Gelsenkirchen. Bei der großen Corona-Umfrage der WAZ bekommt die Stadt Gelsenkirchen für ihr Corona-Krisenmanagement die schlechtesten Noten. Was dabei auffällt

Die guten Nachrichten zuerst: Seit dem 28. April ist nach Angaben der Stadt kein Gelsenkirchener mehr an oder mit dem Coronavirus gestorben (insgesamt 385). Der Sieben-Tage-Inzidenzwert sinkt seit Tagen deutlich und ist seit vergangenem Dienstag auch in Gelsenkirchen endlich wieder unter der 100er-Marke. Gleichzeitig steigt die Zahl der Geimpften kontinuierlich und weist inzwischen mehr als 100.000 Erst- und 31.000 vollständig Geimpfte auf. Auch für die reibungslosen Abläufe im Impfzentrum in der Emscher-Lippe-Halle gibt es immer wieder viel Lob von WAZ-Lesern.

Von einer coronabedingten Überlastung der Gesundheitsversorgung in der Stadt kann keine Rede sein und auch wenn die Versorgung von Kitas und Schulen mit Schnelltests nicht auf Anhieb allumfassend geglückt ist, so scheint auch das inzwischen in Gelsenkirchen ganz gut zu funktionieren.

Schlechte Noten im im großen Corona-Check der WAZ

Und doch wurde im großen Corona-Check der WAZ das Krisenmanagement der Verwaltung in keiner Ruhrgebietsstadt schlechter bewertet als in Gelsenkirchen. Auf einer Skala von 1 (sehr gut) bis 5 (sehr schlecht) brachte es die Emscherstadt lediglich auf einen Wert von 3,69. Essen beispielsweise schnitt mit 3,25 am besten ab. Insgesamt 830 Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener nahmen an der Umfrage teil, Männer bewerteten „das Agieren der Stadt in der Krise“ mit 3,79 deutlich kritischer als Frauen mit einem Wert von 3,62.

Ebenfalls auffällig: Je älter die Befragten waren, desto schlechter bewerteten sie die Arbeit der Stadt. Bei den unter 40-Jährigen liegt der Mittelwert bei 3,60 bei den 41- bis 60-Jährigen schon bei 3,68 und bei den über 60-Jährigen bei 3,76. In allen Altersklassen fällt die Bewertung schlechter aus als im Durchschnitt der anderen Städte.

Bund und Länder werden noch schlechter bewertet

Immerhin kann man sich trotz der schlechten Noten der Bürger zum lokalen Agieren im Hans-Sachs-Haus damit trösten, dass die Strategien des Bundes (3,97) sowie des Landes (4,03) von den Gelsenkirchenern sogar noch kritischer beurteilt werden, wobei es kaum Unterschiede bei den Geschlechtern und zwischen den Städten gibt.

Doch woran liegt es nun, dass das Pandemie-Management der Stadtverwaltung vergleichsweise schlecht bewertet wird, obwohl sich die konkreten Coronaschutzmaßnahmen von Stadt zu Stadt ja kaum unterscheiden?

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Eine entscheidende Rolle für die Bewertung spielt sicherlich das Infektionsgeschehen in der Stadt. In Nordrhein-Westfalen wurden nur in Hagen und Herne mehr Menschen je 100.000 Einwohner mit dem Coronavirus infiziert als in Gelsenkirchen. Dass das Agieren dieser beiden Städte in der Pandemie ebenfalls vergleichsweise schlecht bewertet wurde – Hagen in der Westfalenpost-Umfrage sogar noch schlechter als Gelsenkirchen – überrascht daher nicht.

Ob die Stadtverwaltung indes tatsächlich einen messbaren Einfluss auf die Verbreitung des Virus in der Stadt hat und ein schlechtes Zeugnis aus diesem Grund gerechtfertigt ist, ist fraglich.

Kritik am Gelsenkirchener Gesundheitsamt

Eindeutig hingegen ist, dass es insbesondere während der zweiten Corona-Welle im Herbst massive Kritik am Gesundheitsamt gab. Obwohl zu dem Zeitpunkt bereits Bundeswehrsoldaten zur Unterstützung der längst überforderten Amtsmitarbeiter eingetroffen waren, berichten nahezu täglich verärgerte Gelsenkirchener von ihren schlechten Erfahrungen mit dem Gesundheitsamt.

Zentraler Kritikpunkt war dabei ein ums andere Mal, dass Corona-Infizierte und ihre Kontaktpersonen erst ein bis zwei Wochen nach einem positiven Test von einem Mitarbeiter des Gesundheitsamtes angerufen und über erforderliche Maßnahmen informiert wurden.

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Kritik gab es auch immer wieder an der Informationspolitik der Stadt. So beschwerte sich etwa die CDU im Oktober, dass die Verwaltung keine Informationen mehr über Corona-Fälle an Schulen bekanntgab. Krisenstabseiter Luidger Wolterhoff erklärte: „Anfangs haben wir noch sehr kleinteilig über Infektionsfälle an Schulen berichtet, heute nicht mehr. Schulen sind nicht als Infektionsherde in Erscheinung getreten, deshalb sind wir davon ausgegangen, dass bei diesem zweifelsfrei hoch emotionalen Thema außer bei der Elternschaft wenig Interesse am Infektionsgeschehen an Schulen besteht.“

Gelsenkirchen veröffentlicht im Gegensatz zu anderen Städten keine Stadtteilinzidenzen

Auch darüber hinaus veröffentlicht die Gelsenkirchener Stadtverwaltung weniger Corona-Informationen als andere Städte. Essen beispielsweise, das bei der Frage nach der Bewertung des städtischen Agierens am besten abschnitt, veröffentlichte schon sehr früh täglich aktuelle Infektionszahlen je Stadtbezirk, so dass immer einzusehen war, wo das Virus aktuell am stärksten grassiert. Später zogen auch andere Städte mit der Veröffentlichung derlei Werte nach und legten die Inzidenzen für jeden Stadtteil transparent dar.

Im Hans-Sachs-Haus tut man sich mit diesen Informationen bis heute schwer. Nur auf Nachfrage werden mit einigem Verzug Gesamtwerte je Postleitzahlbezirk bekanntgegeben. Daraus lässt sich zwar ablesen, wie viele Infektionen im jeweiligen Bezirk dem Gesundheitsamt bisher insgesamt bekannt geworden sind, nicht jedoch, wie die aktuelle Lage ist.

Die Auswertung dieser Daten sei zu aufwendig, da sie nicht automatisiert abgelesen werden könnten, lautete stets die Antwort auf die Frage nach den Stadtteilinzidenzen, und auch einer möglichen Stigmatisierung der Bewohner im jeweiligen Stadtteil wollte man keinen Vorschub leisten.

Was blieb, war aber die Kritik, die Stadt hält Informationen zurück, ist intransparent, wie WAZ-Leser immer wieder gegenüber der Redaktion äußerten.

Nicht nur Kritik, sondern auch manches Lob, gab es indes für die (ausgebliebenen) städtischen Verordnungen. Während einige Gelsenkirchener das Vorgehen der Stadt in der Pandemie für zu passiv halten, begrüßen andere gerade die Zurückhaltung der Verwaltung mit eigenen Verordnungen. So preschten Oberhausen und Duisburg etwa immer mal wieder vor und schlossen Spielplätze in den Abend- und Nachtstunden oder führten früher als es das Land vorsah, verschärfte Masken- und Testpflichten ein. Gelsenkirchen hingegen beließ es oftmals dabei, sich an die Bundes- oder Landesverordnungen zu halten.