Gelsenkirchen-Beckhausen. Warum eine Gelsenkirchener Pfarrei ihr Gotteshaus mit Migranten aus Südost-Europa teilt. Und was das für die Gläubigen vor Ort bedeutet.
Rund ein Jahr ist es her, dass alle deutschen Bistümer einen Hilferuf der Rumänisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland erhielten: Die Gläubigen vor Ort bräuchten dringend Kirchenräume, so Metropolit und Erzbischof Dr. Serafim Joanta. Eine Antwort erhielt er aus Essen: Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck bot eine Kooperation mit einer Gelsenkirchener Gemeinde an. Am kommenden Samstag, 18. Dezember, wird dort der erste Gottesdienst gefeiert.
Der Termin könnte symbolträchtiger kaum sein: Kurz vor dem Weihnachtsfest, das bekanntlich von der Herbergssuche Marias und Josefs erzählt, öffnet die Pfarrei St. Hippolytus erstmals die Kirche St. Clemens Maria Hofbauer an der Theodor-Otte-Straße für rumänisch-orthodoxe Christen. Künftig können sie dort mit einem eigenen Pfarrer freitags bis sonntags nach vorheriger Vereinbarung Liturgien feiern, auch für Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen.
In Gelsenkirchen-Beckhausen wird die erste rumänisch-orthodoxe Gemeinde gegründet
Damit wird die Filialkirche von Liebfrauen Heimat der ersten, neu errichteten Rumänisch-Orthodoxen Gemeinde Gelsenkirchen mit dem Namen Geburt des Hl. Johannes des Täufers. Bislang gibt es im Bistum Essen zwei rumänisch-orthodoxe Gemeinden: in Bochum-Dahlhausen sowie in Duisburg-Mitte. Beide nutzen dort katholische Kirchen mit.
Als „Chance, christliche Ökumene vor Ort zu leben und weiterzuentwickeln“, wertet Pfarrer Wolfgang Pingel diese in Gelsenkirchen bislang einzigartige Kooperation. „Wir sind Geschwister im Glauben an Jesus Christus und in der Taufe miteinander verbunden“, betont auch Pastor Bernd Steinrötter, dass es sich bei der neuen Gemeinde keinesfalls um eine Sekte handelt. Diese Verbundenheit solle mit der gemeinsamen Nutzung von St. Clemens als Akt der Solidarität auch unter Beweis gestellt werden.
Gelsenkirchener Pastor sieht Kooperation als Win-Win-Situation
Beide loben die Kooperation als „Win-Win-Situation“: „Die Rumänisch-Orthodoxe Gemeinde hat künftig einen Ort für Gottesdienste und muss nicht selbst ein Grundstück erwerben und bebauen. Das wäre ihr als ,armer Kirche‘, die sich ausschließlich über Spenden und Kollekten finanziert, auch kaum möglich. Und wir in der Pfarrei haben nun für St. Clemens bis auf weiteres eine Zukunftsperspektive“, so Steinrötter.
Dass in Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand (KV) der Pfarrei kontrovers über die Anfrage der Rumänisch-Orthodoxen Kirche diskutiert wurde, räumt Steinrötter durchaus ein. „Einige Gläubige hatten Sorge, in der Nutzung des Gotteshauses eingeschränkt zu werden oder fürchteten, dass nicht genügend Parkplätze zur Verfügung stehen.“
Spezieller Vertrag regelt die Nutzungsbedingungen
Diese Bedenken hätten aber ausgeräumt werden können, so dass das mit ehrenamtlichen Laien besetzte KV-Gremium mit Pfarrer Wolfgang Pingel an der Spitze dem Anliegen zustimmte. Auch das Bistum genehmigte die Zusammenarbeit. In einem seit Oktober gemeinsam erarbeiteten Vertrag wird geregelt, dass die erste Rumänisch-Orthodoxe Gemeinde Gelsenkirchens das Gotteshaus zunächst für ein Jahr am Wochenende nutzen kann; die bislang einmal monatlich dort stattfindenden katholischen Gottesdienst-Zeiten sind davon ausgenommen. Montags bis donnerstags können die Katholiken vor Ort die Kirche wie gewohnt nutzen.
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Überdies werde vor dem Hintergrund der noch nicht abgeschlossenen Umstrukturierung der Pfarrei eine größtmögliche Flexibilität gewährleistet, da die Nutzungszeiten jeweils für drei Monate aufeinander abgestimmt würden, so Pastor Steinrötter.
Rumänisch-Orthodoxer Erzbischof zeigt sich „sehr glücklich“ über die Kooperation
„Sehr glücklich“ äußert sich unterdessen auf WAZ-Anfrage Erzbischof Serafim Joanta, Leiter der Metropolie für Deutschland mit Sitz in Nürnberg. „In Gelsenkirchen leben sehr viele Rumänen, sie brauchen dringend eine seelsorgliche Betreuung. Bislang müssen sie zu Gottesdiensten weit fahren.“ Nach Stadt-Angaben waren Ende November 6452 Rumänen in der Stadt gemeldet. Laut Erzbischof Joanta sind mehr als 95 Prozent von ihnen christlich getauft, 87 Prozent orthodox.
Rumänisch-Orthodoxe Kirche finanziert sich nur aus Spenden
Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche in Deutschland zählt nach Angaben des Bistums Essen etwa eine Million Gläubige, die in 120 Gemeinden organisiert sind. Das Oberhaupt in Deutschland ist Erzbischof Serafim Joanta, er leitet die Metropolie von Nürnberg aus. Die Gläubigen zahlen keine Kirchensteuer. Finanziert wird die Kirche ausschließlich über Spenden und Kollekten. Die Priester üben in der Regeln einen zivilen Beruf aus, etwa in Teilzeit. Die Kirche ist Mitglied der orthodoxen Bischofskonferenz sowie der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK). Als Körperschaft des öffentlichen Rechts hat sie den gleichen Rechtsstatus wie die Katholische Kirche.
Er sei sehr dankbar, dass das Bistum Essen und die Pfarrei St. Hippolytus in dieser Notsituation Hilfe leisteten. „Wir freuen uns auf diese Kooperation und den Austausch, denn die Ökumene liegt uns sehr am Herzen.“
Metropolit ist zuversichtlich, dass das Miteinander gelingen wird
Dass es Vorbehalte gegenüber den rumänisch-orthodoxen Gästen geben könnte, ist ihm bewusst. Über Schwierigkeiten im Zusammenleben mit einigen Migranten aus Südost-Europa sei er durchaus informiert. „Aber in unseren 150 Gemeinden in Deutschland hat es bislang niemals Probleme mit den anderen Gläubigen gegeben. Wir sind sehr fromm“, betont er. Ob Katholiken, Protestanten, Freikirchliche oder Orthodoxe: „Wir haben alle dieselben Nöte und brauchen gleichermaßen Gottes Hilfe.“
Dies hebt auch Adrian Achim aus Rumänien hervor, der als Pfarrer die neue Gemeinde in Sutum betreuen wird – in Teilzeit, wie es in der rumänisch-orthodoxen Kirche üblich ist. Werktags bei einer Firma in Lüdinghausen beschäftigt, wird der 40-Jährige künftig jeweils am Wochenende aus Lünen anreisen, wo er mit seiner Frau und den drei Kindern lebt. Er hat nach eigenen Angaben Theologie an einer rumänischen Universität studiert und war zwei Jahre als Pfarrer in einer rumänisch-orthodoxen Gemeinde in Dortmund tätig. In Deutschland lebt er seit 2014.
Rumänisch-Orthodoxe Gläubige müssen sich vor Kirchenbesuch telefonisch anmelden
„Ich will den Rumänen in Gelsenkirchen ein religiöses Angebot machen und hoffe, dass auch viele von ihnen nach Sutum kommen“, erklärt er auf WAZ-Anfrage in rumänischer Sprache, was seine Frau Maria auf Deutsch und Englisch übersetzt. Er selbst spricht weder Deutsch noch Englisch, versteht aber einiges.
Wegen der Pandemie dürften allerdings zunächst nur 30 bis 60 Gelsenkirchener Gläubige in St. Clemens zusammenkommen. Wer an einer der rund zweieinhalbstündigen Liturgien mit Abendmahl in Form von Brot und Wein teilnehmen möchte, müsse sich telefonisch anmelden. Am darauffolgenden Wochenende seien dann andere Gläubige an der Reihe. Es gilt aktuell die 2G-Regel.
Nachdenken über gemeinsame Veranstaltungen von Katholiken und Orthodoxen
„Wenn sich alles etwas eingespielt hat, können wir uns vielleicht an eine gemeinsame Veranstaltung mit den Katholiken vor Ort machen“, hofft er, dass der Nutzungsvertrag, wie als Option festgehalten, künftig jeweils jährlich verlängert wird. Ihm sei der ökumenische Austausch wichtig.
Pastor Steinrötter kann da nur zustimmen: „Bei dieser Kooperation geht es auch darum, über unseren kulturellen Tellerrand zu blicken und Vorurteile abzubauen.“ Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck begrüßt die Mitnutzung von St. Clemens ausdrücklich, die im Kirchenrecht regelt ist. Er hofft, dass die Kooperation den seelsorglichen Bedürfnissen aller Beteiligten gerecht wird.