Gelsenkirchen. Verbotene Bettelei ist laut Stadt kein großes Thema in Gelsenkirchen. Händler erleben das zurzeit anders. Aber was ist überhaupt erlaubt?

Dass Gelsenkirchens Innenstädte mit sinkender Inzidenz wieder lebendiger geworden sind, gibt nicht zuletzt auch bettelnden Menschen wieder mehr Möglichkeiten, nach Geld zu fragen. Aber passiert dies nun häufiger und in aufdringlicherer Form als in der Zeit vor den Ladenschließungen? Die FDP-Fraktion teilt mit, sie habe zuletzt vermehrt von Geschäftsleuten und Besuchern der Citys gehört, dass sich diese durch „zum Teil organisierte und aggressive Bettelei“ gestört fühlen.

Händler in Buer: Gerade ältere Menschen sehen ein Problem

„Natürlich“, so der ordnungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Christoph Klug, „muss man unterscheiden zwischen den netten Obdachlosen, die freundlich um einen Euro fragen, und den lauten Bettelversuchen anderer.“ Gerade diese sei in den vergangenen Wochen vermehrt zu beobachten gewesen, „was natürlich auch das Geschäft von Kaufleuten beeinträchtigt“. Erlebt habe Klug auch, dass manch angeblicher Bettler später in teuren Fahrzeugen abgeholt wird, weshalb er vermutet, dass auch Bettel-Banden in Gelsenkirchen am Werk sind. Die Liberalen wollen die Bettelei deshalb nach der Sommerpause zum Thema im Ordnungsausschuss machen.

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„Gerade ältere Kunden haben in letzter Zeit vermehrt geäußert, dass sie von hartnäckigen Bettlern angesprochen worden sind“, sagt auch Marc Decker, Inhaber von „Droste Lederwaren“ an der Hochstraße in Buer. Ein „Nein“ werde von manch einem nicht akzeptiert. Auch Dirk Niewöhner, der mit seinen Schilderungen über aggressive Jugendliche am Heinrich-König-Platz eine Diskussion um die Sicherheit in der Altstadt auslöste, beklagt, dass es sowohl in der Nähe seines Buchladens in Buer als auch im Stadtsüden immer wieder zu „unangenehmen Situationen“ komme. Inakzeptabel sei es, wenn einem nachgelaufen oder direkt auf einen zugegangen werde. Solche – in Niewöhners Augen – „aggressive Bettelei“ müsse man mehr unterbinden.

Welche Formen von Bettelei in Gelsenkirchen verboten sind

Was genau die Stadt unter „aggressiver Bettelei“ versteht, hat sie in ihrer „ordnungsbehördlichen Verordnung“ festgehalten. Darin heißt es, wenn die bettelnde Person jemanden „anfasst, festhält, bedrängend verfolgt, hartnäckig anspricht, Tiere als Druckmittel einsetzt oder sich der angebettelten Person in den Weg stellt“, sei von „aggressiver Bettelei“ zu sprechen. [Lesen Sie auch: Gelsenkirchen will härter gegen aggressive Bettler vorgehen]

Zuletzt 2017 großes Thema

Aggressive Formen von Bettelei waren zuletzt im Jahr 2017 ein größeres Thema in Gelsenkirchen, weil immer wieder Beschwerden an die Verwaltung herangetragen worden sind. Damals führte die Stadt die nun geltende „Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ein, die u.a. das „aggressive Betteln“ definiert und verbietet.

Diese Form der Bettelei ist der Verordnung nach genauso verboten wie bandenmäßiges Betteln, Betteln unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, durch Vortäuschung von körperlicher Behinderung und Gebrechlichkeit oder auch von künstlerischer Darbietung, etwa wenn mit nicht gebrauchsfähigen Instrumenten „gespielt“ wird. Ebenso ist es verboten, in unmittelbarer Nähe von Parkautomaten oder Sammelplätzen für Einkaufswagen nach Geld zu fragen – also dort, wo naturgemäß Kleingeld aus dem Portemonnaie genommen werden muss.

Kein einziger Verstoß wegen verbotener Bettelei in den letzten zwei Jahren

Trotz dieses eingeschränkten Rahmens, in dem es überhaupt erlaubt ist, in Gelsenkirchen zu betteln, hat die Stadt nach Angaben von Stadtsprecher Martin Schulmann in den vergangenen zwei Jahren keinen einzigen Verstoß gegen bettelnde Menschen eingeleitet. Dies liege auch daran, dass die Mitarbeiter des kommunalen Ordnungsdienstes (KOD) zunächst einen Platzverweis aussprechen, falls jemand auf verbotene Weise nach Geld frage. „Dann ist die Botschaft in der Regel angekommen und wir müssen kein Ordnungsgeld verhängen.“ Wie oft es zu Platzverweisen komme, werde jedoch nicht dokumentiert.

„Auch auf organisiertes Betteln gibt es in Gelsenkirchen keinen Hinweis“, betont Schulmann. Das bestätigt auch die Polizei: „Hinweise auf organisierte Banden in Gelsenkirchen liegen nicht vor“, heißt es auf Nachfrage von Sprecherin Merle Mokwa. Gänzlich ausgeschlossen werden könnten etwaige Strukturen allerdings nicht. Im Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 31. Mai 2021 seien lediglich vier Strafverfahren nach Betrugsdelikten im Zusammenhang mit Bettelei eingeleitet worden.

Caritas-Wohnungslosenhilfe sieht kein großes Bettelei-Problem in Gelsenkirchen

Auch Bernd Miny, Leiter der Caritas-Wohnungslosenhilfe, sieht in aggressiver oder organisierter Bettelei in Gelsenkirchen „kein großes Problem“. Ein Geschäftsmann habe sich in den letzten zehn Jahren noch nie verärgert an die Wohnungslosenhilfe gewandt, die Bettelei habe in den vergangenen Jahren in Gelsenkirchen eher ab- als zugenommen.

Klar sei allerdings auch: „Bettler gehören nun einmal zum Bild einer Großstadt“ – sei es der frische Ex-Häftling ohne Perspektive, die osteuropäische alte Dame mit dem demolierten Kaffeebecher oder der Alt-Punker mit dem Schäferhund an seiner Seite. Ob dieser seinen Hund nun als Druckmittel einsetzt, also nach Definition aggressiv bettelt, oder sein Tier einfach mit sich führt: „Da scheiden sich dann am Ende wohl die Geister“, so Miny.