ON-Wirt Christoph Klug von Ende Januar, der Bezirksbürgermeister Dominic Schneider (SPD) dazu veranlasst hatte, Vertreter von Polizei, städtischem Bau-Referat, Wirtschaftsförderung und des Ruhrkultur-Vereins Insane Urban Cowboys aufs Podium zu holen.
Anwohnerin in Gelsenkirchen: Nicht mal Gehörschutz hilft, wenn Lokal-Gäste laut feiern
Sie sollten informieren über die aktuellen Planungen an der Hagenstraße vor dem Hintergrund von Anwohner-Beschwerden über nächtlichen Lärm vor der Gastronomie, die immer wieder Polizei und Kommunalen Ordnungsdienst auf den Plan ruft. Dabei zeigte sich erneut eindrücklich: Der Frust, er ist auf beiden Seiten nach wie vor groß.
Da war zum einen die Familie im Gebäude-Ensemble des L.ON, die nach eigenen Angaben „sechs Tage die Woche bis in die frühen Morgenstunden“ keine Ruhe findet, weil die Musik im L.ON bis nach oben dröhne und sich deren Gäste, wie es heißt, lautstark unterhielten, feierten und stritten. „Nicht mal Gehörschutz hilft, so laut ist es“, begründete die Anwohnerin, warum sie – an einem Abend im Januar sogar vorbeugend – nahezu jedes Wochenende Polizei bzw. KOD benachrichtige.
Gelsenkirchener Familie sieht sich von Polizei und Ordnungsdienst allein gelassen
Ähnlich genervt zeigte sich eine andere Familie von der unteren Hagenstraße von Lärm, der auch von anderen Lokalen und Schnell-Imbissen im Quartier ausgehe. „Fuck, Domgold, Fliegenpils, Wacholderhäuschen und Bringdienste produzieren Lärm und Unmengen Müll, den wir als unbeteiligte Privatleute besonders an den Wochenenden selbst beseitigen müssen. Manche verrichten sogar ihre Notdurft in unserem Hauseingang“, kritisierte ein Anlieger in Richtung Polizei und KOD, dass „Kontrolle und Ordnung nicht stattfinden.“
Polizei-Vertreter Matthias Mieberg äußerte zwar Verständnis, betonte aber auch, dass der Bereich in den Monaten Januar und Februar „unauffällig“ gewesen sei, woraufhin der Sommer als besonders problematisch genannt wurde. Auf Nachfrage stellte er eine häufigere Bestreifung in Aussicht; jeden Abend, wie angeregt, sei diese aber nicht möglich.
Andere Gelsenkirchener fordern mehr Verständnis für Bedürfnisse junger Leute
Und da waren zum anderen etliche Veranstaltungsteilnehmende, die die Bedürfnisse von jungen Leuten in den Fokus stellten. Diesen fehle ein Treffpunkt in Buers City, forderten mehrere, dass Anlieger mehr Verständnis aufbringen sollten.
Während Jürgen Köpsell als Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Bezirksvertretung Nord die Einstellung eines vermittelnden Nachtbürgermeisters vorschlug, hob Gastronom Klug hervor, „dass wir unseren Gästen immer wieder sagen, dass sie Getränke nicht mit nach draußen nehmen dürfen“, damit es dort nicht zu laut wird. „Das gelingt uns auch bei 95 Prozent. Aber gegen Leute, die Alkohol schon mitbringen und sich zu ihren Bekannten stellen, habe ich keine rechtliche Handhabe.“ Den Vorwurf der Anliegerin, es sei an sechs von sieben Tagen zu laut, konterte er mit dem Hinweis: „Sonntag und Montags haben wir geschlossen.“
Gelsenkirchener Verwaltung: Gastronomie und nicht Handel ist es, was City belebt
Unterdessen setzen Stadtverwaltung und Verein Insane Urban Cowboys auf das Experiment „Urbanus-Kiez“, das von Mai bis September mit erweiterter Außengastronomie die Hagenstraße und die Domplatte beleben soll. „In Zeiten zunehmenden Onlinehandels sind sich Fachleute einig, dass es nicht mehr der Einzelhandel ist, der die Innenstädte belebt, sondern die Gastronomie“, stellte Stadtplaner Thomas Robbin klar.
Auch Roman Milenski vom Vorstand der Insane Urban Cowboys, die 2022 mit der Organisation der Veranstaltungsreihe „Urbanus-Herbst“ beauftragt worden war, unterstützte diese Initiative. „Angesichts der guten Erfahrungen des ,Urbanus-Herbsts’ empfehlen wir, mittelfristig die Parkplätze vor dem L.ON komplett zu entfernen, um die Aufenthaltsqualität zu erhöhen.“ Der Bereich sei für eine Stadtbühne nach dem Vorbild des Bochumer Bermuda-Dreiecks ideal, wenn eine Infrastruktur für neue, niederschwellige Kultur-Formate geschaffen werde.
Lärmgutachten und Befragung sollen mögliche Probleme ausloten
Konkret geplant ist, vor dem einstigen „Egons Laden“ vier Parkplätze für die Bewirtung zu nutzen, auch in der Sackgasse vor dem L.ON soll Klug Tische und Sitzgelegenheiten aufstellen dürfen; das Buerno auf dem St.-Urbanus-Kirchplatz will seine Außengastronomie ebenfalls erweitern.
„In der Mitte der Zeit ziehen wir eine Zwischenbilanz und befragen die Bürgerinnen und Bürger. Auch ein Lärmgutachten wird erstellt“, kündigte Roland Kowalke von der Wirtschaftsförderung an. Dass dort „im Kleinen befristet etwas Neues ausprobiert werden soll“, begrüßten viele Teilnehmende. Unmittelbaren Anwohnern war die Sorge über zusätzlichen Lärm allerdings deutlich ins Gesicht geschrieben.
Sonnensegel sollen helfen, Lärm von Außengastronomie nach oben abzuschirmen
Bezirksbürgermeister Schneider zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass große Sonnenschirme oder -segel „helfen, die Lautstärke nach oben hin wegzunehmen, etwa so wie in Bayern, wo den Wirten teils Pflanzen vorgeschrieben sind, die Lärm dämmen sollen.“
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Ob sich damit auch die Sperrzeiten für die Lokale ändern, „weil das Leben um 22 Uhr ja nicht aufhört“, wie ein Wirt unter Beifall betonte, ist unklar. Derzeit gilt in der Regel, dass in dem Bereich ab 22 Uhr Zimmerlautstärke einzuhalten ist. „Das Umweltreferat prüft gerade, was möglich ist, um Gastronomen entgegenzukommen, ohne die Interessen von Anwohnern zu vernachlässigen“, so Schneider.