Gelsenkirchen. Auch bei Schrottimmobilien steigen bei sinkendem Angebot Nachfrage und Preise in Gelsenkirchen. Ein Blick auf die Zwangsversteigerungen.
- In Gelsenkirchen kamen 2021 nur 121 Immobilien zur Zwangsversteigerung – 270 waren es 2017
- Was für den lokalen Immobilienmarkt gilt, trifft auch auf diese Objekte zu – sie werden teurer
- SEG-Geschäftsfüherin Helga Sander: „Die Preise liegen jenseits von Gut und Böse“
- Mittlerweile kommen zwischen 30 und 50 Personen zu den Terminen im Amtsgericht
Höhere Preise, geringeres Angebot, erhöhte Nachfrage – dieser Dreiklang bestimmt seit einiger Zeit auch den Gelsenkirchener Immobilienmarkt. Das gilt ebenfalls für eine Sparte, die für besondere Schnäppchen und eine gewisse Portion Glücksrittertum steht: Zwangsversteigerungen. Auch hier geht die Preisentwicklung seit einiger Zeit in eine Richtung. Nach oben.
„Mein Eindruck ist, dass wir seit mehreren Jahren eine rückläufige Zahl an Zwangsversteigerungen und steigende Preise haben“, stellt Harald Förster, Geschäftsführer der Gelsenkirchener Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft GGW fest. Eine Beobachtung, die von Zahlen des Amtsgerichts gestützt wird.
In rund 30 Prozent der Gelsenkirchener Fälle einigen sich die Parteien
Die Zahl der Eintragungen sank seit 2017 um mehr als die Hälfte. Damals waren es 270, vergangenes Jahr nur noch 121“, sagt Rechtspflegerin Andrea Niepötter, die im Justizzentrum an der Bochumer Straße Gruppenleiterin in der Abteilung für Zwangsversteigerungen ist. Eintragung bedeutet nicht auch gleich Zwangsversteigerung. Bis zur Terminierung vergeht in der Regel eine Laufzeit von rund anderthalb Jahren. Und in rund 30 Prozent der Fälle, schätzt Niepötter, einigten sich die Parteien vor einer Versteigerung, da sich die Chancen auf „einen freihändigen Verkauf“ deutlich verbessert hätten. Die gestiegene Nachfrage spielt da Schuldnern wie Gläubigern in die Karten.
Ob die ersteigerten Summen für die einzelnen Objekte gestiegen sind, wird beim Amtsgericht nicht statistisch erfasst. Sozusagen amtlich ist allerdings, dass die Bestände der Verfahren aus den Vorjahren rückläufig sind und der Kreis der Bietinteressenten gewachsen ist. „Früher saßen wir oft alleine im Saal, heute kommen in der Regel meistens zwischen 30 und 50 Personen“, sagt die Rechtspflegerin.
Auch für Schrotthäuser gibt es Bieter – sie können wirtschaftlich lukrativ sein.
Zwangsversteigert wird, weil Schuldner ihre Gläubiger nicht mehr befriedigen, wenn sich Erbengemeinschaften nicht einigen können, wenn Paare auseinandergehen und ihre Immobilie zum Streit- oder Pleitefall wird. Wer da so kommt und aus welchem Antrieb mitbietet? „Darüber können wir keine Auskunft geben“, heißt es im Amtsgericht. Niepötter stellt allerdings fest, dass etliche Bieter „über die Jahre immer wieder hier erscheinen“ und „gewerbliche Interessen haben“. Auch Schrotthäuser können lukrative wirtschaftliche Anlagen sein, besonders, wenn mit Wohnungsnot von Zuwanderern Kasse gemacht wird.
Sicherheitsleistung per Scheck
Interessenten können in den meisten Fällen Gutachten, Exposés und Fotos einsehen und erhalten für Karten und Luftbilder einen vereinfachten Zugriff auf den Geodatenserver.
In der Regel sind von dem Ersteher keine geldwerten grundbuchlichen Belastungen zu übernehmen, im Einzelfall aber eventuell im Grundbuch eingetragene Rechte, beispielsweise Wegerechte.
Bieter müssen sich mit einem gültigen nationalen Identitätspapier (Ausweis, Pass) ausweisen. In der Regel wird bei Abgabe eines Gebotes eine Sicherheitsleistung verlangt, die sofort erbracht werden muss. Sie beträgt stets zehn Prozent des Verkehrswertes. Bar kann die Sicherheitsleistung nicht mehr erbracht werden. Eine Alternative ist beispielsweise ein von einer Bank oder Sparkasse ausgestellter Verrechnungsscheck.
„Es ist sehr viel Geld im Markt. Meines Erachtens teils auch zweifelhafter Herkunft“, glaubt GGW-Chef Harald Förster. Die GGW hat in der Vergangenheit immer mal wieder Häuser im Dienste der Stadt erworben. In der Regel Problemimmobilien, um sie vom Markt zu nehmen. Sprich abzureißen, um einen Schandfleck zu beseitigen, aber auch einigermaßen radikal soziale Probleme im Wohnumfeld zu beenden. Ähnlich geht die Stadterneuerungsgesellschaft SEG vor. Die Einschätzung der Geschäftsführerin Helga Sander deckt sich mit Försters Beobachtungen. „Es wird mehr ersteigert und auch zu ganz anderen Preisen als noch vor vier oder fünf Jahren“, sagt Sander.
Vornehmlich in Ückendorf hat die SEG etliche Häuser ersteigert
Insgesamt hat die SEG – teils mit der GGW – in den vergangenen Jahren stadtweit 57 Häuser gekauft, davon alleine 41 in Ückendorf vornehmlich im Bereich Bochumer Straße und 16 Häuser in anderen Stadtteilen. Bei 17 Immobilien in Ückendorf erhielt die SEG den Zuschlag bei Versteigerungen, 13 davon stehen wiederum an oder nah der Bochumer Straße, vier weitere Gebäude wurden außerhalb von Ückendorf ersteigert.
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Liegt das Meistgebot unter 50 Prozent des festgesetzten Verkehrswertes, muss das Gericht den Zuschlag aus Schuldnerschutzgründen von Amts wegen versagen. Werden weniger als 70 Prozent des Wertes geboten und stellt die betroffene Gläubigerbank einen entsprechenden Antrag, versagt das Gericht ebenfalls den Zuschlag. Doch die Zeiten, in denen Häuser und Grundstücke „zum oder unter Verkehrswert“ unter den Hammer kamen, sind vorbei. „Seit 2021 haben wir bei Zwangsversteigerungen eigentlich keine Chance mehr“, sagt die SEG-Geschäftsführerin. „Die Preise sind jenseits von Gut und Böse.“
Zuletzt wurden für die Stadterneuerung die Häuser Breilstraße 27 und 29 erworben
Der Markt scheint für die städtischen Gesellschaften derzeit ausgereizt. „Die bislang letzten beiden Immobilien haben wir im Februar 2020 ersteigern können“, so Sander. Die Häuser Breilstraße 27 und 29 wurden zunächst gesichert. In Kürze will die SEG mit der Sanierung beginnen und die Wohnungen dann vermieten.
Sanierung – das ist das Stichwort. Sander weiß von Immobilien, die ersteigert wurden und bei denen sich danach nichts tut. Oder bei denen der Kaufpreis nicht gezahlt wurde – und die irgendwann wieder auf der Terminliste des Amtsgerichts auftauchen.
Diese Immobilien werden in Gelsenkirchen im Februar versteigert
In der Corona-Pandemie wurde über Monate hinweg nicht terminiert. Nun können die Rückstellungen aus dem Jahr 2021 wieder etwas aufgearbeitet werden, seitdem für Zwangsversteigerung regelmäßig ein großer Saal im Amtsgericht genutzt werden kann.
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Sechs Objekte stehen im Februar zur Versteigerung an. Das Spektrum ist groß, auch preislich. An der unteren Skala: eine Eigentumswohnung an der Weißenburger Straße in Ückendorf, 51 Quadratmeter groß. Das Haus: Baujahr 1906. Verkehrswert 20.000 Euro. Auf „Bauschäden und Instandhaltungsrückstau“ weist die Beschreibung hin und empfiehlt, wie in allen Fällen, dringend „Einsichtnahme in das komplette Gutachten“. Allein auf das Gutachten muss sich auch verlassen, wer ein Mehrfamilienhaus in Resse an der Hertener Straße erwerben will. Besichtigungstermine gibt es nicht. Das Gebäude von 1921 mit zweigeschossigem Anbau bietet rund 349 Quadratmeter Wohnfläche, einen Taubenschlag, ein Lager und wird für 285.000 Euro aufgerufen.
Für zwei Eigentumswohnungen in Ückendorf liegt der Verkehrswert bei 1 Euro
Vier Versteigerungstermine wurden für den März terminiert. Ein bebautes Grundstück an der Münchener Straße in Schalke bildet da mit 102.000 Euro den oberen Preisrahmen ab. Ganz unten: zwei Eigentumswohnungen an der Herner Straße in Ückendorf. Verkehrswert: jeweils 1 Euro. Die Beschreibung ist entsprechend desaströs: Die Wohnungen, heißt es, seien „leerstehend und unbewohnbar. Es gibt keine Heizungsanlage, der Zugang zum unvollständig ausgestatteten Bad ist wegen Ungezieferbefall gesperrt. Das gesamte Haus und die Wohnung weisen erhebliche Feuchtigkeitsschäden auf. Das gesamte Objekt befindet sich in einem stark vernachlässigten Instandhaltungszustand.“
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