Gelsenkirchen. Weniger Ausbildungsplätze, dafür mehr Bewerber: Wie Gelsenkirchens Arbeitsagentur und Unternehmen dieses Problem angehen wollen.
Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz suchen, und Nachwuchs suchende Betriebe haben es in Gelsenkirchen weiterhin schwer, zueinanderzufinden. Im Ausbildungsjahr 2021/22 waren in Gelsenkirchen bei der Arbeitsagentur 2050 Jugendliche und junge Erwachsene – davon 757 Frauen – als Bewerber um einen Ausbildungsplatz registriert; 15 mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig sank die Zahl der von Betrieben gemeldeten Ausbildungsplätze um 55 Stellen auf nun 1328.
Theoretisch gab es im gesamten Agenturbezirk inklusive Bottrop 0,7 Ausbildungsplätze je Bewerber, als „unversorgt“ registriert waren hier im September noch 146 Suchende bezirksweit, das sind 5,4 Prozent aller Bewerber (2718 inklusive Bottrop). Die Quote der Unversorgten liegt leicht unter dem Ruhrgebietsniveau (5,6 Prozent). Auf Bezirksebene sank die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze um 74 Stellen.
Kauffrau/-mann Büromanagement ganz oben auf der Wunschliste
Auch diesmal passten Angebot und Nachfrage nicht wirklich zueinander. Oben auf der Wunschliste der Bewerber standen Kauffrau/-mann Büromanagement (201 Bewerbungen um 117 Stellen), Medizinische/r Fachangestellte/r (169 Bewerbungen um 83 Stellen) , Kfz-Mechatroniker und Verkäufer. Insgesamt blieben im Bezirk 388 gemeldete Ausbildungsplätze unbesetzt. Theoretisch wären das 2,66 Plätze je unversorgtem Bewerber; wenn die Berufe passen würden.
Dank Schulöffnung und Beratungsangeboten in Präsenz spielte die Pandemie im angelaufenen Ausbildungsjahr laut Annette Höltermann, der Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Gelsenkirchen, kaum noch eine Rolle. Die weiterhin große Zahl Unversorgter und auch unbesetzter Stellen zeige jedoch, dass man neue Wege beschreiten müsse, um Heranwachsende für die Berufsorientierung zu begeistern.
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„Der Beruf muss erlebbar werden, die Suchenden müssen sich ausprobieren können. Und wir müssen die Jugendlichen abholen, wo sie sind. Der Marktstand ,Ausbildung to go’ der Jugendberufsagentur etwa, der auch am Skaterpark Hassel und beim Schalketag aufgebaut wurde, ist sehr hilfreich für die Kontaktaufnahme zur Beratung“, erklärt Agentur-Geschäftsführerin Valeska Hurraß.
„Schnupperpraktika und Schülerpraktika sind wichtig für Bewerber und Unternehmen, um sich kennenzulernen. Man ist aufeinander angewiesen, und bei Praktika können Betriebe auch erkennen, ob sie etwa schulische Defizite bei Bewerbern ausgleichen können“, betont Annette Höltermann.
Jobcenter: „Oft lohnt ein zweiter Blick auf Bewerber“
Anke Schürmann-Rupp, Geschäftsführerin des Jobcenters Gelsenkirchen und als solche zuständig auch für 7000 Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren auf Job- oder Ausbildungsplatzsuche, freut sich, dass aktuell 508 Heranwachsende aus dieser Gruppe dank Betreuung in eine Ausbildung wechseln konnten. „Mehr als die Hälfte der betreuten Jugendlichen haben keine deutsche Staatsangehörigkeit, da müssen Kultur, Sprache und Rollenbilder im Blick bleiben für eine Integration in Ausbildung. Betriebe müssen auch dahinter schauen, ihnen eine Chance geben. Oft lohnt ein zweiter Blick“, betont sie.
Eltern ermutigen, bei Betrieben nach Praktika für den Nachwuchs zu fragen
Auch Sabine Meyer, Ausbildungsleiterin der IHK Nord Westfalen, drängt darauf, dass Betriebe mehr auf Chancen achten. In einem Markt, wo um Bewerber geworben werden muss, sei das unverzichtbar. Erfolgversprechend sei es auch, über die Familien die Jugendlichen zur Berufsorientierung zu mobilisieren. Es lohne sich, Eltern zu ermutigen, bei Betrieben nach Praktika zu fragen für den Nachwuchs. Man müsse sich noch mehr auf Bewerber zubewegen, da man aufeinander angewiesen sei. [Lesen Sie auch:Institut hilft Schülern bei der Berufsfindung]
Praktikantenbetreuung für kleine Betriebe oft zu personalintensiv
Carsten Haack, bei der Handwerkskammer Münster für Nachwuchsgewinnung zuständig, kündigt an, künftig weniger auf Großveranstaltungen wie Berufsmessen zu setzen. „Dabei kommt für uns erfahrungsgemäß wenig raus.“ Haack räumt die Bedeutung von Betriebspraktika zwar ein, aber: „Für kleine Handwerksbetriebe ist es angesichts voller Auftragsbücher und wenig Personal schwer, auf Mitarbeiter zu verzichten, die sich um Praktikanten kümmern, ihnen praktische Erfahrung ermöglichen. Man sieht die Notwendigkeit, aber die Umsetzung ist deutlich schwerer als in großen Unternehmen“, erklärt er die Zurückhaltung.
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Extremen Handlungsbedarf sieht er bei der Werbung für Ausbildungsberufe in der Energiebranche und im Sanitärbereich. „Die Energiewende muss kommen, dafür brauchen wir Fachkräfte. Wer soll denn die ganzen Wärmepumpen und Solaranlagen einbauen? Da braucht es auch noch viel Werbung.“
Mehr außerbetriebliche Ausbildungsmöglichkeiten schaffen
Mark Rosendahl, Vorsitzender des DGB Emscher-Lippe, hat auch jene Jugendlichen im Blick, die nicht als unversorgt registriert sind, aber notgedrungen „irgendwo untergekommen sind, in der Regel in einer Berufskollegs-Schleife. Auch die acht Prozent Schulabgänger ohne jeden Abschluss tauchen nirgends auf“, klagt er. Sie alle würden mangels Daten vielfach nicht erreicht. Für solche Fälle gelte es auch, mehr außerbetriebliche Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen.
67 Auszubildende bei Pilkington in der Region
Präsentiert wurde die Ausbildungsmarkt-Bilanz für Gelsenkirchen diesmal in den Räumen von Pilkington Automotive am Standort Schalke. Das international agierende Unternehmen, das innovative Funktionsgläser wie Sonnen- und Brandschutzgläser, komplex gebogene Windschutzscheiben sowie für digitale Display produziert. [Lesen Sie dazu: Pilkington präsentiert neues Zentrallager in Gelsenkirchen]
Das Unternehmen mit 2500 Mitarbeitenden in Deutschland bildet in 15 Ausbildungsberufen im kaufmännischen und im gewerblich-technischen Bereich aus, teilweise verbunden mit berufsbegleitendem Bachelor-Studium. Aktuell befinden sich 67 junge Menschen an den Ruhrgebietstandorten Gelsenkirchen, Gladbeck und Witten hier in einer Ausbildung.
Auch für Pilkington werde es schwerer, Ausbildungsplätze zu besetzen, räumt die Ausbildungsleitung ein. Mit der Kampagne „Wir suchen Durchblicker“ wird aktuell auf vielen Plattformen und Ebenen um Nachwuchs geworben.