Gelsenkirchen-Erle. Weil explodierende Preise Gelsenkirchener Betriebe in die Zange nehmen, nutzen sie alle Einsparpotenziale. Innungschef Zipper spricht Klartext.
Hier die Energie, dort die Rohstoffe: Explodierende Preise sind derzeit das täglich’ Brot von Bäckereien. Und nun werden die Betriebe mit der im Oktober anstehenden Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro von einer dritten Seite in die Zange genommen. „Die Situation ist dramatisch“, sagt Christian Zipper als Obermeister der Bäckerei-Innung – und hat dabei sowohl Firmen als auch Kundschaft im Blick.
Dass sich die Kosten für Strom und Gas seit dem letzten Sommer vervielfacht haben („wir wissen ja noch nicht, ob es sich um eine Verdrei- oder gar Verzehnfachung handelt“); dass die Preise für Butter, Mehl, Öl und Zucker teils um mehr als das Doppelte gestiegen sind: All das macht den Bäckereien das rentable Wirtschaften Monat um Monat schwerer.
Gelsenkirchener Bäckerinnungsobermeister: „Das ist so nicht mehr zu stemmen“
„Was aber vielfach ausgeblendet wird, ist die drohende Tariferhöhung für unser Personal“, meint er und erklärt: „Wenn eine ausgebildete Bäckerei-Fachverkäuferin im ersten Gesellenjahr 11,50 Euro verdient, dann liegt sie demnächst unterhalb des Mindestlohns von 12 Euro, den eine womöglich ungelernte Aushilfe bekommt. Das kann nicht sein. Ausbildung muss sich doch lohnen, zumal die Mitarbeitenden doch auch höhere Lebenshaltungskosten haben.“
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Zipper ist sich sicher: Die Betriebe werden um eine Erhöhung der Löhne um 15 bis 20 Prozent wohl nicht herumkommen, „und das ist in Summe eine Belastung, die so nicht mehr zu stemmen ist.“
Gelsenkirchener Betriebe optimieren Arbeitsabläufe und Liefertouren
Wie Unternehmen damit umgehen? Ob für die Kunden nun ein saftiger Preisanstieg ansteht? „Nach Einschätzung des Innungsverbands müssten Bäckereien die Preise für ihre Produkte um 20 Prozent erhöhen, um die Kostensteigerungen auszugleichen. Aber das ist nicht realisierbar, erst recht nicht in einer Stadt wie Gelsenkirchen“, so der Geschäftsführer der kurz vor der Fusion stehenden Unternehmen Zipper und Gatenbröcker mit insgesamt 68 Filialen und 800 Beschäftigten.
So bleibe den Firmen bis auf Weiteres nur, Kosten in allen Bereichen zu sparen. „Wir analysieren, ob Arbeitsabläufe etwa so optimiert werden können, dass die Öfen nicht mehr acht, sondern nur noch sechs Stunden laufen.“ Auch die Liefer-Touren zu den einzelnen Filialen würden noch einmal untersucht, um Sprit zu sparen.
Gelsenkirchener Bäckerei-Chef: Teilweise wird das Sortiment reduziert
Schon seit einigen Wochen würden zudem die Öffnungszeiten jeder einzelnen Filiale dahingehend überprüft, ob der finanzielle Aufwand sich etwa in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden angesichts des Ertrags noch lohnt. Das (vorläufige) Ergebnis: „Für mehr als die Hälfte der Standorte haben wir mittlerweile die Öffnungszeiten reduziert.“
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Auch einzelne Produkte würden durchgerechnet, ob sie noch rentabel seien – und dann gegebenenfalls aus dem Sortiment gestrichen. „Das wird die Kundschaft aber kaum merken, weil es sich ja eben um Backwaren handelt, die nicht so stark nachgefragt sind. Die beliebten Standardartikel, die 90 Prozent unseres Umsatzes ausmachen, tasten wir nicht an.“
Einsparungen beim Personal schließt der Gelsenkirchener Firmenchef aus
Und ja, für einzelne Produkte würden auch die Preise etwas erhöht, räumt Zipper ein. Beim Brötchen stehe ein Plus derzeit allerdings nicht an. „Da haben wir ja schon zum 1. Januar auf 40 Cent erhöht.“
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Am Personal zu sparen, „kommt überhaupt nicht in Frage“, so Zipper. „Wir haben ja jetzt schon zu wenige Mitarbeitende.“ Und auch Filialschließungen seien kein geeignetes Mittel, Kosten zu reduzieren. „Wir sind doch auf die Einnahmen angewiesen“, betont er und schiebt dann nach: „Das alles gilt natürlich mit einem gewissen Vorbehalt. 2023 wird das Jahr der Entscheidung. Wenn wir bei Gatenbröcker und Zipper wirklich 1,5 bis 3 Millionen Euro an Mehrkosten für Energie aufbringen müssen, ist es nicht ausgeschlossen, dass wir über Maßnahmen reden müssen, die wir jetzt noch für ausgeschlossen halten.“
Unternehmer wie er hofften nun „sehr darauf, dass der Bund nicht nur den großen Unternehmen hilft, die im internationalen Wettbewerb stehen, sondern auch den mittelständischen Betrieben, die auf die Binnennachfrage angewiesen sind.“ Ohne eine solche Hilfe sei die Existenz so mancher Firmen in Gefahr.
Zipper: Fusion wird wohl Anfang 2023 wirksam
Die Fusion von Gatenbröcker und Zipper ist noch nicht komplett vollzogen. Geschäftsführer Christian Zipper rechnet damit, dass der Zusammenschluss zum 1. Januar 2023 wirksam wird.
Der anvisierte Aufbau eines zweiten Produktionsstandortes oder der Ausbau des Standorts in Erle liegt wegen der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erst einmal auf Eis. Dazu bestehe derzeit aber auch keine Not, da die Kapazitäten aktuell ausreichend seien.