Gelsenkirchen-Erle. Betrüger nutzen Schock-Storys, um Senioren Wertsachen abzuluchsen. Ein Gelsenkirchener Opfer schildert die schlimmsten Stunden seines Lebens.
Telefonbetrügern ist jedes Mittel recht, um Beute zu machen. Oftmals sind es Senioren, die mit Schockanrufen gefügig gemacht werden, Bargeld und Wertgegenstände herauszugeben. Eine Masche der Betrüger: Simon K.* (Name geändert) hat genau das erlebt – für den 65-jährigen Gelsenkirchener begannen nach dem heimtückischen Anruf „die schlimmsten Stunden meines Lebens“.
Gelsenkirchener Betrugsopfer: Horrornachrichten waren wie Stromstöße im Kopf
Vier Tage ist es her, seit Simon K. glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Dass er jemals am Telefon Betrügern auf den Leim gehen würde, hätte er nie auch nur ansatzweise angenommen. „Aber ich war nicht fit“, sagt der 65-Jährige. Denn: Innerhalb kürzester Zeit haben ihn und seine Familie mehrere Schicksalsschläge ereilt, Krankheit und Tod haben tiefe seelische Wunden gerissen.
„Als dann die nächste Hiobsbotschaft kam“, schildert Simon K. den Schock, der ihn traf, „war das wie Stromstöße in meinem Kopf.“ Helfen wollte er um jeden Preis, um nicht auch noch seine Frau zu verlieren.
Auch interessant
90.000 Euro Kaution sollte Frau vor der Haft wegen fahrlässiger Tötung bewahren
Am Freitag, 6. August, gegen elf Uhr rief die angebliche Polizistin an. Das Horrorszenario: „Meine Frau hat angeblich einen Unfall verursacht, bei dem eine 32 Jahre alte Frau ums Leben gekommen ist. Bis zur Gerichtsverhandlung muss sie drei bis sechs Monate in Haft, ihr droht eine Strafe von fünf bis 15 Jahren“, gibt Simon K. den Inhalt des Gesprächs wieder. Und weiter: Gleich käme der Haftrichter hier aufs Revier, gegen eine Zahlung einer Kaution zwischen 40.000 bis 90.000 Euro könne seine Frau vorläufig freikommen.
Notrufnummer im Display gaukelt Echtheit vor
Die Täter agieren häufig aus „Callcentern“ im Ausland. Sie nutzen das sogenannte „Call-ID-Spoofing“. Dies ermöglicht die Anzeige einer frei wählbaren Telefonnummer im Display des Angerufenen mittels Internettelefonie.
Die wahre Herkunft des Anrufes wird nicht nur verschleiert, es entsteht der Eindruck, der Anruf stamme tatsächlich von der Polizei. Bei einem Anruf der echten Polizei erscheint jedoch niemals die Rufnummer 110 im Telefondisplay.
Mit geschickter Gesprächsführung bringen die Täter die Opfer dazu, ihr gesamtes Barvermögen und mitunter sogar den Inhalt von Bankschließfächern nach Hause zu holen, um es anschließend an einen vermeintlichen Polizeibeamten zu übergeben.
„Nach der Vorgeschichte erschien mir alles so real und logisch, dass zu allem Übel auch das noch passiert“, so Simon K. zu den Gedanken, die ihm zu dem Zeitpunkt durch den Kopf schossen. Zumal: Es klang so glaubhaft. „Im Hintergrund war das Weinen einer Frau und Stimmen zu hören“, erzählt der 65-Jährige weiter. Und auch als die Anruferin auf seine Frage hin sagte, dass seine Frau „gerade in psychologischer Behandlung sei und sie nicht mit mir sprechen könne“, sah er vor seinem geistigen Auge ein Polizeibüro mit seiner völlig aufgelösten Frau, hilflos, von Beamten umringt. Die Erinnerung wühlt ihn erneut auf, seine Stimme bricht des Öfteren.
Auch interessant
Bank stellt Beleihen des Hauses in Aussicht – Mitarbeiter schöpfen Verdacht
Bemerkenswert wie heimtückisch zugleich: Die angebliche Polizistin gab sich K. zufolge als „mitfühlend und hilfsbereit aus, wählte sachliche Worte und sprach akzentfrei Hochdeutsch“. Das führte dazu, dass er auf den nächsten Vorstoß der „Polizistin“, seine Frau hätte angegeben, dass zu Hause Goldbarren und -münzen sowie Bargeld und Schmuck verwahrt würden, verzweifelt danach suchte, um die Kaution aufzubringen – obwohl er nie von solchen Werten etwas gehört hatte.
Auch interessant
„Mangels Erfolg und Bargeld daheim sollte ich das Geld schnell bei der Bank besorgen“, berichtet Simon K. von der nächsten „Hilfestellung“ der Anruferin, die sich kurz darauf wieder melden wollte. Weil K. keinen Sachbearbeiter seiner Bank an den Hörer bekam, rief der Gelsenkirchener bei der Bank seiner Frau an. Die habe zunächst auch prompt Hilfe angeboten, indem sie „das Beleihen des Hauses in Aussicht stellte“, so Simon K. weiter. Ebenso schnell aber schöpften Kollegen in der Bank-Abteilung Verdacht, dass es sich um einen gemeinen Betrugsversuch handeln könnte.
„Die Sachbearbeiterin hat meine Frau auf dem Handy angerufen“, erzählt der 65-Jährige weiter. Da war die Ahnungslose gerade im Fitnessstudio. „Der Betrug flog damit auf“, sagt der Gelsenkirchener erleichtert. Dafür sei er unendlich dankbar. Für die Betrügerin empfindet Simon K. „nur noch Hass“, weil sie so perfide, eiskalt und menschenverachtend vorgingen. „Die hatten leichtes Spiel mit mir, ich habe voll in ihr Raster gepasst, auch wenn sie von unserer Familiengeschichte nichts gewusst haben.“
Auch interessant
Polizei Gelsenkirchen: Täter spielen mit der Not und den Ängsten Angehöriger
Bei der Polizei Gelsenkirchen kennen die Beamten zig solcher und anderer Betrugsversuche. „Die Täter spielen mit der Not und den Ängsten der Angehörigen“, sagt Thomas Nowaczyk, Sprecher der hiesigen Behörde. Ältere Leute, die geistig nicht mehr ganz auf der Höhe sind, seien bevorzugte Opfer dieser zumeist professionell organisierten und operierenden Banden.
Viele der Angerufenen reagierten richtig auf den Telefonterror, so der Sprecher weiter, legten auf und riefen unter 110 die Polizei an. „Trotzdem gelingt es den Tätern wie immer wieder, Menschen derart unter Druck zu setzen, dass sie den Anweisungen folgen.“ Die Empfehlung der Polizei: „Lassen Sie sich den Namen nennen, legen Sie auf, rufen Sie die Polizei an.“ Dazu niemals Unbekannten Auskünfte über Vermögensverhältnisse geben oder Unbekannten die Tür öffnen sowie Geld und Wertsachen übergeben. „Die Polizei holt niemals solche Dinge ab. Erstatten Sie daher Anzeige“, rät Nowaczyk.
- Verfolgen Sie die aktuelle Entwicklung zum Coronavirus in Gelsenkirchen in unserem Newsblog
- Lesen Sie mehr Geschichten aus Gelsenkirchen
- Oder folgen Sie der WAZ Gelsenkirchen auf Facebook