Gelsenkirchen. „Fridays for Future“ Gelsenkirchen hat konkrete Ideen für mehr Klimaschutz eingebracht. Aber der Marsch durch die Verwaltung gelingt nicht ganz.

Die Protestmärsche von „Fridays for Future” (FFF) sind in der Corona-Zeit auch in Gelsenkirchen geschrumpft. Allerdings versuchen die örtlichen Klimaaktivisten längst auf anderen Wegen, Handlungsdruck aufzubauen. Ein beliebtes Instrument der Fridays ist der sogenannte Bürgerantrag, den jeder an Verwaltung und Politik stellen kann. Eine Handvoll solcher Anträge hat die Gelsenkirchener Gruppe seit März 2021 auf den Weg gebracht. Was sich dadurch bislang bewegt hat: überschaubar. Und das sorgt für Frust bei den Aktivisten. „Die Eile, die bei der Klimakatastrophe geboten ist, fehlt weiterhin massiv. Das hat unsere Anliegen ausgebremst“, sagt Jan Bretinger, FFF-Mitgründer in Gelsenkirchen.

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Derzeit arbeitet die Stadt an dem Klimakonzept 2030/2050. Es soll der große Wurf werden, um die Stadt auf einen klimagerechten Pfad zu bringen, der die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens verfolgt. Der Gedanke bei den Bürgeranträgen sei es gewesen, bereits unbürokratisch einige Veränderungen in der Stadt anzustoßen, während man auf die Fertigstellung des Konzepts warte, erläutert Bretinger. Mit diesem Anliegen hat man sich offenbar verschätzt.

„Fridays for Future“: Fünf Ideen für besseren Klimaschutz in Gelsenkirchen

Fünf konkrete Ideen hatten die Fridays: Sie wollten zubetonierte Plätze wie den Heinrich-König-Platz oder den Grilloplatz in Schalke nachbegrünen, etwa durch Hochbeete, begrünte Netze oder „mobiles Grün“ auf Plattformen, die als Sitzangelegenheiten dienen können. Lesen Sie auch:Extremwetter: Der Heinrich-König-Platz ist eine Falle

Die zweite Idee ist es gewesen, künftig für jedes neugeborene Kind in Gelsenkirchen einen Baum zu pflanzen. Außerdem beantragten die Fridays, dass an Schulkantinen mindestens eine vollwertige vegane Mahlzeit angeboten werden soll. Als weitere Vorschläge eingebracht wurden eine Wildblumenwiese an der Ebertstraße sowie Dekarbonisierungsstrategien für jene Unternehmen, die im Beteiligungsportfolio der Stadt stehen. Dekarbonisierung meint die Umstellung auf eine CO2-freie Wirtschaftsweise.

Mehr Klimaschutz in Gelsenkirchen: Die „Fridays for Future“-Ortsgruppe schlägt eine Wildblumenwiese auf der Rasenfläche nahe der Ebertstraße vor. Die Verwaltung hält das allerdings für nicht möglich.
Mehr Klimaschutz in Gelsenkirchen: Die „Fridays for Future“-Ortsgruppe schlägt eine Wildblumenwiese auf der Rasenfläche nahe der Ebertstraße vor. Die Verwaltung hält das allerdings für nicht möglich. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Ausgerechnet der letztgenannte Antrag, der die Klimabilanz der Stadt am deutlichsten betreffen würde, ist jedoch im Orbit der Verwaltung verloren gegangen. „Den Antrag haben wir definitiv eingereicht“, betont Bretinger. Nun aber scheint er verschollen zu sein. In der Verwaltung jedenfalls hat man keine Kenntnisse. „Der Antrag ist bei der Stadt leider nicht bekannt“, sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. Die Dekarbonisierung der Stadttöchter sei aber ein Thema des Klimakonzepts.

„1000-Bäume-Programm“ in Gelsenkirchen: Wohl nicht genug Standorte vorhanden

Immerhin: Die anderen Bürgeranträge sind eingegangen. Und dem Vorstoß zum veganen Essen wurde am 22. Juni im Jugendausschuss sogar einstimmig zugestimmt. Nun soll die Verwaltung das Gespräch mit den Schulen suchen. Unter den Fridays-Anträgen ist jener zum veganen Mensa-Essen damit der erfolgreichste.

Denn offene Türen einrennen konnten die Fridays mit den anderen Anliegen weniger. Zum Beispiel fehlt nach Einschätzung der Verwaltung der Platz in der Stadt, um für jedes Baby einen Baum zu pflanzen. In diesem und den folgenden Jahren habe man erst einmal genug damit zu tun, das „1000-Bäume-Programm“ der Großen Koalition aus SPD und CDU umzusetzen – und genug Standorte für diese Bäume zu finden. Laut Stadt zeichnet sich bereits jetzt ab, dass es erforderlich sein wird, die Bäume teilweise auf privaten Flächen wachsen zu lassen, da im öffentlichen Raum wohl nicht genug geeignete Standorte zur Verfügung stehen.

Weniger „Hitzeinseln“ in Gelsenkirchen: Arbeitsgruppe soll sich kümmern

Jan Bretinger (19) ist Mitbegründer der „Fridays for Future“-Ortsgruppe in Gelsenkirchen. Für ihn mahlen die Mühlen der Verwaltung mit Blick auf die Klimakrise weiterhin viel zu langsam.
Jan Bretinger (19) ist Mitbegründer der „Fridays for Future“-Ortsgruppe in Gelsenkirchen. Für ihn mahlen die Mühlen der Verwaltung mit Blick auf die Klimakrise weiterhin viel zu langsam. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Was die Vermeidung von sogenannten „Hitzeinseln“ am Heinrich-König- sowie Grilloplatz angeht: Hiermit hat sich der Betriebsausschuss der Gelsendienste befasst. Statt die ökologische Aufwertung jener oder anderer Flächen auf den Weg zu bringen, wurde als Ergebnis der Beratung jedoch lediglich eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe vorgeschlagen, die erst einmal überprüfen soll, welche „Vorschläge unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten realisierbar sind“. Ergebnisse gibt es laut Stadtsprecher Schulmann noch nicht. Fokussieren will sich die AG vor allem auf den St.-Urbanus-Kirchplatz in Buer.

Zum Thema:Was der Klimanotstand in Gelsenkirchen bislang bewirkt hat

Bleibt noch die geforderte Wildblumenwiese auf der Ende 2019 fertiggestellten Rasenfläche an der umgebauten Ebertstraße – die nach Auffassung der Verwaltung keine gute Idee wäre. Die Argumente: Eventuell müssten Fördermittel zurückgezahlt werden, wenn man die Fläche wieder umgestaltet. Außerdem könnten durch die Anpflanzungen die Unterflur-Bewässerungssysteme beschädigt werden, welche den Rasen versorgen. Und zu schmal sei die Fläche obendrein.

„Fridays for Future“ Gelsenkirchen: „Die nächsten zehn Jahre sind entscheidend“

Für FFF-Aktivist Jan Bretinger das Fazit aus den Anträgen: „Der Marsch durch die Institutionen funktioniert nur bedingt.“ Das geringe Tempo der Bürokratie – das Bilden von Arbeitsgruppen, das Verfassen von Konzepten – dürfe bei dem zeitlichen Druck der Klimaerwärmung nicht lammfromm eingehalten werden. „Wie soll man mit solchen Abläufen die gegenwärtigen Herausforderungen angehen?“, fragt der 19-Jährige. „Wir hören dann zum Beispiel: Die Ungeduld sei unserer Jugend geschuldet. Dem Klima ist das aber herzlich egal. Die nächsten zehn Jahre sind nun einmal die, in denen große Entscheidungen angegangen werden müssen.“

„Die Verwaltung tut, was sie kann, aber wir sind eben auch an Gesetze gebunden“, meint hingegen Martin Schulmann. Die FFF-Aktivisten hätten nicht nur Gründe, so pessimistisch zu sein. „Auch wenn nicht auf jeder Maßnahme ‚Fridays for Future‘ draufsteht, geht doch sicher die eine oder andere Veränderung auf deren Aktivitäten zurück“, meint der Stadtsprecher. Ein Beispiel sei etwa das „1000-Bäume-Programm“ der GroKo. Bei solchen Projekten ließe sich fragen, ob die Fridays das Denken der Politik nicht doch direkt beeinflusst hätten.

Bürgeranträge kann jeder stellen

Jeder kann Anregungen an die Stadt stellen, die dann von der Stadtverwaltung bearbeitet werden müssen und von der Politik besprochen werden. Es handelt sich dabei um eine Anregung nach § 24 der Gemeindeordnung. Bei „Fridays for Future“ nutzt man diese Möglichkeit nicht nur in Gelsenkirchen, auch andere Ortsverbände machen rege von diesen Bürgeranträgen Gebrauch.

Als 2019 der Klimanotstand in Gelsenkirchen ausgerufen wurde, wurde die Ortsgruppe von „Fridays for Future“ zudem in den Klimabeirat der Stadt einbezogen. Hier können die Aktivisten – neben Politik und Verwaltung – aktiv an Klimaschutz-Maßnahmen mitwirken. Oft seien die Gespräche im Beirat ebenfalls ernüchternd, sagt FFF-Mitglied Jan Bretinger. „Viele haben das Problem und die Dramatik der Klimakrise noch nicht so richtig verstanden, das zeigt sich auch hier.“