Gelsenkirchen. Schauspielerin Gloria Iberl-Thieme zieht die Fäden im Ensemble. Sie zeigt unter anderem, wie die Puppen auf Herkules im Nordsternpark reagieren.

Dem Holz- oder Pappkopf zum Trotz: Auch Puppen haben eine Seele. „Das sind echte Persönlichkeiten“, weiß Gloria Iberl-Thieme, die Leiterin der noch jungen Puppentheater-Sparte am Musiktheater im Revier. „Es gibt Figuren, zu denen baut man eine echte Beziehung auf und mit anderen kommt man einfach nicht klar.“ Das sei ein bisschen so wie mit den Menschen auch: „Mit dem einen kann man gar nicht, mit dem anderen ganz wunderbar.“

Mit wem die Berlinerin besonders gern die Puppen tanzen lässt, das zeigt sie in der Videoreihe „Puppen lügen nicht“. In diesen Tagen ist die vierte Folge einer Serie erschienen, die in kurzen, feinen Miniaturen die enorme Bandbreite des Puppenspiels dokumentiert. Und zwar vor allem für ein erwachsenes Publikum: „Das ist uns wichtig zu zeigen, dass Puppenspiel zwar auch, aber nicht nur für Kinder gemacht wird.“

Aus der Idee für ein einziges Video entstand nun eine ganze Serie

Der Stoff für die knappen, sehr eindrücklichen, prägnanten Inszenierungen stammt aus der Feder der Spielleiterin und des Regisseurs Simon Baucks. „Eigentlich sollte es nur ein einziger Film werden“, erinnert sich Gloria Iberl-Thieme, „aber dann entstanden plötzlich immer mehr Ideen, so dass nun eine ganze Reihe wächst.“ Abrufbar sind die Produktionen auf der Homepage des Musiktheaters.

Puppen sind die Stars in den neuen Filmproduktionen des Gelsenkirchener MiR. Alle Produktionen sind auf der Homepage des Musiktheaters abrufbar.
Puppen sind die Stars in den neuen Filmproduktionen des Gelsenkirchener MiR. Alle Produktionen sind auf der Homepage des Musiktheaters abrufbar. © Musiktheater im Revier

Die künstlerische Leiterin ist gleichermaßen ausgebildete Schauspielerin und Puppenspielerin. Sie studierte an der Berliner Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst, Engagements führten sie unter anderem ans Nationaltheater Weimar, zu den Bad Hersfelder Festspielen, an die Theater Halle, Münster und Magdeburg. Seit der Spielzeit 2019/20 ist sie festes Ensemblemitglied in Gelsenkirchen.

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Die Ausbildung zur Schauspielerin und Puppenspielerin kommt Gloria Iberl-Thieme am MiR besonders zu Gute, und das demonstriert sie auch großartig in einer Doppelrolle im ersten, gut zweiminütigen Video „Selbstlos wie eine Marionette“. Sie schlüpft in die Figur einer Opernsängerin in der Garderobe, kurz vor dem Auftritt. Die Maskenbildnerin, eine kleine Handpuppe, entpuppt sich als Alter Ego, als innere Stimme, mit der sie Selbstgespräche führt über ihre Zweifel, ihre Unsicherheiten, ihr Lampenfieber.

Die Videos dokumentieren die Bandbreite von Puppen- und Schauspielkunst

Mit dem zweiten Video geht’s raus in die Stadt. Das Stück „Herkules“ von Simon Baucks spielt im Nordsternpark gleich zu Füßen der riesigen Lüpertz-Figur. Auf der Wiese richtet die Puppe, gespielt von Ensemblemitglied Daniel Jeroma und Gloria Iberl-Thieme, den Blick nach oben gen Halbgott und staunt: „Welch‘ prächtige Erscheinung offenbart sich meinen müden Augen!“ Ein vielschichtiger Film, auch über religiöse Gefühle, über Anerkennung und Respekt.

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Die Anmutung der Videos wechselt zwischen leisem Humor und melancholischer Tiefgründelei. So auch Film 3 über den singenden Fisch „Don Aalvaro“, eine sogenannte Vierfüßler-Puppe, die nicht perfekt gebaut ist, aber doch (dank der Stimme des Tenors Timothy Richards) überaus perfekt singen kann. „Dieser Fisch ist mir besonders ans Herz gewachsen“, erzählt Gloria Iberl-Thieme, „weil er aus meiner eigenen Werkstatt stammt.“

Das steckt hinter der Puppenspielsparte am MiR

Die Puppenspielsparte am Musiktheater im Revier wurde in der Spielzeit 2019/20 ins Leben gerufen. Heute hat Gloria Iberl-Thieme die künstlerische Leitung, Daniel Jeroma und Merten Schroedter ergänzen das feste Ensemble.

Marharyta Pshenitsyna und Seth Tietze vom Studiengang „Zeitgenössische Puppenspielkunst“ Berlin spielen ein Jahr lang mit.

Die neue Sparte am MiR experimentiert vor allem mit dem Zusammenspiel von Oper, Tanz und Puppenspiel. Die erste Produktion dieses Konzepts dokumentierte erfolgreich die Oper „Frankenstein“ im September 2019.

„Das Manifest der Puppenheit“ im aktuellen Video, gedreht im Hans-Sachs-Haus, spielt gekonnt mit der Sprache von bürokratischen Vorlagen, es treten Puppen und das gesamte Ensemble gemeinsam auf den Plan. „Dafür habe ich tatsächlich zahlreiche Manifeste studiert, um den richtigen Ton zu treffen“, sagt Iberl-Thieme.

Ensemble hofft darauf, die nächste Spielzeit komplett vor Publikum spielen zu können

Die Fäden ziehen im Musiktheater drei feste Mitglieder und zwei Studentinnen, derzeit wegen der Corona-Einschränkungen nicht vor Publikum. Für die Zukunft wünscht sich die künstlerische Leiterin vor allem eines: „Dass wir die nächste Spielzeit einfach komplett durchspielen können! Wir haben so viele schöne Pläne, die wir jetzt endlich realisieren wollen.“ Damit die Puppen auch im Musiktheater endlich wieder tanzen können – für Kinder und für Erwachsene.