Gelsenkirchen. Welche Erkenntnisse aus dem coronabedingten Distanzunterricht können Schulen nutzen? Wir sprachen mit Schulleitern und Lehrern aus Gelsenkirchen.
Die Einschränkungen durch Corona haben Schüler, Lehrer und Eltern gleichermaßen betroffen. Binnen weniger Tage musste der Unterricht für das digitale Homeschooling umgestellt werden. Ohne Probelauf, meist ohne zu wissen, welche Mittel den Schülern daheim zur Verfügung stehen und vielfach ohne Fortbildung zu digitalen Lernformaten – es war eine Herausforderung für alle. Obwohl Gelsenkirchen bei der Digitalisierung deutlich weiter ist als die meisten anderen Kommunen in der Region. Nun, da sich die Schulen schrittweise wieder füllen, wird es Zeit, nach vorn zu schauen und zu sehen, welche Erkenntnisse aus den vergangenen Wochen für die Zukunft genutzt werden können.
Es braucht mehr, bessere und verpflichtende Fortbildung
Die Bilanz von Lehrern und Schulleitern fällt unterschiedlich aus, wobei es einen klaren Zusammenhang mit der digitalen Ausstattung der Schule gibt. An der Gesamtschule Horst etwa, wo die Digitalisierung bereits weit fortgeschritten ist, die digitale Lernplattform IServ schon vor Corona samt Fortbildungen etabliert war, ist der Blick aufs digitale Lernen und Homeschooling eher positiv. „Es hat gut funktioniert. Gerade viele stillere Schülerinnen und Schüler haben die Chance genutzt und tolle Ergebnisse geliefert,“ urteilt Lehrerin Rosa Fernandes. Mancher habe im Homeschooling gelernt, wie wichtig es ist, sich zu organisieren, strukturiert und eigenständig zu arbeiten. Damit das digitale Arbeiten gut funktionieren kann, fordert Kollegin Annika Wunderlich Finanzmittel für Systemadministratoren, bessere und verpflichtende Fortbildung, Leihgeräte für Schüler – und auch für sie Fortbildung: „Schüler können meist nur ihr Smartphone und Social Media bedienen, haben bei Standardprogrammen aber große Probleme.“
Ohne Beziehungsarbeit geht es nicht
Gorden Skorzik kann an seinem Berufskolleg Königstraße seit Juni auf IServ zurückgreifen, das habe die Kommunikation mit den Schülern deutlich verbessert. Die Whiteboards im Haus böten gute Möglichkeiten für neues Lernen, digital verfügbare Unterrichtsmaterialien, die von allen bearbeitet werden können, seien ein klarer Vorteil. Mit einer Einschränkung, die alle Befragten teilen: „Lernen auf Distanz kann Vorteile haben, wenn beide Seiten adäquaten Zugang zur Hard- und Software haben und bereit sind, Unterricht neu zu denken.“ Ohne Beziehungsarbeit aber sei erfolgreiches Lernen unmöglich. Für die Zukunft wünscht er sich vor allem „zeitnahe und konkrete Informationen seitens des Schulministeriums, mit Alternativen.“
An der Gesamtschule Ückendorf (GSÜ) hat Schulleiter Achim Elvert einen Kaltstart machen müssen. Die Iserv-Einführung war erst nach dem Lockdown geplant, erfolgte in den Osterferien und damit ohne Einführung. „Wir mussten das „Lernen auf Distanz“ auf Distanz einführen. Da gab es erhebliche Anlaufprobleme.“ Kai-Inga Sondermann, Lehrerin im 8. Jahrgang, hat beobachtet: „Einige Schüler mussten Hausaufgaben an WLAN-Hotspots wie Bushaltestellen machen.“ 120 Netbooks für Schüler gibt es an der GSÜ, bald auch Whiteboards.
Schulen brauchen verlässliche Vorgaben für Prüflinge
Aber: „Bei der Fortbildung gibt es viel Luft nach oben. Oft bleiben die sehr auf der technischen Ebene“, klagt Elvert.
Für das neue Schuljahr fordert er „verlässliche Vorgaben, bei denen sich die Verantwortlichen nicht gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Die Abschlussjahrgänge brauchen Sicherheit für die Prüfungen.“
„Mein Kollegium hat viel und auch gut improvisiert, mit Whatsapp und Zoom“, lobt Jürgen Much, Leiter der Gertrud-Bäumer-Realschule. Das musste es auch, denn die Digitalausstattung in der Schule und auch bei vielen Schülern ist nicht gerade optimal. IServ war zwar kurzfristig verfügbar, aber ohne Schulung. Mancher Schüler drohe ohne sofortiges Feedback auf der Strecke zu bleiben. „Für das nächste Schuljahr brauchen wir vor allem einen guten Plan, wie wir entstandene Lerndefizite auffangen können“, mahnt er. Wie das gehen kann, ist offen. Der Anteil von Risikopatienten im Kollegium ist hoch.
Lehrerkonferenzen per Video haben sich bewährt
„Das Lernen auf Distanz hat gut funktioniert, stieß aber nach einiger Zeit an Grenzen“, hat Frank Kaupert, Leiter des Gauß-Gymnasiums, festgestellt. „Digitales Arbeiten kommt nicht ohne persönliche Rückmeldungen aus.“ Auch seine Schüler hätten daheim sehr unterschiedliche Lernbedingungen, Schüler bräuchten dringend geeignete Endgeräte, hier müsse die Stadt ansetzen. Alle Lehrerkonferenzen als Videokonferenz abzuhalten habe sich bewährt „das kann in Teilen ein Zukunftsmodell sein.“ Auch er fordert zeitnahe, klare Vorgaben zu Hygieneschutzmaßnahmen, Klassenstärke und den Umgang mit Risikogruppen.
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Kleine Lerngruppen dank Klassenteilungen waren extrem effizient
Eine weitere gemeinsame Feststellung vieler Lehrer: Kleine Lerngruppen können sehr effektiv arbeiten, das hat sich bei der Teilung der Klassen für den Präsenzunterricht eindrucksvoll gezeigt. Kleinere Klassen sind eine sehr alte Forderung von Lehrern aller Schulformen und Systeme. Kleinere Klassen in Verbindung mit digitalen Formaten als Zukunftsmodell – darauf könnten sich die allermeisten Pädagogen und Schüler sicher einigen.
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