Gelsenkirchen. Die Allgemeinheit muss immer öfter Unterhaltsvorschuss für Kinder zahlen. Warum diese Entwicklung teils vorprogrammiert ist.
Die Allgemeinheit muss den Unterhalt für immer mehr Kinder in Gelsenkirchen finanzieren. Das geht aus einer Anfrage der Gelsenkirchener Landtagsabgeordneten Enxhi Seli-Zacharias (AfD) im Landtag hervor. Demnach ist die Zahl der Kinder, für die ein Unterhaltsvorschuss gezahlt werden muss, in fünf Jahren fast um etwa 75 Prozent gestiegen – von 2350 Kindern im Jahr 2017 auf fast 4150 im Jahr 2022.
Ergänzend teilt die Stadt auf Nachfrage mit, dass 2023 mit einem weiteren Anstieg zu rechnen sei. „In den vergangenen vier Jahren ist die Zahl der monatlichen Anträge noch nie so hoch gewesen wie jetzt im Januar“, sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. Gründe hierfür seien, dass es immer mehr Alleinerziehende gebe, aber auch der Anteil der jungen Bevölkerung immer größer werde. 2021 gab es einen Rekord bei den Geburten, hinzu kommt der Zuzug vieler junger Menschen aus dem Ausland.
Der Unterhaltsvorschuss ist eine wichtige Leistung für Alleinerziehende, deren Anteil aktuell etwa ein Viertel der Haushalte in Gelsenkirchen ausmacht. Leben die Eltern eines Kindes getrennt, dann ist ein Elternteil zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet. Sollte der unterhaltspflichtige Elternteil seiner Verpflichtung jedoch nicht nachkommen (können), so springt der Steuerzahler ein.
Unterhaltsvorschuss für immer mehr Kinder: Eine Entwicklung mit Ansage
Dass er dies – nicht nur in Gelsenkirchen – in immer mehr Fällen tut, ist zum Teil eine erwartbare Entwicklung gewesen. Denn das Unterhaltsvorschussgesetz wurde 2017 geändert, der Kreis der Berechtigten hat sich seitdem deutlich erhöht. Unter anderem konnten Alleinerziehende seitdem für Kinder bis zum 18. Lebensjahr und auch für einen Zeitraum über 72 Monaten hinaus die Leistung erhalten.
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Auch das Bundesfamilienministerium meldete unter anderem auch deshalb kürzlich einen bundesweiten Anstieg um fast 75 Prozent bei den Leistungsempfängern seit 2017 – allerdings nicht ohne dabei gleichzeitig zu erwähnen, dass sich der Staat auch immer mehr Geld zurückholt. Denn schließlich handelt es sich bei der Leistung um einen Vorschuss: Ist der säumige Elternteil doch in der Lage, muss er die Leistung vollständig zurückzahlen. Für unterhaltspflichtige Eltern, für die eine Trennung ohnehin oft wirtschaftlich einschneidend ist, bedeutet das nicht selten, dass sie die Leistungen über viele Jahre abstottern müssen.
So viel kostet der Unterhaltsvorschuss die Stadt
Wie dem Haushalt der Stadt Gelsenkirchen zu entnehmen ist, wurden in der Stadt im Jahr 2022 insgesamt knapp 12,7 Millionen Euro für Unterhaltsvorschüsse aufgewendet. Wie die Zahl der Kinder, für die ein Vorschuss gezahlt werden muss, hat sich auch der Geldbetrag in den letzten Jahren weiter erhöht. 2020 etwa wurden nur knapp 11,2 Millionen Euro im Haushalt veranschlagt.
Die Kosten werden in NRW zu 30 Prozent von den Kommunen getragen. 40 Prozent übernimmt der Bund und 30 Prozent das Land. Die Abschläge in Höhe von 70 Prozent werden monatlich durch das Land überwiesen. Unterm Strich bleiben also knapp 4 Millionen Euro, die die Stadt zuletzt jährlich aufbringen musste.
Für Kinder bis unter sechs Jahren beträgt der Unterhaltsvorschuss bis zu 187 Euro monatlich, für Kinder von sechs bis unter zwölf Jahren sind es bis zu 252 Euro monatlich, für Kinder von zwölf bis unter 18 Jahren sind es bis zu 338 Euro monatlich.
Wie viel Geld sich der Staat prozentual zurückholt, wird mit der sogenannten Rückgriffsquote angeben, die bundesweit gestiegen ist. NRW-weit ist die nach der Gesetzesreform erst gesunken, aber 2022 wieder gestiegen auf fast 20 Prozent. Für Gelsenkirchen liegen keine aktuellen Zahlen vor. „Der Anstieg zeigt, dass sich die Unterhaltsvorschuss-Stellen intensiv darum kümmern, das Geld zurückzubekommen“, meint man beim Bundesfamilienministerium.
Leistungsbetrug beim Unterhaltsvorschuss? NRW-Familienministerium bremst
Für Seli-Zacharias aber ist die gesteigerte Rückgriffsquote „ein politisches Versagen“, mit einem Fünftel der Fälle sei sie weiterhin zu niedrig. „Vater Staat ist nicht dafür da, Elternpflichten aufzufangen“, meint sie. Zudem sei die Zahl der Kinder in Gelsenkirchen, für die Unterhaltsvorschuss gezahlt werden muss, besonders im Städtevergleich „höchst alarmierend“. Deutlich macht sie die Bewertung mit einem Blick auf Städte wie Köln oder Essen mit sehr viel mehr Einwohnern – aber einer im Vergleich dazu nicht wesentlich größeren Zahl an leistungsberechtigten Familien. In Essen etwa wohnen mehr als doppelt so viele Menschen, dafür gibt es hier nur etwa ein Drittel mehr Familien, die den Unterhaltsvorschuss erhalten.
Seli-Zacharias ist überzeugt: „Die erste Frage, die sich eine Kommune wie Gelsenkirchen stellen muss, lautet: Haben wir es mit zahlungsunfähigen oder eher mit zahlungsunwilligen Personen zu tun, die sich durch Betrug Steuergeld erhaschen?“ Ausgebremst wird die rechte Abgeordnete allerdings schon ein Stück weit vom NRW-Familienministerium: „Anders als durch die Fragesteller angedeutet, ist auch Sozialbetrug im Kontext Unterhaltsvorschuss kein Massenphänomen“, heißt es aus Josefine Pauls (Grüne) Haus Richtung AfD. Oft blieben Unterhaltszahlungen aus, weil der familienferne Elternteil zwar zahlungswillig, aber eben nicht in der Lage sei, die Zahlungen zu leisten.