Gelsenkirchen. Die Leiterin der Gertrud-Bäumer-Realschule in Gelsenkirchen setzt auf neue Unterrichtskonzepte und offenere Lernräume. Wie sie das angehen will.
Ein Kollegium mit 61 Lehrkräften und Sozialpädagogen – theoretisch, da davon nur 51 aktuell arbeiten können – 677 Schülerinnen und Schüler und ein denkmalgeschütztes Gebäude, das digital noch sehr viel Ausbaupotenzial hat: Die neue Leiterin der Gertrud-Bäumer-Realschule wusste, worauf sie sich einlässt.
2008 begann die Antje Bröhl hier ihr Referendariat, trat hier danach auch ihre erste Stelle an. Englisch, Biologie und Chemie sind die Fächer der Bottroperin, die ihre Klasse, die sie von Anfang an begleitet hat, als Klassenlehrerin trotz Leitungsaufgaben nicht abgeben mochte.
Begleitung der Klasse über die ganze Schulzeit zeichnet Realschule aus
Und sie erklärt auch, warum: „Das zeichnet uns als Realschule doch unter anderem aus: Das wir unsere Schüler von der fünften bis zur zehnten Klasse begleiten, in der gesamten Entwicklung.“ Die 39-Jährige hat viel vor mit ihrer Schule, will vor allem das wunderschöne alte Gebäude mit seinen riesigen Fluren, ungenutzten Nischen und Freiflächen besser nutzen. Auch für neue Unterrichtsformen.
Dazu hat sie sich auch Unterstützung geholt. „Ganzheitliche Schul- und Unterrichtsentwicklung“ hat sich das Ruhrfutur-Projekt „Klasse!Digital“ auf die Fahne geschrieben. Bröhl möchte mittelfristig das ganze Gebäude nutzen, mit einladenden Sitzecken für Gruppenarbeit, Selbstlernplätze schaffen, die Klassenräume öffnen. „Wir haben 30 Kinder in 50-Quadratmeter-Klassen, und draußen sind zig Quadratmeter ungenutzt. Ich möchte die Klassenräume öffnen, neue Lernräume schaffen“, erklärt sie ihre Pläne. Steinerne Sitzbänke im Eingangsbereich mit Polstern ausstatten, breite Fensterbänke als Stehtische einrichten, die Wiese zur Zeppelinallee einbeziehen.
Im Lockdown habe man dank Ausstattung mit IServ zwar den normalen Unterrichtsplan fortführen können über Videokonferenzen, versichert Bröhl. „Trotzdem haben wir einige Schüler verloren, auch gute Schüler, die zuhause zuviel Freiheit hatten“, räumt sie ein.
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Whiteboards und starkes WLAN sind an ihrer Schule noch immer Zukunftsmusik. Im November könnte es endlich losgehen damit, heißt es von der IT-Abteilung. Wegen der besonderen Herausforderungen durch den Denkmalschutz bei der Installation hatte die Stadt mit Schulen begonnen, an denen die Installierung einfacher ist. Und so zählt die Gertrud-Bäumer-Realschule, ähnlich wie die Berufskollegs, zu den letzten, die zeitgemäß ausgestattet werden.
Gut durchmischte Schülerschaft und hohe Anmeldezahlen
Apropos zeitgemäß: Sind Realschulen noch zeitgemäß? „Auf jeden Fall! Gesamtschulen sind gut und wichtig, aber nicht für jedes Kind geeignet. Mancher braucht kleinere Systeme, geht sonst unter. Wir haben eine sehr gut durchmischte Schülerschaft, mit Kindern von der Hauptschulempfehlung bis zur eingeschränkten Gymnasialempfehlung. Und wir haben eine sehr hohe Quote von Abschlüssen mit Qualifikation für die Oberstufen, mehr als 50 Prozent. Wir haben in zwei Klassen je Jahrgang gemeinsamen Unterricht. Die anderen beiden sind jeweils Band-Klasse oder bi-lingual. Unsere Anmeldezahlen sind sehr gut, mussten diesmal viele Plätze verlosen“, betont Bröhl.
Nur jeder Fünfte geht direkt in die Ausbildung
Bildungsinitiative mit Stiftung und Universitäten
Ruhrfutur ist eine gemeinsame Bildungsinitiative der Stiftung Mercator, dem Land NRW; dem RVR, sechs Städten inklusive Gelsenkirchen und sieben Hochschulen. Ziel ist, das Bildungssystem in der Region zu modernisieren und so umzugestalten, dass Bildungserfolg unabhängig von der Herkunft möglich ist.
Bei der Klasse!Digital geht es um Unterstützung bei der Unterrichtsentwicklung. Antje Bröhl ist auch vor ihrer Übernahme der Schulleitung bereits als Moderatorin der Bezirksregierung tätig gewesen und somit in Entwicklungsprozesse eingebunden.
Allerdings gingen heute 80 Prozent der Absolventen weiter zur Schule. Der klassische Realschulweg von der Schulbank in die Ausbildung werde nur noch wenig genutzt. „Dabei bin ich sicher, dass es kein Abitur braucht für Erfolg im Beruf. Im Handwerk und auch anderswo gibt es so viele Möglichkeiten, die kaum bekannt sind“, wirbt sie. Einer ihrer Schüler strebe jetzt eine Ausbildung bei Müller’s Mühle an: als Müller. Dass Müller ein Beruf ist, der in Gelsenkirchen ausgeübt wird, hätte sie nicht gedacht. Aktuell gebe es aber an ihrer und auch anderen Schulen verstärkt Berufsberatung: Potentialanalyse, Praktika und ein neu eingerichteter Berufsparcours sollen beim Umsteuern helfen. „Aus meiner Zehnerklasse wissen 24 bon 26 Schülerinnen und Schülern jetzt schon, wo sie nach dem Abschluss hin wollen“, versichert sie.
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