Gelsenkirchen. Nach dem Hilferuf ist es an der Hauptschule Grillostraße in Gelsenkirchen ruhiger geworden. Wie die Probleme nun angepackt werden und was fehlt.
Zu volle Klassen, Übergriffe von Schulfremden mit körperlichen Auseinandersetzungen an der Schule als Folge und Eltern, die Probleme ihrer Kinder in der Schule selbst lösen wollten, Polizeieinsätze vor Ort: Im Frühjahr setzte der Leiter der Hauptschule Grillostraße einen Hilferuf an Verwaltung und Schulaufsicht mit Bitte um Unterstützung ab. In der Folge stattete der Kommunale Ordnungsdienst engmaschig der Schule Besuche ab, zeigte Präsenz, die Schultür ist seither verschlossen und damit kommen keine Schulfremden mehr aufs Gelände. Alles gut also?
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So würde Sascha Nölting es nicht formulieren, und auch Schulamtsdirektorin Ulrike Kleber, als untere Schulaufsicht für die Hauptschulen zuständig, denkt das nicht. Deshalb wurde auch als langfristige Einrichtung mit Schulverwaltung und Schulaufsicht eine Expertenrunde mit Schulpsychologen, Jugendamt, Schulentwicklungsberater, Schulleitungen und Lehrerrat sowie Extremismus-Experten installiert. Einmal im Monat trifft man sich, tauscht sich über die Situation und Möglichkeiten an den vier Hauptschulen in der Stadt aus. Denn rosig ist die Lage an keiner der Hauptschulen angesichts der zahllosen besonderen Herausforderungen, die hier zu stemmen sind, das wissen alle Beteiligten.
Bis zu 30 Kinder in der Klasse, viele mit besonderem Förderbedarf
„Wir haben 28 bis 30 Kinder in der Klasse, davon haben bis zu zehn besonderen Förderbedarf. In die fünften Klassen kommen nicht selten Kinder, die in der Grundschule darauf noch gar nicht getestet wurden, was wir dann nachholen, wenn wir glauben, dass es den Bedarf gibt. Aber wir haben weder räumlich noch personell die Möglichkeit, diese Kinder auch individuell besonders zu fördern“, erklärt Nölting die Situation.
Junges, engagiertes Kollegium mit Auswärtigen, die nicht wechseln wollen
Nölting selbst hat die Befähigung für die Sekundarstufe II, könnte also auch ans Gymnasium wechseln. Tut er aber nicht: „Wir haben hier so ein gutes, junges, engagiertes Kollegium, da will ich nicht weg. Und sie bleiben auch alle. Unsere Referendarin kommt aus Paderborn, wollte aber unbedingt bei uns bleiben, der neue Referendar wohnt in Münster, die Schulsozialarbeiterin kommt jeden Tag aus Niedersachsen, 360 Kilometer, aber sie will nicht wechseln. Und da finde ich es natürlich auch gut, dass wir jetzt Unterstützung bekommen, mit KOD und auch mit Fortbildung“.
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Die Fortbildung läuft an diesem Mittwoch ganztägig. Das Aachener Pädagogische Trainingszentrum bringt das Kollegium auf einen einheitlichen Stand. „Es sind einige neue Kollegen dabei, und da ist regelmäßige Fortbildung wichtig, Einheitlichkeit im Team herzustellen“, erklärt Nölting. „Unsere Kinder lechzen nach Struktur, das kennen viele von zu Hause gar nicht. Und daher müssen wir unsere Regeln sehr klar definieren und sehr einheitlich einhalten. Wir haben ein Ampelsystem, mit Verwarnung und mit Unterrichtsausschluss, wenn die Stufe Rot erreicht ist. Und das wird dann auch umgesetzt.“
Simple Regeln, klare Konsequenzen
Die Regeln sind simpel; das sollen sie auch. Pünktlich sein, respektvoll sein, kein Handy im Unterricht, in der Pause auf dem Handy lesen, aber nicht hören. Wer den Unterricht stört – warum auch immer – muss gehen. Und da sei es wichtig, dass es eben keine pädagogischen Spielräume bei der Auslegung gibt, sondern klare Konsequenzen. Ohne Diskussion, so die Botschaft.
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Und was macht man dann mit den Schülern? „Sie müssen vor die Tür, sich dort mit ihrem Verhalten beschäftigen. Es wäre ja gut, sie rauszunehmen in einen anderen Raum und einzeln mit ihnen zu arbeiten: Aber das geht ja wie gesagt nicht mangels Raum und Personal“, erklärt der Schulleiter. Doch bei der Umsetzung der Sanktionen gebe es kein Problem. „Wie gesagt, sie wollen ja klare Regeln, Orientierung.“
Schulamtsdirektorin: „Es geht um Haltung und um Geschlossenheit“
„Es geht um Haltung und Geschlossenheit“, ergänzt Ulrike Kleber das Konzept. Regeln seien wichtig, und die konkrete Absprache, sie einheitlich umzusetzen ebenso. Und für die einzelnen Schüler – „es sind nur eine Handvoll, die anderen wollen wirklich lernen“, so Nölting – , die immer wieder besonders auffällig werden und den Rahmen sprengen, ist bereits eine andere Lösung auf den Weg gebracht.
Externer Dozent will einige besonders Auffällige individuell begleiten
Ibrahim Ismail, Dozent an der Ruhr-Universität Bochum, will mit diesen Jugendlichen arbeiten. Ismail arbeitet seit Jahren mit benachteiligten, verhaltensauffälligen Jugendlichen. Sein Ansatz ist es, den Heranwachsenden Hoffnung und Lust am Leben „einzuhauchen“; vor allem aber Lust daran, dieses Leben auch gestalten zu können: Mit der klaren Ansage, dass es dafür nicht nur die – meist reichlich vorhandene – Energie, sondern auch die Fähigkeiten zur Gestaltung braucht. Dabei setzt er nicht in erster Linie auf Wissenserwerb, sondern darauf, Erfahrungen auf möglichst vielen Gebieten zu sammeln zwecks Persönlichkeitsentfaltung.
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Gewalttätige Zwischenfälle hat es in diesem Schuljahr keine mehr gegeben, versichert Nölting, der KOD habe gewirkt. Doch neben Fortbildung, Extra-Angeboten vom Bochumer Wissenschaftler für die besonders schwierigen Fälle, wünscht er sich für sein Team vor allem Verstärkung. Um kleinere Klassen und individuelle Förderung zu ermöglichen. „Ich hatte gerade drei Stellen ausgeschrieben, aber es gab keine einzige Bewerbung. Da hilft nicht, dass wer einmal da ist, bleibt. Oder dass ich Extra-Stellen bekomme, weil wir die höchste Stufe im Sozialindex erreichen, wenn dann keiner kommt. Es kann nicht sein, dass wir bei Ausschreibungen immer als letzte in der Schlange stehen“ fordert Nölting Änderungen in der Besetzungspolitik. Und das schnell, damit die vorhandenen, engagierten Kräfte nicht aufgeben, weil es so nicht zu schaffen ist.
Angebot für alle vier Hauptschulen der Stadt
Nölting weiß, dass die Situation an allen Hauptschulen besonders schwierig ist, will die eigene nicht in den Vordergrund drängen. Und Schulamtsdirektorin Ulrike Kleber weiß das auch: „Deshalb machen wir diese Unterstützungsangebote auch allen vier Hauptschulen in der Stadt, mit Unterstützung des Bildungsdezernats in Gelsenkirchen und von der Schulaufsicht Münster.“ Nur die fehlenden Pädagogen: Die können diese Beteiligten eben nicht organisieren.