Gelsenkirchen-Bismarck. Es wäre die Wiederauferstehung eines Gelsenkirchener Denkmals: Am Bahnwerk Bismarck prüft der Zug-Hersteller CAF den Bau eines Wartungsbetriebs.

Im Juni 2021 haben der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) die Weichen für einen Großauftrag gestellt. Ab 2025 sollen batterie-elektrische Schienen-Fahrzeuge der weltweit agierenden spanischen Firma CAF (Construcciones y Auxiliar de Ferrocarriles, S.A.) auf den Strecken vom Niederrhein über das Ruhrgebiet bis ins Münsterland den Betrieb aufnehmen. 63 Züge sollen es bis 2028 sein. Verbunden mit dem Vertrag ist die Fahrzeug-Instandhaltung. Und hier kommt nach WAZ-Informationen – möglicherweise – das Bahnbetriebswerk Bismarck ins Spiel.

Standortsuche für Service- und Wartungsbetrieb führte nach Gelsenkirchen

CAF gewann 2021 das europaweite Ausschreibungsverfahren. Die Fahrzeuge vom Typ „Civity BEMU“ mit je 120 beziehungsweise 160 Sitzplätzen sind klassische elektrische Fahrzeuge, die zusätzlich mit Batterien ausgestattet sind, um – umweltfreundlich – nicht elektrifizierte Streckenabschnitte zu überbrücken und unter der Oberleitung die Batterien wieder aufladen zu können. Zum Auftrag gehört auch ein Instandhaltungs- und Verfügbarkeitsvertrag. Laufzeit: gut 30 Jahre.

Ein Modell aus der Civity-Reihe des spanischen Herstellers CAF. Der Zug fährt in den Niederlanden.
Ein Modell aus der Civity-Reihe des spanischen Herstellers CAF. Der Zug fährt in den Niederlanden. © Unbekannt | CAF

Die Standortsuche für den entsprechenden Service- und Wartungsbetrieb geht in den nächsten Wochen in die entscheidende Phase. Duisburg, Oberhausen und eben – offenbar mit guten Chancen – Gelsenkirchen sind im Rennen. Die Rede ist von einem Standort, in dem rund 200 Arbeitsplätze entstehen könnten und an dem im Dreischicht-Betrieb gearbeitet werden kann. „Wir sind noch nicht wirklich zur Entscheidung gekommen“, sagt Youri van der Steen, bei dem bei CAF Deutschland in diesem Fall die Fäden zusammen laufen.

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Das CAF-Anforderunsprofil ist klar: Ausreichend groß soll die Fläche sein, dazu vergleichsweise schnell nutzbar, sie soll laut van der Steen einen Anschluss ans DB-Streckennetz bieten, aber bitteschön nicht direkt auf ein Hauptgleis der Deutschen Bahn führen, um kosten- und zeitintensive Genehmigungsverfahren und Umbauten zu vermeiden.

Mit im Rennen sind Oberhausen und Duisburg mit weiteren Grundstücken

Über mehrere Liegenschaften, heißt es, habe CAF zusammen mit dem Oldenburger Projekt- und Planungsbüro von Heinrich Gewinner sein Anforderungsraster für „die Eisenbahnwerkstatt“ gelegt und einen entsprechenden Kriterienkatalog abgearbeitet. Die vorläufige Bewertung für den Standort Bismarck: „Es würde alles gehen und passen“, so Gewinner.

Dem RVR, dem Regionalverband Ruhr als Immobilienbesitzer, sei entsprechend Interesse an der Liegenschaft signalisiert worden. Dort hält man sich mit Aussagen zum Bahnwerk Bismarck zurück, auch weil die Verbandsgremien erst noch über mögliche Entwicklungen beraten müssen. Immerhin räumt eine RVR-Sprecherin generell ein, dass ein „Investor Interesse an dem Gelände“ zeige und der RVR „in Gesprächen über eine Nachnutzung“ sei. Weiteres Thema:Räumungsklage: RVR will Gelsenkirchener Bahnfreunde loswerden

Bahnbetriebswerk wurde 1988 stillgelegt, seit 1992 ist es ein Denkmal

Etliche historische Schienenfahrzeuge haben ihren Stellplatz im Bahnwerk Bismarck. Auch mehrere Vereine sind hier aktiv, beispielsweise der „Blauweisse Partywaggon“, der – wie hier 2014 – etliche Festivals auf dem Gelände veranstaltet hat.
Etliche historische Schienenfahrzeuge haben ihren Stellplatz im Bahnwerk Bismarck. Auch mehrere Vereine sind hier aktiv, beispielsweise der „Blauweisse Partywaggon“, der – wie hier 2014 – etliche Festivals auf dem Gelände veranstaltet hat. © Funke Foto Services | Martin Möller

1928 wurde in Bismarck das Bahnbetriebswerk mit Ausbesserungswerkstatt eröffnet. An die Hochzeit der Dampflok-Ära erinnert heute noch die alte etwa 200 Meter lange Bekohlungsanlage und benachbart dazu die alte Besandung. Der Wasserturm ist längst abgerissen. Kernstück des Bahnwerks ist die riesige Drehscheibe vor dem 16-ständigen Ringlokschuppen, an den sich die Mittelhalle anschließt. Das Bahnbetriebswerk wurde 1988 stillgelegt. Es steht unter Denkmalschutz. Eingerichtet haben sich dort seit den 1990er Jahren Bahnhistorische Vereine, unter anderem der Förderverein Bahnwerk Bismarck. Die Bahnfreunde stehen seit Ende vergangenen Jahres – aus ihrer Sicht gezwungenermaßen – vor dem Auszug. Nach langen Streitigkeiten im Vorfeld hatte der RVR juristisch einen Räumungstitel gegen sie erwirkt. Lesen Sie auch:Bahnfreunde erkennen Räumungsforderung durch den RVR an

Chancen für Verbleib historischer Schienenfahrzeuge im Ringlokschuppen

Die Gleisharfen auf dem Gelände müssten neu angelegt und der Anschluss an die DB-Gleise (rechts im Bild) wieder hergestellt werden. Abgerissen würde für eine neue Nutzung der sogenannte Kohlebansen. Die historische Bekohlungsanlage ist weitgehend überwuchert. Genutzt würde für den Werkstattbetrieb vor allem der Hallentrakt des Denkmals. Der Ringlokschuppen könnte den historischen Schienenfahrzeugen weiterhin als Standort dienen.
Die Gleisharfen auf dem Gelände müssten neu angelegt und der Anschluss an die DB-Gleise (rechts im Bild) wieder hergestellt werden. Abgerissen würde für eine neue Nutzung der sogenannte Kohlebansen. Die historische Bekohlungsanlage ist weitgehend überwuchert. Genutzt würde für den Werkstattbetrieb vor allem der Hallentrakt des Denkmals. Der Ringlokschuppen könnte den historischen Schienenfahrzeugen weiterhin als Standort dienen. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Vielleicht ist eine Lösung im Einvernehmen noch möglich, wenn die CAF-Entscheidung pro Bismarck ausfallen sollte. Der denkmalgeschützte Ringlokschuppen soll auf jeden Fall erhalten bleiben, selbst die dort ansässigen Vereine mit ihren historischen Fahrzeugen könnten dort weiter ihre Heimstatt haben, schätzt Gewinner. Auch der Großteil der Schrebergärten auf dem Gelände könne bleiben.

CAF würde demnach den Bereich ab der heutigen Halle nutzen, allerdings das Außengelände gehörig verändern. Für eine neue sogenannte Gleisharfe müsste dann beispielsweise die historischen Schienen und die Bekohlungsanlage abgerissen werden. Eine neue Zufahrt benötigte das Gelände ebenso. Hier sieht ein alter Bebauungsplan eine mögliche Verbindung zum Zoom-Parkplatz vor.

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Der Gelsenkirchener Stadtrat und Wirtschaftsförderungsdezernent Simon Nowack hoffen, dass die „alte Bahnfläche wieder einer Eisenbahnnutzung zugeführt werden“ kann. Die städtischen Wirtschaftsförderer waren entsprechend ambitioniert in der Anbahnungsphase, was auch im Planungsbüro registriert wurde. „Da waren die Gelsenkirchener sehr rührig und kompetent unterwegs. Das hat wirklich gut geklappt“, sagt Gewinner. Ob es reicht, muss sich in Kürze zeigen.

CAF hat durchaus Zeitdruck. Der Fahrplan sei „sehr ambitioniert“, heißt es dort. 2024 soll laut Gewinner der Probebetrieb beginnen, „auf Strecke“ geht es 2025. „Wir müssen sehen, dass wir in die Socken kommen.“ Weiteres Thema:Wirtschaft bis Recht – so tickt Gelsenkirchens neuer Stadtrat

Weltweit größter Einzelauftrag für Batteriezüge von CAF

„Mit diesem Projekt schafft CAF den langersehnten Markteintritt auf den deutschen Markt. Dieses Prestigeprojekt bietet uns eine sehr gute Ausgangssituation für die Zukunft“, freute sich Marcus Brüning, Direktor der CAF Deutschland GmbH angesichts der Vergabe für den bislang weltweit größten Einzelauftrag für Batteriezüge Mitte 2021. Dann wären in Deutschland von verschiedenen Herstellern insgesamt 228 batterieelektrische Triebzüge kontraktiert.

Auch beim VRR feiert man eine Zeitenwende. Georg Seifert, Leiter der Abteilung „SPNV – Wettbewerb, Vertragsmanagement und Planung“ betont: „Wenn 2028 alle batterieelektrischen CAF-Neufahrzeuge ihren Betrieb aufgenommen haben, sinkt der Anteil an Zugkilometern, die im VRR-Gebiet mit Dieselfahrzeugen geleistet werden, auf unter zehn Prozent.“

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