Gelsenkirchen. Die Hängebank unterm Consol-Turm wird abgerissen – wegen Einsturzgefahr. Warum sie dennoch für das Gelsenkirchener Wahrzeichen eine Stütze ist.

„Hochrangige Zeugnisse des Industriezeitalters durch Übernahme ins Eigentum vor dem Abriss zu bewahren“ und die ihr „übertragenen Denkmale zu schützen und zu erhalten“ ist Kernaufgabe der 1995 vom Land Nordrhein-Westfalen und der RAG Aktiengesellschaft gegründeten Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur. Da scheinen die laufenden Abrissarbeiten auf Consol in Gelsenkirchen-Bismarck nicht so recht ins Bild zu passen.

Die Hängebank unter dem 1922 errichteten Förderturm wird in einem höchst aufwendigen Verfahren niedergelegt – aber sie ist eben kein Denkmal. Das gilt allerdings für den Doppelbock-Förderturm. Der Rückbau soll seine Zukunft sichern: Zur dauerhaften Sicherung soll das Schachtgerüst ein passgenaues Stahlkorsett bekommen. Weiteres Thema:Große Sorge um die Hängebank unter dem Consol-Turm

Doppelbock-Fördergerüst zählt zu den Gelsenkirchener Wahrzeichen

Sieben Kohlewagen blieben nach Betriebsende auf dem Schienenumlauf in der Hängebank stehen. Sie sollen geborgen und gesichert werden und wenn möglich später einen neuen Aufstellplatz bekommen.
Sieben Kohlewagen blieben nach Betriebsende auf dem Schienenumlauf in der Hängebank stehen. Sie sollen geborgen und gesichert werden und wenn möglich später einen neuen Aufstellplatz bekommen. © Jürgen Bergmann

Seit über 20 Jahren galt die Hängebank als einsturzgefährdet. Der Zechentrakt ist 68,3 Meter lang, 20,2 Meter breit und 24,9 Meter hoch. In dem Komplex direkt unter dem markanten Fördergerüst Schacht 9 kam die geförderte Kohle auf Consolidation zu Tage. Sieben Meter über dem Schachtende wurden hier die mit Kohle beladenen Wagen in den Wagenumlauf gedrückt und entladen. Leer oder gefüllt mit dem Gesteinsmaterial, das nach dem Waschen der Kohle übrig blieb, wurden sie wieder nach unter Tage befördert.

Noch stehen die gefüllten Loren im früheren Wagenumlauf

Noch stehen sieben – gefüllte – Loren im Umlauf, die bald geborgen und gesichert werden sollen. Sie sind nicht die einzigen Relikte der langen Zechengeschichte: Mehr als 90 Tonnen Staub, Ablagerungen, Abrieb, Kohlereste oder auch Öle aus fast 100 Jahren Zechenbetrieb mussten aus der aufgeständerten Schachthalle geräumt und fachgerecht entsorgt werden. Viel schwerwiegender sind die Hinterlassenschaften im alten Bunker. Dort befinden sich noch 750 Tonnen alte Rohkohle aus Betriebszeiten. Sie wird zunächst separiert und zwischengelagert. Bis November sollen diese Arbeiten abgeschlossen sein.

Erforderliche „Aussteifung“ der Konstruktion vorrangig gegen Windlasten

Die Stahlgefache sind weitgehend von den Mauersteinen befreit. Das Bild zeigt, dass die Gerüst-Konstruktion und das Trägerwerk der Hängebank konstruktiv verbunden sind.
Die Stahlgefache sind weitgehend von den Mauersteinen befreit. Das Bild zeigt, dass die Gerüst-Konstruktion und das Trägerwerk der Hängebank konstruktiv verbunden sind. © Industriedenkmalstiftung

Mit „großem Besteck“ für einen schnellen Abriss anzurücken, verbot die Statik: Hängebank und Fördergerüst hängen konstruktiv zusammen. Ohne die Schachthalle wäre der Turm, der auch durch die 2000 entstandene Lichtinstallation Consol Gelb von Günter Dohr zum Wahrzeichen wurde, nicht ausreichend gestützt, so die Profis. Für die statische Sicherung und die erforderliche „Aussteifung“ der Konstruktion vorrangig gegen Windlasten beauftragte die Stiftung das Büro Meyer Ingenieure aus Bochum.

Passgenau wurde dort ein „Korsett“ für das innenliegende Schachtführungsgerüst konzipiert. Vor Ort geht es aktuell in die exakte Umsetzung, „denn erst jetzt, während des Rückbaus, sind die entsprechenden Bereiche überhaupt zugänglich und es kann festgelegt werden, wo Verstrebungen und Verstärkungen erforderlich sind. 14 Tage werden die Stahlbauer hiermit beschäftigt sein“, teilt die Stiftung mit. Erst danach können Reste des Daches, dann die Achsen und der Kohlebunker entfernt und schließlich auch das Stahlfachwerk abgetragen werden.

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Vor diesem entscheidenden Schritt wurden in den vergangenen Monaten Hohlräume unter der Schachthalle sowie Bereiche der Bunkerkeller mit Flüssigboden verfüllt. Ein Bagger brach aus dem tragenden Stahlfachwerk das Backstein-Mauerwerk heraus. Weitgehend per Hand wurden bislang Teilbereiche des Dachs abgerissen. „Die Anforderungen aus dem Arbeitsschutz waren hoch, alle Arbeiter waren mit Spezialequipment angeseilt“, so die Stiftung.

Stadt will Schulneubau auf dem Consol-Gelände realisieren

Der Abriss soll nur eine Zwischenstation werden: Bildungsausschuss und Rat der Stadt gaben jüngst grünes Licht für den Neubau einer Gesamtschule auf dem Consol-Gelände. Entstehen soll eine sechszügige Schule plus Sporthallen-Komplex – eine Entscheidung, die Ursula Mehrfeld, Vorsitzende der Geschäftsführung der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur, ausdrücklich begrüßt

>>> Abrisskosten in Höhe von 1,57 Millionen Euro

Die Hängebank galt als einsturzgefährdet. Die Stiftung konnte „trotz immenser Bemühungen keine Finanzierung für eine Folgenutzung des Gebäudes finden“, so eine Stiftungs-Sprecherin.

Ab Oktober 2021 wurde daher mit dem Rückbau begonnen. Die Kosten liegen bei rund 1,57 Millionen Euro, die über Städtebaufördermittel des Bundes und des Landes NRW finanziert sind.

Es gibt Interesse, eine der Kohlenloren zum alten Holland-Zechengelände, Schacht 4, in Bochum-Wattenscheid umzusiedeln. Platz wäre am Biergarten „Kumpeltreff“, Emil-Weitz-Straße.