Gelsenkirchen. Die Teilnehmer der Innenstadt-Umfrage fühlen sich an Gelsenkirchens Bahnhof- und Hochstraße unsicher. Das sagen Polizei und KOD zu den Vorwürfen.

Sind die Gelsenkirchener Innenstädte, die Bahnhofstraße im Süden und die Hochstraße im Norden, verloren? Geht es nach den Teilnehmern der nicht repräsentativen WAZ-Umfrage lautet die häufig gegebene Antwort: Ja. Zu wenig hochwertige Angebote, zu wenig Atmosphäre, zu viel Müll, zu viele Bettler, zu viele Migranten, zu wenig Sicherheit – so begründen viele der Befragten ihre Entscheidung, die Zentren zu meiden. Doch was sagen die Ordnungshüter dazu – ist die Lage unsicher?

KOD und Polizei: Bahnhof- und Hochstraße in Gelsenkirchen sind sicher

„Aus den persönlichen Kontakten der Außendienstdienstkräfte des Kommunalen Ordnungsdienstes und des Verkehrsüberwachungsdienstes zu den Bürgerinnen und Bürgern können die in den Umfrageergebnissen geschilderten Wahrnehmungen durchaus bestätigt werden“, heißt es auf Nachfrage bei der Stadt. Festzuhalten sei aber auch, dass es sich um ein subjektives Gefühl handele, welches sich durch objektive Werte oder Statistiken nicht bestätigen lasse.

Zahlen liefert das Ordnungsamt ebenfalls: Bei den festgestellten Ordnungsverstößen – wie beispielsweise illegale Müllbeseitigung, das Verrichten der Notdurft, unerlaubtes Musizieren in der Fußgängerzone, nicht angeleinter Hund – liegt die Bahnhofstraße in den Jahren 2020 und 2021 vor der Hochstraße, im vergangenen Jahr sogar weit vor dem Zentrum von Buer.

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22 Verstöße verzeichnet die Stadt für 2020 an der Bahnhofstraße, 2021 hat sich diese Zahl mehr als verdoppelt, auf 52. An der Hochstraße gab es 2020 drei festgestellte Verstöße, ein Jahr später hat sich die Zahl etwas mehr als vervierfacht und liegt bei 13. Die Zahlen seien für eine Großstadt mit knapp 270.000 Einwohnerinnen und Einwohner „unauffällig“, so die Verwaltung.

Auf der Hochstraße in Buer fühlen sich die Gelsenkirchener sicherer als auf der Bahnhofstraße. Die Polizei bestätigt: In der Altstadt gibt es im Vergleich zu Buer deutlich mehr Delikte.
Auf der Hochstraße in Buer fühlen sich die Gelsenkirchener sicherer als auf der Bahnhofstraße. Die Polizei bestätigt: In der Altstadt gibt es im Vergleich zu Buer deutlich mehr Delikte. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Allerdings: Die Werte müssen mit Blick auf die Corona-Pandemie und deren Auswirkungen betrachtet werden. So musste sich der Kommunale Ordnungsdienst in den vergangenen zwei Jahren vermehrt auf die Kontrolle der Corona-Schutzmaßnahmen konzentrieren: In beiden Innenstadtzentren haben die Beamten des KOD im Jahr 2020 insgesamt 678 Verstöße gegen die Schutzbestimmungen geahndet, im Jahr 2021 waren es 1050. Ein weiterer Punkt: In Folge der Lockdowns waren die Innenstädte zudem deutlich leerer.

Im Polizeipräsidium Gelsenkirchen verzeichnet man das niedrigste Straftatenaufkommen seit 22 Jahren. Das hatte jüngst die Auswertung der Kriminalstatistik 2021 gezeigt. Zur aktuellen Lageentwicklung würden diese Daten regelmäßig herangezogen, einzelne Stadtteile oder Straßen könnten aber nicht gesondert abgebildet werden. Dennoch bestätigt die Behörde ein Stück weit die Eindrücke der befragten Leser: Auf der Bahnhofstraße gibt es laut Polizeiangaben im Vergleich zur Hochstraße deutlich mehr Delikte. „Etwa ein Sechstel dieser Straftaten werden im Bereich der Hochstraße in Buer gelistet“, so Polizeisprecher Matthias Büscher.

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Dreiviertel aller Straftaten im Bereich der Bahnhof- und Hochstraße sind nach Polizeiangaben Diebstähle, vor allem Laden- und der Taschendiebstähle. Und auch hier zeigt sich der große Trend im Kleinen: „Insgesamt sind die Fallzahlen in den letzten drei Jahren (2019 bis 2021) deutlich rückläufig. Allein beim Ladendiebstahl ist ein Rückgang um circa 50 Prozent zu verzeichnen, beim Taschendiebstahl sogar um 71 Prozent“, so Matthias Büscher.

Das diffuse Gefühl von Unsicherheit, Unwohlsein, die Frage nach der Sicherheit in Gelsenkirchens Zentren – darauf gibt es unterschiedliche Antworten, sowohl objektive als auch subjektive Einschätzungen. „Das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger weicht in der Regel von der tatsächlichen Sicherheit ab“, so die Gelsenkirchener Polizei. Gründe dafür würden häufig in „eigenen Erfahrungen, der sozialen Stellung, dem Wohnumfeld, den sozialen Kontakten sowie weiteren Faktoren“ liegen.

Die Umfrageergebnisse hätten andere Ursachen als die tatsächliche Sicherheitslage, heißt es auch seitens der Stadt. Die steht in regelmäßigem Austausch mit anderen Kommunen und Städten. Hier hätte sich gezeigt, dass es sich nicht um Einzelphänomene handele, es gebe viele Großstädte, gerade im Ruhrgebiet, die von vergleichbaren Verhältnissen betroffen wären.

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Die Stadt erläutert weiter: „Es sind häufig kulturelle Unterschiede in der Freizeitgestaltung, dem Auftreten oder auch im Lautstärkeverhalten, die zum Unsicherheitsgefühl führen.“ In den meisten Fällen liege das Verhalten unterhalb der Schwelle von Ordnungsverstößen oder gar Straftaten. Außerdem seien die „negativen Veränderungen“ in den Innenstädten eher an Armut als an Migration beziehungsweise Zuwanderung festzumachen.

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Ein Fallbeispiel: Im Mai vergangenen Jahres hatte der Buchhändler Dirk Niewöhner vom Dauer-Ärger mit jungen Migranten rund um seine Buchhandlung Kottmann am Heinrich-König-Platz berichtet. Die Berichterstattung schlug hohe Wellen – seine Kritik auch. Ein anderer Hotspot entwickelte sich im Norden, am Goldbergplatz und am ZOB in Buer. Die Stadt erklärt dazu: „Hier wurden unter der Einbindung sozialarbeiterischer Aktivitäten kurzfristig Maßnahmenkataloge entwickelt. Das ressortübergreifende Vorgehen hat in beiden Bereichen kurzfristig zu einer Verbesserung geführt.“

Tatsächlich ist es so, dass sich die Menschen wohler fühlen, wenn uniformierte Beamte, sei es vom KOD oder der Polizei, in der Nähe sind. Das ist auch der Stadt bekannt: „In diesem Wissen entfielen im Jahr 2021 circa 13.000 Einsatzstunden des KOD auf Präsenzstreifen in den beiden Innenstadtzentren Buer und Gelsenkirchen“, so Stadtsprecher Martin Schulmann. Das entspreche einer durchschnittlichen Tagesleistung von sechs Dienstkräften. In den nächsten drei Jahren soll der KOD noch weiter wachsen – von 50 auf 100 Dienstkräfte.