Gelsenkirchen. Wie Mitglieder der Gelsenkirchener LSBTIQ+-Szene im Alltag Ausgrenzung erleben. Rund 120 Menschen marschierten mit beim Christopher Street Day.
„Man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht erlebt hat: Die Leute schauen einen an mit Ekel”, sagt Myles Heykes. Er spricht dabei nicht von einem Ort irgendwo auf der Welt. Er schildert eigene Erlebnisse in seiner Heimatstadt Gelsenkirchen – weil er einen Mann liebt. Kein Einzelfall, wissen die Mitglieder der Szene und haben den diesjährigen Christopher Street Day auf der Bahnhofstraße und dem Heinrich-König-Platz unter dem Motto „Solidarisch – International – Bunt“ zum Forum gemacht gegen gesellschaftliche Ausgrenzung von LSBTIQ+-Personen.
Ein weiteres Beispiel weiß Organisatorin Hannah Trulsen beizusteuern: „In den sozialen Netzwerken gab es zur Ankündigung dieser Veranstaltung einen anonymen Beitrag. Der kündigte an, wenn wir nach unserem Lauf über die Bahnhofstraße den Festplatz erreichen, werde ein Begrüßungskomitee auf uns warten. Ich empfinde das als Bedrohung.” Der Versuch einer Einschüchterung, der nicht gelingt. Denn etliche sind gekommen, Gesicht zu zeigen und Haltung.
Queerer Gelsenkirchener berichtet: „Ich werde regelmäßig angepöbelt“
Dabei scheinen, so mag man es sehen, die mediale Betrachtung und die Realität weit auseinanderzudriften. „Wobei in vielen Medien, Filmen, Serien immer wieder Stereotype bedient werden”, so Hannah Trulsen. Selten, ergänzt Carlotta Jung, würden queere Personen eine ernstzunehmende Hauptrolle spielen. Das wirke sich aus. Homosexualität sei noch vielfach gesellschaftlich missbilligt.
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„Ich werde regelmäßig angepöbelt”, sagt Myles Heykes. „Man muss schon darauf achten, wo man seinen Partner an die Hand nimmt oder küsst – auch hier in Gelsenkirchen. Sobald man als maskuliner Mensch als feminin gelesen wird, ist es schwierig.”
Gelsenkirchener CSD und das bunte Programm sollen helfen, Barrieren abzubauen
Weniger aggressiv, so erzählt es die grüne Landtagsabgeordnete Ilayda Bostancieri, würden Menschen auf zwei einander verbundene Frauen reagieren. „Aber auch nur, weil man mich dabei nicht ernst nimmt.” – „Und nur, wenn es zwei hübsche Frauen sind, die den gesellschaftlichen Ansprüchen genügen”, meint Carlotta Jung. Auch sie hat Ausgrenzung und Anfeindung in ihrer Stadt bereits erlebt. Das Schlimmste daran: „Man hat immer Angst, dass es wieder passiert.”
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Der CSD, der hier heute zum dritten Mal stattfindet, soll zumindest etwas Abhilfe schaffen, Barrieren abbauen. „Alle Menschen sind dazu eingeladen”, betont Hannah Trulsen. Mehr könne man an dieser Stelle nicht tun. Wobei gemeinsam feiern ja immer hilft. Dafür haben die Macher, zu denen auch die Besucherinnen und Besucher des queeren Jugendzentrums „together” gehören, ein buntes Programm aufgefahren – zwei Dragqueens inklusive.
Alkoholisierte Schalke-Fans beschimpfen CSD-Teilnehmende in Gelsenkirchen
Ob die nicht auch Stereotypen bedienen? Die Frage drängt sich auf dem Weg zum Versammlungsort auf. „Dragqueens stellen eine eigene Kunstform dar, die eine historische Bedeutung für unsere Bewegung hat”, sagt Ilayda Bostancieri und erklärt, jene bedienten sich aus Stereotypen, seien aber vielfältig wie die Szene. Es gebe schließlich auch welche, die seien als Mann in Frauenkleidern auf der Bühne daheim glücklich mit einer Frau verheiratet. Oder Frauen, die sich so kreativ ausleben.
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Angekommen am Ausgangspunkt der Pride-Parade folgt zunächst Ernüchterung. 200 Teilnehmer habe man im vergangenen Jahr versammeln können. Jetzt stehen hier knapp 80. Immerhin, als sich der Zug mit vielen Regenbogenfahnen und Musik in Bewegung setzt, sind es rund 120. Und die begleitende Presse.
Diese erlebt nun hautnah, wovon die Teilnehmer eingangs berichten: Bald sind sie spürbar, die skeptischen Blicke. Bald sind sie hörbar, die Ressentiments: „Scheiß Aliens”, rufen ein paar stark alkoholisierte Schalke-Fans aus – und blöken weiter: „Alle verblödet.” Wie sehr dies die derartig Verunglimpften treffen mag, lassen sich diese nicht anmerken. Heute stehen sie nicht alleine da.