Gelsenkirchen. Miese Ampelschaltungen, viel Frust auf den Straßen? Wir blicken hinter die Kulissen von Gelsenkirchens Verkehrsrechner, Herz der Ampelsteuerung.

Welche Ampel sorgt für den meisten Frust bei den Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchenern? Diese Frage in den sozialen Netzwerken hat einige Antworten, vor allem einigen Unmut (hervor-)gebracht. Grund genug, uns erklären zu lassen, wie denn die Ampelschaltung auf Stadtgebiet überhaupt funktioniert. Mit dem Referat Verkehr ging es zum Verkehrsrechner, dem Herzstück der Gelsenkirchener Verkehrssteuerung. Damit verbunden die Erkenntnis: Die Sache ist hochkomplex – und von vielen Faktoren abhängig.

Gelsenkirchens Ampeln: Welche komplexe Technik hinter Rot, Gelb, Grün steckt

„Katastrophal“, „sehr schlechte Ampelschaltung“, „persönliches Unvermögen“, „grandios schlecht“: der Ampel-Zustand auf Gelsenkirchens Straßen schneidet in der Bewertung unserer Leser schlecht ab. Für Andrea Herold, Leiterin des Teams Verkehrstechnik, und Marcel Kern, Abteilungsleiter der Verkehrsplanung bei der Stadt, sind die Kritikpunkte nichts Neues.

Verkehrsingenieur Felix Fichtner, vor ihm der Rechner mit der Software, die den Verkehrsfluss auf der Kurt-Schumacher-Straße in Echtzeit abbildet. In Gelsenkirchen steuert ein Verkehrsrechner die Ampelschaltungen auf dem gesamten Stadtgebiet.
Verkehrsingenieur Felix Fichtner, vor ihm der Rechner mit der Software, die den Verkehrsfluss auf der Kurt-Schumacher-Straße in Echtzeit abbildet. In Gelsenkirchen steuert ein Verkehrsrechner die Ampelschaltungen auf dem gesamten Stadtgebiet. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Ortstermin an einer der wichtigsten Stellen Gelsenkirchens, hier kommen im übertragenen Sinne alle Ampeln zusammen, es ist geballte Technik, die im sogenannten „Verkehrsrechner“ steckt. Wo er steht, dürfen wir aus Sicherheitsgründen nicht schreiben – sein Standort an sich ist weniger beeindruckend, eher laut-rauschend wegen der Lüfter, nüchtern-wirkend wegen der fast deckenhohen Rechner, fast wie ein kleinerer Serverraum. Doch hinter den Mauern geht es um das, was viele Menschen in ihrem Alltag ziemlich beschäftigt: der Verkehrsfluss.

Im Mittelpunkt steht die verkehrsabhängige Steuerung der Lichtsignalanlagen, wie es im Fachjargon heißt. Bedeutet: Je mehr Menschen und somit auch Fahrzeuge am Straßenverkehr teilnehmen, egal ob mit dem Auto, Lkw, der Straßenbahn, dem Fahrrad oder zu Fuß, je mehr „Arme“, also Straßen, in die betreffenden Kreuzungsbereiche hineinreichen, „desto komplizierter wird es und desto geringer ist die Zeit, grün laufen zu können“, erklärt Experte Marcel Kern. 221 dieser Anlagen gibt es auf Stadtgebiet.

„Wir versuchen immer, eine grüne Welle hinzubekommen, die hängt jedoch von mehreren Faktoren ab wie beispielsweise den einzelnen Abständen der Kreuzungen zueinander, der zulässigen Geschwindigkeit sowie dem unterschiedlichen Verkehrsaufkommen in der Haupt- und Nebenrichtung“, fügt auch die Herrin der Ampeln, Andrea Herold, hinzu. Oftmals scheitert das aber am hohen Verkehrsaufkommen, daran, dass die Straßen zu einem bestimmten Zeitpunkt am Tag gerade eben voller sind. Beispiel Berufsverkehr: Laut der Planer wird’s in Gelsenkirchen – wie in vielen anderen Städten des Ruhrgebiets auch – morgens zwischen 7 und 8.30/9 Uhr eng, am Nachmittag von 16 Uhr bis etwa 18 Uhr.

Die 280 Lichtsignalanlagen – als Lichtsignalanlage bezeichnen die Signalplaner die gesamte Anlage an einer Kreuzung: sogenannte Signalgeber (Rot, Gelb, Grün), Masten, Tastern und so weiter – auf Stadtgebiet sind im Schnitt auf eine „Umlaufzeit“ von 85 Sekunden gestellt. Heißt: In dieser Zeit hatte jeder Wartende einmal Grün. Wenn es denn so einfach wäre: Es kommen noch Punkte hinzu, die den Ampel-Fluss und somit die grüne Welle ins Stoppen bringen können.

Ein Steckplatz, viele Autos: Fast 90 Prozent der Gelsenkirchener Lichtsignalanlagen sind an den Verkehrsrechner angeschlossen.
Ein Steckplatz, viele Autos: Fast 90 Prozent der Gelsenkirchener Lichtsignalanlagen sind an den Verkehrsrechner angeschlossen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Beispiel: öffentlicher Personennahverkehr. Sowohl die Linienbusse als auch die Straßenbahnen werden priorisiert, haben Vorrang. Der Grund liegt auf der Hand: „Ein guter ÖPNV macht sich eben durch Pünktlichkeit aus“, so Marcel Kern. Bus und Straßenbahn melden sich vollautomatisch auf ihren Wegen innerhalb der Stadt an, über in den Boden eingelassene Sensoren. Jedes einzelne Fahrzeug müsse das Signal auslösen, so die Planer.

So gerät die eigentlich grüne Welle schnell mal ins Stocken: „Es kann sein, dass es dann kurzfristig nicht mehr funktioniert“, so die Ampel-Planer. Aber: Mit der Zeit reguliere sie sich wieder von selbst. Abhängig vom Verkehrsaufkommen, sicherlich auch von der Rück- und Umsicht der Verkehrsteilnehmer.

Gelsenkirchener Verkehrsingenieur: „Ampelsteuerung gar nicht so einfach, wie viele denken“

An diesem Nachmittag treffen wir auch Felix Fichtner, er hat den Platz vor dem Raum mit dem Verkehrsrechner, vor seinen Augen die Kurt-Schumacher-Straße. „Es ist gar nicht so einfach, wie viele denken“, sagt der 26 Jahre alte Verkehrsingenieur. Die am stärksten befahrene Straße der Stadt ist an diesem frühen Nachmittag rot und gelb, zumeist aber grün, immer in Linien.

Auf dem Bildschirm fließt der Verkehr in Echtzeit, zu sehen ist dann natürlich auch, wo es hakt. Die Software ist mittlerweile auf jedem PC der Verkehrsplaner verfügbar, die ständige Präsenz in den Räumen des Verkehrsrechners nicht mehr nötig. Und sie garantiert ein schnelles Eingreifen, wenn es zu Problemen kommt. Es ist so: Die Technik ist wichtigstes Instrument bei der Ampelschaltung.

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Konkret beziehen Andrea Herold und Marcel Kern Stellung zu der Kritik unserer Leser, etwa der zu kurzen Grünphase an Fußgängerampeln an der De-la-Chevallerie-Straße, der Horster Straße und an anderen Stellen. „Wir haben viele Anfragen diesbezüglich“, berichtet Andrea Herold. Die Experten geben Entwarnung: Auf die Grünphase folge eine sogenannte „Schutzzeit“. Auch wenn die Ampel auf Rot springt, bleibe so für all die, die sich gerade noch auf der Straße befinden, ausreichend Zeit, die andere Seite sicher zu erreichen.

Grundsätzlich gilt folgende Berechnungsformel für die Überquerung: Ein Fußgänger legt 1,2 Meter pro Sekunde zurück. Nach der Länge der Furt richtet sich die Zeit, in der Grün ist. „Wenn plötzlich Rot ist, gehen Sie einfach weiter, gehen Sie ja nicht zurück“, rät Andrea Herold. Und Marcel Kern fügt hinzu: „Sie können ganz entspannt weiterlaufen, bis Sie die Kreuzung passiert haben.“ Eingerechnet sei eben, dass der Fußgänger auch den Weg zurücklegen kann, den er möchte.

Gelsenkirchen hat ein Straßennetz, das einmal für 400.000 Bürger ausgelegt war. Die Zeiten ändern sich, mittlerweile habe, so Marcel Kern, das Signalanlagen-Netz ein gewisses Alter erreicht, war in der Vergangenheit ausschließlich ausgerichtet auf den Pkw-Verkehr. Nun, in Zeiten, wo sich Mobilität stark wandelt, immer mehr Radfahrer den Straßenraum erobern, Klima- und Umweltschutz in der Prioritätenliste ganz nach oben wandern, müssen auch die Verkehrsplaner anders denken.

Sie verweisen auf den Masterplan Mobilität, den Verkehrsentwicklungsplan der Stadt, der für die zukünftige Mobilität in Gelsenkirchen Leitbilder, Ziele und Maßnahmen definieren soll. Dieser Masterplan soll künftig Konzept, soll Grundlage sein für das Handeln von Politik und Verwaltung. Mit der Fertigstellung rechnet die Stadt noch in diesem Jahr, heißt es.

Auch wenn sich die Zeiten ändern, der Prozess schon läuft, denken die Verkehrsplaner schon heute mit: „Wir wollen nicht nur für den einen Verkehrsteilnehmer etwas tun, sondern für alle und das auskömmlich“, sagt Marcel Kern. Und mit Blick auf die Beschwerden sagt Andrea Herold: „Wir versuchen unser Möglichstes.“

Persönlicher Kontakt zu den Verkehrsplanern

Von den insgesamt 280 Lichtsignalanlagen auf Gelsenkirchener Stadtgebiet wird der Großteil, genauer 221 Anlagen, verkehrsabhängig gesteuert. 59 Anlagen haben eine Festzeitsteuerung, stellen sich also zu bestimmten Zeiten immer Grün und richten sich nicht danach, wie hoch das Verkehrsaufkommen gerade ist. Langfristig sollen alle der 59 Anlagen durch verkehrsabhängige Steuerungen ersetzt werden, heißt es seitens der Stadtverwaltung.

Andrea Herold und Marcel Kern bitten: Es sei immer wichtig, Informationen über Schäden, Frust oder Ärger von den Bürgern zu bekommen. „Wir sind sehr dankbar, denn dann können wir auch reagieren“, sagt Andrea Herold. Bei kleineren Schäden und Meldungen empfiehlt sie die Mängel-Melder-App der Stadt, „GE-meldet“. Gerne steht sie auch für einen persönlichen Kontakt unter 0209/169-4278 zur Verfügung.

Zurück in die Gegenwart: Wie läuft’s denn bei Großereignissen, wenn beispielsweise am kommenden Samstagabend der FC Schalke in der Arena ab 20.30 Uhr gegen den FC St. Pauli spielt? Dann würden die „Sonderprogramme“ greifen, die stufenweise je nach Zulauf eingeschaltet werden. Rund um die Arena sind dann weitläufig alle Ampeln so geschaltet, dass etwa anderthalb Stunden vor dem Spiel eine Umlaufzeit von 120 Sekunden gilt. Je mehr Verkehr also irgendwann Richtung Stadion drängt, desto intensiver wird dieser auch dorthin geleitet.