Gelsenkirchen. Sich wundern im Sundern: Die geile Meile im Gelsenkirchener Ortsteil Schalke bekommt prominenten Besuch – und, ganz neu, einen bizarren Engel.
Wenn Udo Lindenberg davon singt, dass man sich im Sundern wundern kann, wie es jüngst auf einer Live-DVD zu hören ist, dann spielt er an auf einen Ort in Gelsenkirchen, auf eine Stadt, wo auch er gern und immer wieder schöne Stunden verbringt. Weil hier sein Freund, Vertrauter und langjähriger Bodyguard Jürgen seinen Lebensmittelpunkt hat – die Szenegröße von Gelsenkirchen wagt sich nun auf neues Terrain. In einem kleinen „Schildbürgerstreich“ nämlich hat der Mann eine Skulptur des Künstlers Thomas Jastram erworben. Die ist einst eigentlich für St. Pauli gedacht. Doch dort tut sich die Kultusbehörde schwer damit. Nun steht sie in Schalke. Im „Engel von Schalke“, treffen Kunst, Glaube und Erotik aufeinander. Kurzum, alles, was den neuen Standort ausmacht. Der Engel nämlich befindet sich im Garten eines Freudenhauses – und wird heute ganz standesgemäß Gottes Segen erhalten.
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Große Namen im Kleingarten
Die Geschichte beginnt mit prominentem Besuch in Gelsenkirchen, der einfach mal Mensch sein wollte – unerkannt und relativ regelmäßig: Darum sollen die Namen auch keine große Rolle spielen. Einer sei aber genannt: Panikrocker Udo Lindenberg. Große Namen des nationalen und internationalen Showbusiness, plaudert Hausherr Jürgen aus dem Nähkästchen, kämen gern und regelmäßig in die Stadt an der Emscher. Inkognito. Lange sitze man dann beieinander in den großen Gärten, die zur Anlage gehören. Ebenso stünden aber auch Besuche der Stadt auf dem Programm. Mal gehe es zu einem Event in die Arena, mal zu den Menschen. „Dorthin, wo das wirkliche Leben stattfindet.“ Auch dies gelinge vielfach unerkannt. Man glaube ja gar nicht, heißt es in lockerer Runde, was das Tragen einer Baskenmütze so ausmache. „Insbesondere Kleingärten finden die ganz spannend.“ Jetzt folgen die Dönekes: „Als Udo zum ersten Mal hier war, war sein erster Wunsch, zu den Taubenvätern zu gehen“, erinnert sich Jürgen. Davon habe es in Schalke noch etliche gegeben. „Dann ist der hier die Straße lang und in jeden Taubenschlag. Ich sage immer, es gibt hier keinen Taubenvater, der kein Erinnerungsfoto mit Udo Lindenberg hat.“ Und der zweite Wunsch? „Eine große Portion Grünkohl-Eintopf. Den hat meine damalige Gärtnerin dann für uns gekocht.“
„Der sieht doch aus wie…“
Ein anderes Mal habe sich der Sänger gewünscht, einmal das Panorama der Stadt zu sehen. Die passionierten Gästeführer entscheiden kurzerhand, das geht nur vom Nordsternturm aus. Der ist bei dem Besuch recht leer. Allein zwei Damen stehen unweit und genießen die Aussicht ebenfalls. „Die haben Udo an der Stimme erkannt.“ Jener habe sich dann in der fast privaten Atmosphäre zu erkennen gegeben. „Die Frauen haben mit Tränen in den Augen um ein Erinnerungsfoto gebeten, so überwältigt waren die.“
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Tatsächlich fällt es schwer, sich vorzustellen, dass Gelsenkirchen so beliebt sein soll. „Bei der Prominenz ist die Stadt ein Begriff“, versichert Jürgen. Sicher, es komme vor, dass Menschen sagen: „Der sieht doch aus wie…“ Dabei bleibe es aber meist. „Der nächste Satz ist dann: Dat gibt et doch nich’. Die Leute können es einfach nicht glauben, dass prominente Menschen hier in Gelsenkirchen privat unterwegs sind.“ Da blitzt es wieder auf, das kollektive angekratzte Selbstbewusstsein der Gelsenkirchener, die binnen weniger Jahrzehnte den Niedergang ihrer Stadt von einer Wirtschaftsmetropole zum Sorgenkind der Republik erleben, die den Makel des 401. Platzes bei einem großen nationalen Städte-Ranking noch immer nicht verwunden haben. Sie können kaum glauben, wie wertschätzend Fremde ihrer Stadt begegnen.
Kunst, Glaube und Erotik
Und genau deswegen will Jürgen einen Begegnungsort schaffen. Mit Kunst im Garten eines Freudenhauses. Der Hausherr ist stolz darauf, jetzt ein Werk sein Eigen zu nennen, das man auf der Reeperbahn verschmähte. „Sein Engel“ soll ihm, dem bekennenden Katholiken, fortan ein Schutzengel sein. Und weil er ohnehin ein großer Kunstsammler ist, will er in den Gärten seiner Häuser in Schalke eine halböffentliche Kunstmeile entstehen lassen. Eine, die ausdrücklich zum Betrachten einlädt. Auch Außenstehende. „Hier ist jeder willkommen.“
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Bislang hängen Jürgens Schätze nur an den Wänden seines privaten Museums im Keller, zwischen einer Art „Ahnengelarie“ leicht bekleideter Damen und den Fotos der unzähligen Prominenten, die hier gern ein und ausgehen. Auch weil der Mikrokosmos in Schalke schon vielen eine Inspirationsquelle war für ihre Musik und Bilder. Udo Lindenberg etwa zeichnet hier viel. Ein ganzer Zyklus zur körperlichen Liebe, mit leichter Hand auf einfaches Büropapier gebracht, gerahmt in einem übergroßen Rahmen, zeugt davon.
Nun also geht man gemeinsam mit dem Engel des renommierten Künstlers Thomas Jastram einen Schritt weiter. Eine Initiative rund um Udo Lindenberg und die „St. Pauli Gemeinschaft“ hatte den Engel auf der Reeperbahn aufstellen wollen. Der Kreis um Corny Littmann, einem Geschäftspartner Udo Lindenbergs und Initiatoren der „Panik City“, einem interaktiven Udo-Lindenberg-Erlebnisraum, hatte den Engel in Auftrag gegeben und die Finanzierung gestemmt. Der Künstler nimmt die Arbeit auf, vollendet sein Werk sogar – um es dann doch bei sich im Atelier behalten zu müssen. Vorerst. Auf St. Pauli ist es ja nicht gewollt.
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Zeitgleich unternehmen Kiezpfarrer Karl Schultz und Jürgen, ebenfalls gut befreundet, vor knapp einem Jahr eine gemeinsame Reise nach Amsterdam. Dabei steht natürlich auch der Besuch einer Kirche im Rotlichtviertel an. Daran ist der Geistliche, dessen Kirche die Adresse „Große Freiheit“ führt, sehr interessiert. „Vor der Kirche ist eine große goldene Brust mit einer Hand drauf in den Boden eingelassen. Und ich habe beobachtet, die Passanten berühren die Brust und gehen weiter“, erinnert sich Karl Schultz der heute aus Hamburg angereist ist, die Segnung vorzunehmen. Damit künftig auch die Berührung des „Engels von Schalke“ Glück bringt. Dabei erinnert er an eine Stelle aus dem Matthäusevangelium. Darin heißt es, an Zöllner gewandt: „Eine Dirne gelangt eher in das Himmelreich, als ihr.“
Studienreise nach Amsterdam
Kunst, Glaube und Erotik, das geht zusammen, sind die Männer nach ihrer „Studienreise“ überzeugt und entwickeln die Idee einer Kunstmeile auf der „Reeperbahn Gelsenkirchens“, wie Jürgen seine Häuser gern nennt. Gemeinsam besuchen die beiden das Atelier von Thomas Jastram. Jener hat zuvor bereits eine Skulptur für die Kirche von Karl Schultz angefertigt. Als Jürgen dort den Engel sieht, ist es um ihn geschehen. Die Geschichte dazu überzeugt ihn erst recht. „Ich kann das gar nicht leiden, wenn jemand sagt, Engel sind nicht zeitgemäß“, sagt er inbrünstig. Gleichsam reizt es ihn, den Hamburgern diesen Streich zu spielen. Das Konzept für die dortige „Panik-City“ nämlich sei, samt Namen, in seinem Garten entstanden – für Gelsenkirchen. Nur habe die hiesige Verwaltung sich für die Idee nicht erwärmen können. Eine ganz ähnliche Geschichte wie die neuerliche um die Bronze-Skulptur.
Heiliger in High-Heels
Bevor der Engel seine Reise antreten kann, wünscht sich Jürgen vom Künstler einige kleine Änderungen: Der Engel soll fortan High-Heels an hohen Stiefeln tragen. Eine Brustvergrößerung steht auch auf der Wunschliste. Thomas Jastram nimmt das gern auf. „Das ist schon gut. Das hat jetzt noch mehr Pfiff“, sagt er und ist „sehr zufrieden“ mit dem neuen Look und dem Bestimmungsort seines Engels.
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Die wohl wichtigste Veränderung aber ist ein Schriftzug auf dem linken Stiefel. „Respekt“ ist dort in Versalien zu lesen. „Respekt für diese Frauen, das vermisse ich – bei den Menschen, bei der Verwaltung, in den Medien“, sagt Jürgen. Es sei immer noch nur eine gewisse Szene, die den Umgang mit dem Milieu nicht scheue. Seine prominenten Freunde gehören auf jeden Fall zu diesem Kreise.
Und sie haben ihre Liebe zum Pott entdeckt. „Mir gefällt besonders, dass die Sprache klar ist und die Menschen ehrlich“, sagt Kiezpfarrer Karl Schultz, der sich hier sichtlich wohl fühlt. Und Jürgen zitiert einen Satz, den er immer wieder von seinen prominenten Freunden höre: „Hier in Gelsenkirchen darf auch ich einfach mal Mensch sein.“
Und was sagt der Panikrocker zu dem Engel-Projekt in Gelsenkirchen? „Sehr toll. Gratuliere. Salve. Und der highlige Geist sei mit Euch und uns“, typisch Udo.
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