Gelsenkirchen-Buer. Wie versuchen Krankenhäuser, attraktiver für dringend gesuchte Pflegekräfte zu werden? Das Bergmannsheil in Gelsenkirchen-Buer als Beispiel.
- Pflegekräfte werden überall gesucht, der Arbeitsmarkt ist hart umkämpft.
- Das Bergmannsheil in Gelsenkirchen-Buer versucht, auf verschiedenen Ebenen auf den Fachkräftemangel zu reagieren – mit Benefits für Beschäftigte, ausländischen Fachkräften oder erhöhten Ausbildungskapazitäten.
- Ein Image-Problem in der Pflege sieht Pflegedirektorin Martina Koch weniger. Fehler lägen eher in der Vergangenheit.
Auf einem zunehmend umkämpften Arbeitsmarkt werden Pflegekräfte langsam zum raren Gut. Wie geht ein Krankenhaus wie das Bergmannsheil in Gelsenkirchen-Buer mit der Situation um? Darauf hat Martina Koch, Pflegedirektorin in der Bergmannsheil- und Kinderklinik Buer GmbH Antworten – und „ihr“ Haus etliche Rezepte.
Gelsenkirchener Haus erweitert Angebote „inhaltlich und medizinisch“
„Wir werben 365 Tage im Jahr um neue Kräfte. Das wurde erstmals ab 2019 mit dem Pflegebudget möglich – jede Pflegefachkraft, die für den Dienst auf den Stationen eingestellt wird, wird seitdem refinanziert. Seitdem betreiben wir über unsere Geschäftsführung einen extremen Aufbau.“ Der Anspruch lautet, das Bergmannsheil inhaltlich und medizinisch zu entwickeln. „Wir reden da über mehr und bessere Angebote. Und dafür brauchen wir mehr Personal“, sagt Martina Koch. Ihr Credo: „Pflege ist das Nadelöhr der Entwicklung.“ Deshalb engagiert sich die Klinik massiv in diesem Bereich. Auch im Ausland. 53 Fachkräfte aus Serbien und Mazedonien zieht es ab April nach Buer. Lesen Sie auch: Corona – Holländerin traf im Bergmannsheil ihre Lebensretter
Pflegedirektorin Koch: „Pflege ist das Nadelöhr der Entwicklung“
„Dass wir alle ein Stück weit Notstand haben“, stellt auch Koch fest. „Wenn du an der Decke ziehst, und das tun wir gerade alle, wird sie immer wieder an einer Ecke kürzer“. Doch die Pflegedirektorin sieht kein generelles Problem, das mit dem Image der Branche oder der Attraktivität der Pflegeberufe zu tun habe. Nach wie vor wollten „sehr viele junge Leute“ in die Pflege. Die Fehler sieht sie eher in der Vergangenheit, in der in den Kliniken Kosteneffizienz zu oft einherging mit maximaler Leistungsverdichtung.
Zwei Zahlen belegen, wie sich die Situation verändert hat: 5,6 Tage Liegezeit verbringen Patienten heute im Schnitt im Krankenhaus. „In meiner Ausbildungszeit waren es noch zwölf Tage“, sagt Koch. Ein weiterer Kardinalfehler aus ihrer Sicht: „Wir brauchen höhere Ausbildungszahlen. Das weiß jeder.“ Lesen Sie auch: Pflegekräfte – die Suche ist in Gelsenkirchen besonders schwer
Im Bergmannsheil wurde entsprechend im Ausbildungsverbund reagiert: Von 62 auf 160 werde bis 2023 die Auszubildendenzahl steigen. „Aktuell sind wir bei 90 Plätzen“, so Koch. „Jetzt sind wir wirklich in der tollen Lage, neue Kurse zu füllen. Der Neubau der lokalen Pflegeschule für den Standort Gelsenkirchen im Verbund mit dem Knappschaftskrankenhaus Bottrop und dem Klinikum Vest beginnt noch 2022.
Fluktuation führt nicht zwingend aus dem Beruf heraus
Natürlich registriert man am Bergmannsheil auch die Wechselstimmung bei etlichen Beschäftigten. „Doch die Leute sind nicht in oder wegen der Pandemie aus der Klinik gegangen. Die Fluktuation habe zwar zugenommen, aber sie führe nicht zwingend aus dem Beruf heraus. „Diejenigen, die gegangen sind, arbeiten auch weiter in der Pflege“, so Koch.
Manche wechselten aber zu Zeitarbeitsfirmen, weil sie vielleicht dort – gerade mit Teilzeitstellen – eher ihren Wunschdienstplan realisieren könnten, manche gingen in andere Kliniken, weil dort die Konditionen für sie besser passen. Pflege, sagt Koch, sei ein zunehmend offener Arbeitnehmermarkt geworden. Auch das Bergmannsheil verzeichnete Ab- und etliche Zugänge. 663 Beschäftigte im Pflegebereich hat das Haus. „In den vergangenen anderthalb Jahren haben wir 66 examinierte Kräfte eingestellt, die Fluktuation liegt bei rund zehn Prozent.“ Weiteres Thema:Pflegeschule am Bergmannsheil startet durch
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Geld, stellt Koch fest, sei ein Kriterium bei der Stellenwahl und für die Job-Zufriedenheit, aber nicht das allein entscheidende. Viel wichtiger sei den meisten Beschäftigten ein verbindlicher Dienstplan. „Die wollen nicht mehr die Belastung durch dauerndes Einspringen“, sagt Koch. Mit 20 vollexaminierten Vollzeitkräften in einem sogenannten Flexipool steuert das Bergmannsheil gegen. Durch die Springer – sie erhalten übrigens einen Gehaltszuschlag von 300 Euro – wurde das Ausfallmanagement verbessert, könne aber auch individueller agiert werden.
„Wann und wie willst du arbeiten?“, das sei die Kernfrage, auch wenn es beispielsweise darum geht, Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen mit der Arbeitszeit zu verbinden. Hier ermögliche das Bergmannsheil „gut abgestimmte Benefits, die es dem Personal leichter machen, im Haus zu bleiben“, glaubt die Pflegedirektorin. Weiteres Thema:Was der neue Chef im Bergmannsheil Buer vorhat
Eine Willkommens- und Begrüßungskultur für neue Beschäftigte
Als Krankenhaus gelte es zunehmend, attraktiv für die Beschäftigten zu sein und die Bindung zum Personal zu verbessern. Dazu gehört für Koch Wertschätzung von Anfang an. Dazu zählt sie eine Willkommens- und Begrüßungskultur für neue Beschäftigte, aber auch verbesserte Strukturen für alle Mitarbeitenden. Das Projekt „Pflegeattraktiv“ läuft im Haus, mit Arbeitsgruppen und einem straffen Zeitplan. Bis Mai soll klar sein, wie beispielsweise die Entlassungs-, Urlaubs- oder Dienstplanung optimiert werden kann.
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Als Standortvorteil sieht Koch „unsere Kinderklinik am Haus. Die ermöglicht noch einmal ganz andere Berufsperspektiven. Wir gewinnen dadurch Bewerber, weil wir eine berufliche Vertiefung in der Kinderkrankenpflege anbieten können.“ 2000 Stunden Ausbildungszeit verbringen Nachwuchskräfte dort.
Angeworbene Kräfte haben Gelsenkirchen bereits kennengelernt
In der Kinderklinik kommen auch sieben der – mit einer Vermittlungsagentur – neu angeworbenen Kräfte aus Serbien und Mazedonien zum Einsatz. Alle haben bereits eine Woche in Gelsenkirchen hospitiert und sich die Stadt angeschaut. Es sind examinierte Kräfte, die in ihren Heimatländern minimal bezahlt werden und keine Berufschance sehen.
„Die Menschen sitzen auf gepackten Koffern, weil sie keine Perspektive haben“, glaubt Koch. Zunächst bekommen sie einen – unbefristeten – Vertrag als Pflegehelfer, später gehen sie für ihre Examinierung ins Anerkennungsverfahren. Praxisanleiter werden ihnen zur Seite stehen. „Mit den 53 Kräften sind wir sehr gut aufgestellt“, glaubt Koch. „Wir übernehmen aber auch eine große Verantwortung.“
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