Gelsenkirchen. Um neue, schonende und effektivere Verfahren im Kampf gegen Brustkrebs ging es beim Mamma-Forum der EVK in Gelsenkirchen. Wir sagen, um welche.

Dr. Abdallah Abdallah, Chefarzt der Klinik für Senologie an den Evangelischen Kliniken, hat die Situation in Gelsenkirchen seit Ausbruch der Pandemie an die Zeit des Bürgerkriegs in seiner Heimat, dem Libanon, erinnert: „Wir mussten uns jeden Tag neu auf einen unsichtbaren Feind einstellen, sehr eng zusammenarbeiten auf allen Ebenen, täglich neu denken.“ Weniger zu tun hatte seine Abteilung im Lockdown nicht, im Gegenteil. „Wir hatten im Lockdown sogar 40 Brustkrebsfälle mehr als üblich.“

Im Lockdown in Gelsenkirchen mehr Brustkrebs-Patientinnen behandelt

„Normalerweise kommen Patientinnen in unsere Ambulanz nur zur Abklärung nicht eindeutiger Diagnosen. Jetzt aber kamen viele aus der ganzen Region direkt zu uns, wenn sie etwas Verdächtiges ertastet hatten, weil die Praxis ihrer Ärztin geschlossen war oder kein zeitnaher Termin zu bekommen war.“

Auf der Station wurden Patienten und Personal in strikt getrennten, kleinen Gruppen versorgt, um die Ausbreitung von Infektionen zu verhindern. Chemos und Diagnostik liefen durchgängig. Operationen etwa zur Brustrekonstruktion jedoch waren zwischenzeitlich ausgesetzt. Was in der Pandemie auf der Strecke blieb, war der Austausch mit Kollegen über neue Möglichkeiten der Diagnose, Therapie und Operation. Beendet hat diese Situation nun ein hybrid durchgeführter Expertenkongress mit über 100 Teilnehmern, organisiert von Dr. Abdallah und seinem Oberarzt, Hans Holger Fischer, in Gelsenkirchen. [Zum Thema: Tipps für Brustkrebspatientinnen]

Dr. Abdallah Abdallah beim Brustkrebslauf der Revierinitiative e.V., die die Arbeit der Klinik unterstützt, indem sie besondere Angebote für Patientinnen jenseits der Kassenleistungen ermöglicht. Der Chefarzt nimmt daran regelmäßig selbst teil.
Dr. Abdallah Abdallah beim Brustkrebslauf der Revierinitiative e.V., die die Arbeit der Klinik unterstützt, indem sie besondere Angebote für Patientinnen jenseits der Kassenleistungen ermöglicht. Der Chefarzt nimmt daran regelmäßig selbst teil. © WAZ | Andreas Hofmann

Im Wissenschaftspark an der Munscheidstraße konnten 60 Experten beim Mamma-Forum live aus der Klinik übertragene Operationen verfolgen, online waren weitere Mediziner zugeschaltet. Thema des Kongresses waren auch neue Verfahren zur Rekonstruktion nach Entfernung der Brust wegen Tumor-Befalls. Dabei führte das Team der Evangelischen Kliniken vor, wie mit eigenem Fett aus Bauch- und Oberschenkelbereich zum Brust-Aufbau gearbeitet wird, wodurch Immunreaktionen gegen Fremdstoffe und damit einhergehende Langzeitfolgen vermieden werden könnten. Auch bei kleineren Fehlbildungen wie Schlupfwarzen, die oft schwere Entzündungen nach sich ziehen, gebe es neue, sehr schonende OP-Verfahren, die in nur minutenlangen Eingriffen die Infektionsgefahr beseitigten und die Warze korrigierten, versichert Abdallah.

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Deutlich schonender könnten mittlerweile auch kleinere Tumore bekämpft und beseitigt werden. Eine spezifische Bestrahlung, die Brachytherapie, wird dabei eingesetzt. Hierfür werden die Tumore markiert und die Strahlen direkt in den Tumor geführt, ohne das Nachbargewebe zu beschädigen. In den Evangelischen Kliniken ist das mit der angeschlossenen Klinik für interventionelle Radiologie im Hause möglich, Standard ist das allerdings noch nicht.

Genetische Risikofaktoren spielen wichtige Rolle bei Therapie-Entscheidungen

Deutlich individuellere Therapien

Gerade in Grenzsituationen, in denen vor nicht allzu langer Zeit quasi nach Bauchgefühl entschieden werden musste, ob eine bestimmte Therapie zu entscheidender Verbesserung beziehungsweise Lebensverlängerung führen wird, sei die Kenntnis genetischer Risikofaktoren extrem hilfreich. Das Wissen um deren Einfluss ermögliche es, aufgrund einer deutlich besseren Faktenbasis zu entscheiden, versichert Abdallah.

Je nach Krebs-Typ seien auch zielgerichtete Immuntherapien eine Option. „Die Therapien sind grundsätzlich erheblich individueller geworden. Und der Austausch über diese Möglichkeiten und Erfahrungen ist besonders wichtig. Deshalb haben wir beim Mamma-Forum nur Impuls-Vorträge von Experten genutzt und viel Zeit in Diskussion und Austausch investiert“, erklärt Abdallah.

In den letzten beiden Jahren, in denen kollegialer Austausch wenig möglich war, habe es auch entscheidende neue Erkenntnisse bei gezielten Therapien gegen Brustkrebs gegeben, was beim Kongress ein großes Thema gewesen sei. So spiele bei der Entscheidung für eine Therapie die Kenntnis von genetischen Risikofaktoren eine sehr große Rolle. Mit diesem Wissen seien deutlich schonendere und auch zielgerichtetere Behandlungen möglich. Selbst in fortgeschrittenen Fällen sei eine deutliche Lebensverlängerung unter Erhaltung von Lebensqualität möglich, verspricht Hans Holger Fischer.