Gelsenkirchen. Schmuggel, Betrug und Fälschungen: Ein Team von Zollbeamtinnen und -beamten kontrolliert die Warenströme in Gelsenkirchen.
Todschick ist das Louis Vuitton-Täschchen, ein echter Hingucker für die modebewusste Frau, und auch mit der funkelnden Rolex für den Mann lässt sich prächtig Staat machen – zumindest optisch. Zu dumm nur, dass es sich um Plagiate handelt. Herausgefischt aus dem täglichen Warenverkehr haben die minderwertigen Fälschungen Martin Webeling und sein Team. Der 36-Jährige ist der Leiter des Zollamtes Gelsenkirchen. Hier an der Uferstraße 1 in Schalke hat der Zollamtmann zusammen mit zwölf Kolleginnen und Kollegen ein wachsames Auge darauf, was rein- und was rausgeht.
Und das ist eine ganze Menge an diesem trüben Wintertag. Vorn am Schalter steht eine Schlange von Nachzüglern, die die Kraftfahrzeugsteuer für ihre neuen Autos noch nicht bezahlt haben, und dies nun eiligst nachholen wollen. Denn sonst rollt alles andere, nur nicht die eigenen vier Räder.
Auf dem Parkplatz rangieren derweil zwei Lkw quietschend auf die Parkbuchten zu, während im Lagerraum des Zollamtes gerade der Nachschub an DHL-Paketen die Regale füllt – Waren, deren Empfänger nach und nach zur Abholung eintrudeln werden.
Zollamt Gelsenkirchen: Einnahmen von 42,5 Millionen Euro in 2021
Aber der Reihe nach. Denn beim Stichwort Zoll denken die meisten Menschen an die Kontrolle bei der Urlaubsreise. Das ist eine Aufgabe der Zöllnerinnen und Zöllner. Sie kontrollieren aber auch, „welche Waren über die deutschen Grenzen ein- und ausgeführt werden und erheben bestimmte Steuern“, wie Martin Webeling erklärt (z.B. Energie-, Tabak-, Kraftfahrzeug- und Stromsteuer sowie Einfuhrumsatzsteuer).
Mit zuletzt 141 Milliarden Euro (2021) decken die Steuereinnahmen des Zolls beachtliche 45 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes ab – die Arbeit des Zolls ist also systemrelevant. Das Zollamt Gelsenkirchen steuerte rund 42,5 Millionen Euro dazu bei, das Hauptzollamt Dortmund, zu dem neben der Emscherstadt noch sechs weitere Ämter gehören, rund 2,2 Milliarden Euro.
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Der Zoll macht allerdings noch viel mehr. „Unser Spektrum umfasst auch die Bekämpfung der Schwarzarbeit, den Schmuggel von Zigaretten und Bargeld, die Beschlagnahmung und Vernichtung von Plagiaten, die Suche nach verbotenen Waffen oder Sprengstoffen sowie den Handel mit geschützten Tier- und Pflanzenarten“, fügt Webeling hinzu.
Und davon gibt es jede Menge, dazu genügt ein kurzer Blick in eine Glasvitrine – darin nur Fake-Waren. Angefangen von blau-weißen Sneakern des FC Schalke 04 über einen Lego-ICE bis hin zu den fahlen Schädeln von Meeresschildkröten, deren Kiefer selbst nach dem Tod noch zu Lächeln scheinen – befremdlich.
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Jetzt aber erst einmal hinaus in die Winterkälte zu den beiden Schwertransportern. Die Lkw haben eine stählerne Förderbandanlage in Einzelteilen und einen riesigen vormontierten Axialventilator geladen, ihre Wege führen nach Japan und Nordmazedonien. Die Firmen haben die Ausfuhr zuvor am PC angemeldet, bei den Dokumenten war nichts zu beanstanden, ebenso nicht bei der Inaugenscheinnahme der Ware auf den Hängern.
Rund 48.000 Einsatzkräfte hat der Zoll in Deutschland
Wie aber wird sichergestellt, dass unverzollte Waren nicht nach Deutschland und zu uns ins Ruhrgebiet gelangen und so die heimische Wirtschaft im Wettbewerb um die Käufergunst schädigen? Spätestens hier wird es kompliziert, alle zollrechtlichen Bestimmungen aufzulisten, käme dem Verfassen einer Brockhaus Enzyklopädie gleich.
Amtsinspektor Klaus Terhorst nutzt daher ein simples Beispiel zur Erklärung: „Ein Lkw mit nicht angemeldeten Waren aus einem Nicht-EU-Land bekommt an der Grenze bei der Kontrolle ein Dokument mit auf den Weg. Am Bestimmungszollamt Gelsenkirchen sind dann Steuern für die Einfuhr zu entrichten, erst dann ist der Vorgang und damit die Dokumentation abgeschlossen.“
Passiert das nicht oder fehlt die Zoll-Dokumentation, erfüllt das den Straftatbestand des Schmuggelns. Damit wird eine ganze Fahndungsmaschinerie in Gang gesetzt, die durch mobile Einheiten des Zolls (Kontrolleinheit Verkehrswege), beispielsweise auch von der Autobahnpolizei und dem Bundesamt für Güterverkehr unterstützt wird. Sie machen auf den Transitstrecken Stichprobenkontrollen, Schleichwege inklusive. Rund 48.000 Kräfte hat der Zoll bundesweit, darunter 1300 Kräfte in mobilen Einheiten und 3400 in den Zollfahndungsämtern.
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Terhorst und Webeling zufolge ist das Kontrollnetz so engmaschig und sind die Strafen bei Verstößen so empfindlich, dass die abschreckende Wirkung schon sehr hoch sei. „Betriebe, die regelmäßig Waren ein- oder ausführen, können es sich nicht erlauben, Fehler zu machen“, sagen sie. Die Unternehmen verlören sonst ihre Geschäftsgrundlage. „Wir kennen ihre Warenkreise sehr genau.“
Fälschungen in Gelsenkirchen: Rolex-Armbanduhr, Louis Vuitton-Tasche
Verloren hat beispielsweise die Empfängerin einer Winterjacke von „The North Face“, die als Paket von China aus einmal um die halbe Welt gereist ist. Terhorst ist bei der Durchsicht der Unterlagen stutzig geworden, denn als Wertangabe „waren 18 Euro aufgeführt – im regulären Handel kostet die Jacke 400 Euro“. Für Freude und Wärme hätte das Bekleidungsstück ohnehin nicht gesorgt, das wird dem erfahrenen Amtsinspektor sofort klar, als er das Paket öffnet und seinen Inhalt näher begutachtet. Das Futter verdient seinen Namen nicht, Nähte, Reißverschlüsse, Stoff – alles billigste Fälschungen.
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Ganz ähnlich sieht es bei einer „Rolex“-Uhr für immerhin 400 Euro aus. Viel Schein, wenig Sein. Oder bei dem beige-braunen Louis Vuitton-Täschchen. Das verströmt schon von weitem einen ausgeprägten Geruch von Weichmachern, mit denen Kunststoffe gefügig gemacht werden. Alles Fälle für den Schredder oder die Müllverbrennungsanlage.
„So einfach ist es aber nicht immer“, weiß Martin Webeling. Manche Fälschungen seien so gut und teuer, dass selbst Experten den Betrug nicht entdeckten. Bei einer Rolex für 50.000 Euro war das der Fall, erzählt der Gelsenkirchener Zollamt-Leiter. Der Chronograph wurde sogar von einem Uhrenhändler für echt befunden, erst sehr viel später, als ein Uhrmacher ein Original-Ersatzteil in das filigrane Räderwerk einsetzen wollte und es nicht passte, fiel der Schwindel auf. Im Zweifelsfall wird daher der Hersteller zurate gezogen.
Markenhersteller sind zum Teil unerbittlich bei Produktpiraterie: Hohe Kosten für Käufer
Die Hersteller gehen im Übrigen unterschiedlich mit Fälschungen um. Viele veranlassen in Zusammenarbeit mit dem Zoll eine sogenannte Grenzbeschlagnahmung. Bedeutet: Gefälschte Sachen werden vom Zoll, der die Warensendungen an den Drehkreuzen kontrolliert, gemeldet, beschlagnahmt und später vernichtet. 2015 beispielsweise hat das Gelsenkirchener Amt einen „ganzen Übersee-Container gefälschter Nike-Sportschuhe“ durch den Schredder gejagt.
Im Fall des Louis Vuitton-Täschchens wird der oder die Bestellende nicht nur dem Kaufpreis hinterhertrauern, „sondern noch einer Bearbeitungsgebühr von 200 bis 300 Euro durch die Anwälte des Unternehmens“, erklärt Klaus Terhorst. Louis Vuitton, das zum Branchenführer für Luxusgüter „LVMH“ gehört, sei bei der Verfolgung von Marken- und Produktpiraterie „sehr streng und unerbittlich“. Mit entsprechenden Konsequenzen für Käufer, die meinen, ein Schnäppchen über Umwege machen zu können.
Immerhin, wer mit „Paypal“ bezahlt hat, kann sich den Kaufpreis zurückholen, Kreditkartenzahler schauen dem Zoll zufolge meist in die Röhre.
2021 Schmuggelware im Wert von 150.000 Euro entdeckt
Das Zollamt Gelsenkirchen ist verantwortlich für die Städte Gelsenkirchen, Bottrop und Recklinghausen. Das ist ein Einzugsgebiet mit 996.118 Einwohnern und einer Größe von 962 Quadratkilometern.
93 Aufgriffe stehen in der Gelsenkirchener Statistik für 2021, also Schmuggelfälle, in den Alkohol, Nahrungsmittel, Medikamente, Kleidung, elektrische oder elektronische Geräte, den Zollkräften auffielen. Die insgesamt 258 Waren hatten einen Wert von 150.856 Euro.
Vor Corona haben die Zöllnerinnen und Zöllner an der Uferstraße monatlich gut 1500 Pakete und Päckchen kontrolliert, heute sind es nur etwas mehr als zehn Prozent. Das liegt daran, dass in den großen Verteilzentren der Republik – eines ist in Frankfurt, eines in Leipzig – bereits akribisch vorgefiltert wird. Auch der Zoll hat sich eben auf den wachsenden Online-Handel eingestellt.
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Das muss auch der Käufer im Maler-Blaumann zur Kenntnis nehmen, der sein Paket in der Mittagspause abholen will. Mehrere Hundert Euro hat er für „The Mandalorian“, eine bei Fans und Sammlern heiß begehrte „Star Wars“-Figur bezahlt. Geld für die fällige Einfuhrumsatzsteuer (Mehrwertsteuer) bei Waren im Wert von über 150 Euro hat er zwar dabei, nicht aber die nötigen Zoll-Dokumente. Die muss er am PC noch ausfüllen, ausdrucken und vorlegen, ansonsten bleibt der Kopfgeldjäger im Paket und steht nicht im Regal daheim.
„Macht nichts“, sagt der Handwerker. Er will schnell kurz um die Ecke nach Hause fahren, die Formalitäten erledigen und noch vor Pausenschluss erneut am Zoll-Schalter stehen. Erwartungsfroh macht sich der Sammler auf den Weg. „Der war gut drauf“, freut sich auch Zollamtsinspektor Klaus Terhorst. „Denn es gibt auch andere – echte Stinkstiefel.“