Gelsenkirchen. Ein Gelsenkirchener Rentner erstickte vor 30 Jahren qualvoll in seiner Wohnung. Pensionierte Ermittler prüfen den ungelösten Fall erneut.

Beim Landeskriminalamt (LKA) Düsseldorf haben 28 aus ihrer Pension geholte Ermittlungsunterstützer ihre Arbeit aufgenommen: Sie prüfen ein Jahr lang ungeklärte Mord- und Tötungsdelikte aus den vergangenen fünf Jahrzehnten auf neue Ansätze. Die Polizei hat auch einen Gelsenkirchener „Cold Case“ ans LKA gemeldet. In der Prüfung durch die erfahrenen Ermittler ist der mysteriöse Tod eines Rentners. Am 22. Januar 1992 starb Artur Gregor in seiner Wohnung in Bismarck an der Rückertstraße 3. Einer der Fallanalytiker ist Berthold Kunkel, vor seiner Pensionierung Leiter des Kriminalkommissariats 11 in Gelsenkirchen.

Tod von Opa Gregor bei „Aktenzeichen XY ungelöst“: Gelsenkirchener qualvoll erstickt

Erfahrene Spürnasen, darunter Todesermittler, Kommissariatsleiter, Vermisstensachbearbeiter sowie Experten aus der Kriminaltechnik, 27 Männer und eine Frau im Alter von 62 bis 65 Jahren, bilden die „Besondere Aufbauorganisation“ (BAO) beim LKA. Sie befassen sich mit alten Fall-Akten von 1970 bis 2015. Der Gelsenkirchener Fall, der bis heute unaufgeklärt blieb: der Tod von „Opa Gregor“ – trotz bundesweit medialer Aufbereitung bei „Aktenzeichen XY ungelöst“. Mit einem Telefonkabel gefesselt und einem Küchentuch geknebelt, erstickte der damals 79-Jährige qualvoll.

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Der Tod von Artur Gregor hat dem damaligen Leiter der Gelsenkirchener Mordkommission, Johannes Schäfers, und seinen Kollegen einige Rätsel aufgegeben. Denn Einbruchsspuren gab es keine, in der Wohnung herrschte das reinste Chaos, sie war komplett durchwühlt. Und kurz vor seinem Tod hatte Gregor über 13.000 D-Mark abgehoben. Dies könnte dafür sprechen, dass der Rentner, dessen Frau kurz zuvor gestorben war, die Täter möglicherweise kannte oder sie in die Wohnung ließ. DNA-Analysen ergaben 1999, dass es sich mit aller Wahrscheinlichkeit bei den Tätern um ein Pärchen handelte. Das aber läuft nach wie vor frei herum.

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Ein Raubmord? Das ist die Frage, denn am Tatabend wurden zwei Taxis um 19 Uhr zur Rückertstraße 3 beordert. Die Fahrer klingelten, ohne dass ihnen geöffnet wurde – und fuhren wieder. Die Annahme der Ermittler: Vielleicht beabsichtigten die Täter, dass der Gefesselte gefunden wurde. So aber erstickte Artur Gregor.

Berthold Kunkel, vor seiner Pensionierung Leiter des Kriminalkommissariats 11 in Gelsenkirchen, ist einer von 28 Fallanalytikern, die ungelöste Mordfälle und Tötungsdelikte neu aufarbeiten.
Berthold Kunkel, vor seiner Pensionierung Leiter des Kriminalkommissariats 11 in Gelsenkirchen, ist einer von 28 Fallanalytikern, die ungelöste Mordfälle und Tötungsdelikte neu aufarbeiten. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Zu den reaktivierten Fallanalytikern, gemeinhin als Profiler bezeichnet, gehört auch der Berthold Kunkel, vor seiner Pensionierung Leiter des Kriminalkommissariats 11 in Gelsenkirchen. Der Mittsechziger brauchte nicht lange überlegen, ob er sich bewerben sollte, wie er in einem Interview mit einer LKA-Beamtin erklärt. Schon häufiger sei ihm während seiner aktiven Laufbahn der Gedanke gekommen: „Damit befasse ich mich noch einmal intensiver, wenn ich mehr Kapazitäten habe.“ Bei der Vielzahl an Fällen war das aber nicht möglich. Zuletzt ist die Zahl der Straftaten in Gelsenkirchen zurückgegangen.

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Ohne Druck kann Kunkel sich nun ungelösten Fällen widmen, in zwei hat er sich bereits tief eingearbeitet. Es ist aber nicht der Fall von Artur Gregor. Denn Ziel ist es nicht, an „eigenen“, einst ungelösten Fällen zu arbeiten, sondern im Zusammenspiel mit Fall-Paten aus den 16 für Tötungsdelikte zuständigen Kriminalhauptstellen mit frischem Blick Akten und Asservate neu zu betrachten.

Der unvoreingenommene Blick soll dazu führen, neue Erkenntnisse zu gewinnen, mit denen auch nach langer Zeit der Tathergang rekonstruiert oder der Kreis der potenziellen Täter möglicherweise eingeschränkt werden kann. Ergeben sich neue Ermittlungsansätze, übernimmt die örtlich zuständige Kripo. „Möchten wir beispielsweise die Staatsanwaltschaft einbinden oder an Asservate kommen, schließen wir uns hierzu mit dem Fall-Paten kurz“, erklärt Kunkel die Vorgehensweise der Cold Cases-Einheit.

Gelöste „Cold Cases“ – zwei Beispiele

Wie wertvoll die Arbeit der „Cold Cases“-Fallanalytiker ist, zeigt der Mordfall einer Schülerin. Rund 27 Jahre nach dem gewaltsamen Tod der 16-jährigen Dortmunderin konnte der Täter im vergangenen Januar mit lebenslanger Haft bestraft werden. Der „Cold Case“ war neu bearbeitet worden und dank neuester medizinischer Analyse-Methoden hatte eine alte Hautschuppe doch noch den Täter entlarvt.

Auch im Bochumer Spielhallen-Überfall „Forum 2000“ klickten nach 30 Jahren die Handschellen. Der Täter hatte 27. Februar 1991 die damals 48 Jahre alte Angestellte mit einem Hammer lebensgefährlich verletzt. Auch hier gab es eine DNA-Spur, die in den Polizeiakten vorlag. Sie passte zu dem Mann, der auf einem Schiff verhaftet wurde. Am Tatort hinterließ er ein Goldkettchen.

Das Pfund, dass Berthold Kunkel und seine Kolleginnen und Kollegen in die Waagschale werfen können, sind rund insgesamt 1000 Jahre Erfahrung. Die wird auch dringend nötig sein. Denn: „Es gibt von 1970 bis 2015 etwas über 1100 ungelöste Tötungsdelikte in NRW“, sagt LKA-Kriminaldirektor Colin B. Nierenz, der die BAO leitet.