Gelsenkirchen. Tankstellen-Mord und Säure-Attacke: Werden Masken- und Impfgegner ungehemmter? Was Gelsenkirchener im Rathaus, Imbiss oder Supermarkt erleben.
Der Tankstellen-Mord durch einen Masken-Verweigerer in Idar-Oberstein oder zuletzt die Buttersäure-Attackeauf einen Oberhausener Arzt durch einen Impfgegner sind erschütternde Extrembeispiele. Doch wie weit ist die Enthemmung in Teilen der Gesellschaft angesichts des stetig wachsenden Drucks auf Ungeimpfte und der mittlerweile eineinhalb Jahre andauernden Maskenpflicht vorangeschritten? Diese Erfahrung machen Gelsenkirchener - im Imbiss, an der Tankstelle, im Rathaus.
Die Imbissbetreiberin: „Hier wird getan, was ich sage“
„Hier ist ein Kumpel- und Malocherclub - und da hab ich die Hosen an, da wird getan, was ich sage“, sagt Michaela Stammwitz, die den Imbiss „Zum Bremsklotz“ in Beckhausen betreibt. Heißt: Wer hier die Maske nicht aufsetzen will, kassiert einen Spruch - und dann ist’s gut.
„Aber man merkt schon, dass die Leute keinen Bock mehr haben,“ sagt Stammwitz. Immer häufiger hört sie genervte Sprüche von ihren Gästen. Der eine wolle die Maske nicht aufsetzen, weil er geimpft sei, der andere, weil er behaupte, Masken und Impfungen würden sowieso nichts bringen. „Die sind alle genervt. Aber bei mir im kleinen Laden da wird sich an die Regeln gehalten!“
Die Tankstellen-Mitarbeiterin: „Die Leute sind völlig unentspannt“
Seit dem fürchterlichen Mord an einem jungen Tankstellen-Kassierer im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein traut sich Sarah Schmitz nicht mehr, ihre Kunden auf die falsch sitzende oder fehlende aufmerksam zu machen. „Zum Glück“, sagt die Mitarbeiterin der Tankstelle Lipinski, „hatten wir hier aber noch nicht richtig Stress.“ Gerade zahlreiche ältere Kunden würden inzwischen aber auch ohne Maske eintreten. „Sie versuchen das dann mit einem Scherz zu überspielen, sagen: Ich bin doch geimpft oder habe die Maske gerade mal vergessen.“
Als sich Schmitz noch traute, etwas zu sagen, da seien dann aber die meisten einsichtig gewesen, wirklich boshaft habe noch keiner reagiert. „Dennoch“, findet Schmitz, „sind die Kunden generell viel unentspannter.“ Wegen des kleinen Verkaufsbereichs müssten sie immer draußen warten, bis sie dran sind. „Das nervt die Leute zusehends, das merkt man.“
Der Bürgerservice: „Die Nerven liegen blank“
Martin Schulmann, Pressesprecher der Stadt, bekommt aus der Zulassungsstelle und dem Bürgerservice der Stadt zurückgemeldet, dass man hier zunehmend Spannung im Kontakt mit den Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchenern spürt. „Die Nerven liegen aktuell blank“, sagt er. Das liege jedoch weniger an der Maskenpflicht als an anderen Corona-Regeln, zum Beispiel der andauernden Terminpflicht für Dienstleistungen des Rathauses.
„Wer früher akzeptiert hat, dass er einen neuen Termin machen muss, wenn beispielsweise ein Passbild fehlte, zeigt deshalb jetzt vollkommenes Unverständnis“, sagt der Stadtsprecher. Die Zahlen zeigen: 2021 gab es im Bürgerservice zwei Strafanzeigen wegen Beleidigungen und 25 Hausverbote - und damit bereits mehr als im ganzen Jahr 2019, als der Bürgerservice im pandemiefreien Normalmodus lief. [Lesen Sie auch: Bürgerservice: So bekommen Gelsenkirchener schnell einen Termin]
Das Verkehrsunternehmen: „Große Akzeptanz“
Vom Maskenverweigertum spürt man bei der Bogestra offenbar nichts. „Wir haben sogar viele Fahrgäste, die immer noch FFP2-Masken tragen, obwohl das ja jetzt schon länger keine Pflicht mehr ist“, sagt Unternehmenssprecherin Sandra Bruns. Bei der Bogestra sei kein einziger Fall bekannt, bei dem ein Streit um eine fehlende Maske so eskalierte, dass die Polizei gerufen werden musste. „Wir nehmen nicht wahr, dass es häufiger zu einem renitenten Verhalten kommt.“ Dass ein Busfahrer mal darauf aufmerksam macht, dass die Maske wieder über die Nase gezogen werden soll, sei normal – in Konflikte sei dies bislang aber nicht resultiert.
Der Supermarkt: „Im Großen und Ganzen kein Theater“
Auch im Rewe-Markt der J. Feiertag GmbH in Ückendorf macht weniger die andauernde Maskenpflicht Probleme. Es war die Einkaufswagen-Pflicht, an die sich viele Kunden einfach nicht so sehr gewöhnen konnten, wie Marktleiterin Iris Jeretzki erzählt. Den Mindestabstand und die Kundenzahl über verpflichtende Einkaufswagen zu regeln, ist den Supermärkten mittlerweile selbst überlassen. In ihrem Rewe-Markt hat Jeretzki die Schilder mit der Bitte, einen Wagen zu nehmen, zwar immer noch angebracht. „Wir sehen das aber inzwischen lockerer.“ Das nehme dann auch Konfliktpotenzial für Streitereien mit Kunden heraus.
„Im Großen und Ganzen“, sagt Jeretzki, „hatten wir aber noch kein Theater.“ Bei Kunden, die ihre Maske nicht mehr aufhaben, handele es sich meist um Fälle von Vergesslichkeit. „Mit Absicht macht das hier aus meiner Sicht eigentlich keiner.“ [Lesen Sie auch:Darum sollte man das Gespräch mit Corona-Leugnern suchen]