Gelsenkirchen. Frauen in Gelsenkirchen hat die Pandemie besonders getroffen. Viele haben die Arbeitszeit reduziert und Urlaub geopfert, um Betreuung zu sichern.

Sind die Frauen in Gelsenkirchen besonders hart im Nehmen oder haben die Männer in der Stadt sich besonders stark eingebracht beim Auffangen der im Lockdown entfallenen Kinderbetreuung? Beim Corona-Check der WAZ gaben Gelsenkirchenerinnen ihre „persönliche Belastung“ in der Pandemie auf einer Skala von 1 (gar nicht) bis 5 (sehr stark) mit 3,49 an, Männer notierten sie bei 3,34 und damit kaum geringer – revierweit war der Geschlechter-Unterschied größer. Wie überall war hier allerdings bei den unter 40-Jährigen und somit den potenziellen Familien mit jüngeren Kindern die empfundene Belastung naturgemäß deutlich höher (3,56) als bei Älteren.

Alleinerziehende besonders belastet

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Jeweils 101 beziehungsweise 102 Frauen und Männer antworteten in Gelsenkirchen auf die Frage nach der persönlichen Belastung beim Corona-Check. In direkten Gesprächen mit Gelsenkirchener Müttern von Kita- und Grundschulkindern im Nachgang zeigte sich ein großer Unterschied zwischen der Einschätzung Alleinerziehender und Frauen mit Partner. Zur Klärung baten wir die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Dagmar Eckart, um eine Einschätzung der Folgen der (nicht nur) für Familien belastenden vergangenen Monate.

Soziale und wirtschaftliche Kosten treffen Frauen wesentlich stärker

Ihre Einschätzung zur Belastung der Geschlechter fällt eindeutig aus. „Corona hat die ungleichen gesellschaftlichen Chancen der Geschlechter wie unter einem Brennglas gezeigt. Wirtschaftliche und soziale Kosten treffen Frauen wesentlich stärker“, ist sie sicher. Die Rückkehr zu altem Rollenverständnis, in dem Frauen selbstverständlich unbezahlt die Care-Arbeit, also die Fürsorge, übernehmen, habe Errungenschaften der letzten Jahrzehnte in Frage gestellt.

Bei von vielen Frauen genutzten Mini-Jobs greift nicht einmal Kurzarbeit

„Es gibt bereits aktuelle Studien, zum Beispiel vom Institut der Deutschen Wirtschaft, die belegen, dass Frauen deutlich stärker betroffen sind von den Pandemiefolgen. Der Anteil an Frauen in Berufen, die in Bereichen wie Gastronomie und Kultur arbeiten zum Beispiel ist besonders hoch. Hier gab es besonders viel Kurzarbeit. Und bei Mini-Jobs in dem Bereich, in denen Frauen ebenfalls stark überrepräsentiert sind, greift nicht einmal das Instrument der Kurzarbeit.“

Im erwerbsfähigen Alter waren im Herbst 2020 in Gelsenkirchen 82.865 Frauen und 87.737 Männer. Sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren jedoch nur 37.624 Frauen gegenüber 49.312 Männer.

Frauen nutzten Urlaubstage, um Betreuung zu sichern: Die Erholungszeit fehlt

Dagmar Eckart, Leiterin der Gleichstellungsstelle der Stadt Gelsenkirchen, sieht Frauen durch die Einschränkungen im Lockdown deutlich stärker belastet als Männer. Verschiedene Studien geben ihr Recht.
Dagmar Eckart, Leiterin der Gleichstellungsstelle der Stadt Gelsenkirchen, sieht Frauen durch die Einschränkungen im Lockdown deutlich stärker belastet als Männer. Verschiedene Studien geben ihr Recht. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Außerdem habe sich gezeigt, dass – unter anderem auch in der Stadtverwaltung – verstärkt Frauen ihre Arbeitszeit verkürzt haben, um bei der ausgefallenen Kinderbetreuung einspringen zu können. Laut Studie der Hans-Böckler-Stiftung haben 27 Prozent der Frauen, aber nur 16 Prozent der Männer ihre Arbeitszeit reduziert, um die Kinderbetreuung zu sichern. Bei Geringverdienenden ist der Unterschied noch größer.

Besonders gelte dies natürlich für Alleinerziehende mit mehreren Kindern, die Kita- und Schulschließungen gar nicht mehr auffangen konnten, ohne ihre Arbeit zu reduzieren oder aufzugeben. „Wir haben auch festgestellt, dass vor allem Frauen ihre Urlaubstage genutzt haben, um die Betreuung sicher zu stellen. Aber der Urlaub ist zur Erholung da, und diese entgangene Erholungszeit wird sich langfristig auswirken, sie fehlt“, klagt Dagmar Eckart.

Beschäftigte in sozialen Berufen sind öfter an Covid-19 erkrankt

Wirtschaftliche Situation für Frauen verbessern

In einem bundesweiten Aufruf fordern 20 Organisationen und Verbände Regierung und Arbeitgeber auf, Bedingungen für Frauen zu verbessern. Unter anderem geht es um die Abschaffung der Sonderregeln für geringfügig Beschäftigte, bessere Bezahlung von Frauenarbeit und Absicherung der Situation für Alleinerziehende und entsprechender Veränderung von Steuer-, Sozial- und Familienleistungen.

Homeoffice-Angebote als Erleichterung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei allein keine Lösung, sondern führe zur Doppelbelastung, die vor allem Frauen tragen, so der Tenor der Forderungen. Es brauche weitere Entlastungen, vor allem für Alleinerziehende.

Apropos Erholung: Auch bei den systemrelevanten Berufen wie Kassiererin im Einzelhandel, Pflegekräften, Erzieherinnen, Lehrerkräfte ist der Frauenanteil besonders hoch und die Bezahlung in den meisten Fällen eher besonders niedrig. Eckart verweist auf einen Vergleich der Hans-Böckler-Stiftung, bei dem gleiche Länge der Ausbildung, Höhe der Verantwortung, physische und körperliche Belastung sowie Schichtdienste in überwiegend mit Frauen besetzten (medizinische Fachkraft, Altenpflege) und mit Männern besetzten Berufen wie Software-Entwickler und deren Bezahlung gegenüber gestellt werden.

Im „Männerberuf“ Software-Entwickler liegt der Stundenlohn im Schnitt bei 27,68 Euro, bei einer Altenpflegerin bei 14,24 Euro. „Studien der Techniker-Krankenkasse haben auch gezeigt, dass Menschen in sozialen Berufen (Pflege, Kita) öfter an Covid-19 erkrankt sind als andere Berufstätige“, erklärt Eckart eine weitere Zusatzbelastung für Frauen.

Alleinerziehenden den Corona-Bonus vom Unterhalt abgezogen

Bei Alleinerziehenden hat sie zudem beobachtet, dass in manchen Fällen Unterhalt zahlende Partner einen Teil des Corona-Bonus für Kinder vom Unterhalt abgezogen haben. Obwohl die Betreuende die doppelte Belastung allein getragen hat. Eine weitere Befürchtung der Gleichstellungsbeauftragten ist, dass bedingt durch die Ausfälle in Pandemiezeiten die Vorurteile von Arbeitgebern zur Zuverlässigkeit von Alleinerziehenden erneut zunehmen.