Gelsenkirchen. Über Gebietsbeiräte können Gelsenkirchener Entwicklungen in ihren Quartieren mitentscheiden. Die AfD hält sie für überflüssig. Ein Streitthema.

In Rotthausen wird in diesen Tagen erstmals der Gebietsbeirat gewählt - ein Gremium aus Vertretern der Nachbarschaft, Politik und Wirtschaft, das den wenigsten Gelsenkirchenern ein Begriff sein wird. Dabei dürfen jene Beiräte über fünfstellige Fördergelder bestimmen und so entscheiden, welche Projekte aus der Bevölkerung in Gelsenkirchens Stadterneuerungsgebieten umgesetzt werden. An den zweijährig stattfindenden Beiratswahlen in anderen Quartieren beteiligen sich meist weniger als ein Prozent der Anwohner. Verliert das Gremium dadurch seine Berechtigung oder ist es bedeutsam für die Bürgerbeteiligung?

AfD Gelsenkirchen hält Gebietsbeiräte für überflüssig

Die Gelsenkirchener AfD jedenfalls wittert überflüssige Strukturen. Die hiesige Ratsfraktion hat zuletzt mit ihrer scharfen Kritik an den Gebietsbeiräten auf sich aufmerksam gemacht und spricht von einer „institutionalisierten Interessenvertretung ohne Legitimation“, die einen „Schattenhaushalt“ hütet.

Der erste Gebietsbeirat in Gelsenkirchen entstand, als Schalke 2008 zum Stadterneuerungsgebiet wurde. Im dortigen Quartier beteiligten sich stets unter 60 Menschen an den Wahlen, bei über 16.000 Wahlberechtigten. 2018 waren es 42, im Jahr 2014 sogar nur 37 Bürgerinnen und Bürger, die ihre Stimme abgaben – bei überhaupt nur zwölf gewählten Mitgliedern aus der Bürgerschaft.

Gebietsbeirat bestimmt über Gelder aus dem „Quartierfonds“

Die zentrale Aufgabe des Gebietsbeirates ist es, über Gelder aus dem sogenannten „Quartierfonds“ zu entscheiden. Der Fonds ist ausgestattet mit Fördergeldern der EU, des Bundes sowie des Landes. Mit ihm werden Projekte von Einzelpersonen, Gewerbetreibenden, Vereinen oder Einrichtungen finanziert, die sich für den Stadtteil engagieren. Ob ein beantragtes Projekt förderfähig ist, überprüfen zunächst die Stadtteilbüros.

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In der letzten Wahlperiode (2019-2020) gab der Gebietsbeirat in Schalke grünes Licht für 33 Anträge, die Fördersumme: 71.151 Euro. Häufig profitierte in der Vergangenheit der Jugendtreff Lalok Libre, er erhielt mal Bierzeltgarnituren, mal ein Waffeleisen. Auch Anträge von Schulen wurden genehmigt, etwa für Spielekisten oder Stehtische. Zusätzlich wurden Projekte wie das integrative Awo-Musical „Peter Pan“, ein interkulturelles Nachbarschaftscafé oder das Nähprojekt „Mode als Kunst“ im Schalker Gymnasium realisiert. Meist trifft sich der Gebietsbeirat drei bis vier mal im Jahr, um die Entscheidungen zu treffen.

„Den wenigen Menschen, die sich beteiligen wollen, ein Mitspracherecht geben“

Vier Gebietsbeiräte gibt es in Gelsenkirchen, für die Quartiere Bochumer Straße, bald für Rotthausen, für Schalke und Hassel-Westerholt-Bertlicht. Letzterer fällt dabei aus der Reihe - ein interkommunaler Beirat für Gelsenkirchen und Herten. Hier nutzen zuletzt zumindest 300 Wähler (von zirka 28.000 Berechtigten) ihre Chance, um die bürgerschaftlichen Vertreter ihrer Stadtteile mitzubestimmen.

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Dirk Ruß vom Stadtteilbüro Hassel-Westerholt-Bertlich bezeichnet diese Beteiligung bereits als „Erfolg“. Es gehe beim Gebietsbeirat weniger darum, ein repräsentatives Bild der Bevölkerung abzubilden, sondern den wenigen Menschen, die sich aktiv an der Entwicklung ihres Stadtteils beteiligen wollen, mehr Mitspracherecht zu geben. „Das ist mal der Lehrer, mal die Hausfrau von nebenan“, sagt Ruß, „einfach Menschen, die aktiv in ihrer Nachbarschaft sein wollen.“

AfD-Co-Fraktionschefin Enxhi Seli-Zacharias findet dagegen, dass durch die geringe Wahlbeteiligung bereits der Grundsatz der Gebietsbeiräte, die aktive Mitwirkung bei der Stadterneuerung, verletzt wird. „Die Wahlbeteiligung ist so unterirdisch, dass man sagen muss: Die Gebietsbeiräte sind gescheitert, sie haben keine Verankerung im Stadtgebiet.“ Seli-Zacharias schlägt vor, sich von den Beiräten zu verabschieden und das Geld aus den Quartierfonds für Themenabende freizugeben, zu denen die Gelsenkirchener Bevölkerung breit eingeladen wird. Dort könne dann direkt über die Umsetzung bestimmter Projekte abgestimmt werden.

Grüne: AfD-Kritik an Gebietsbeiräten zeigt nur Eigeninteressen

Peter Tertocha, selbst Mitglied des Gebietsbeirats in Hassel und Co-Fraktionschef der Grünen, hält den Grundgedanken der Gebietsbeiräte für „absolut richtig“, glaubt aber auch, dass die Stadt „noch viel mehr die Werbetrommel für sie rühren müsste, um sie bekannter zu machen und die Wahlbeteiligung zu erhöhen“.

Zugleich wirft Tertocha der AfD vor, sich auch deswegen so massiv gegen die Gebietsbeiräte auszusprechen, weil politische Vertreter der rechten Partei kaum Chancen hätten, in das Gremium gewählt zu werden. „Es geht also um Eigeninteressen“.

Zur Wahl in Rotthausen

Der neue Gebietsrat Rotthausen kann bis zum 8. Juni von allen Rotthausern ab 16 Jahren gewählt werden. Im Stadtteilbüro Rotthausen an der Steeler Straße 71 kann jeweils dienstags von 14 bis 17 Uhr und donnerstags von 9 bis 13 und von 15 bis 18 Uhr gewählt werden sowie am Samstag, 29. Mai, von 10 bis 15 Uhr.

Aus insgesamt 21 Bewerbern gilt es, sieben stimmberechtigte sowie sechs stellvertretende Mitglieder zu ermitteln. Die Kandidaten haben sich in den Themenfeldern Soziales, Eigentümerin/Eigentümer, lokale Ökonomie und Bewohnerschaft aufstellen lassen. Jeder Wähler hat vier Stimmen – je eine Stimme pro Themenfeld.

Neben den gewählten Bürgervertretern werden die Gebietsbeiräte nämlich immer auch mit Vertretern aus dem Stadtrat und den Bezirksvertretungen besetzt und durch diese gewählt. Im Gebietsbeirat Rotthausen sitzen so künftig etwa drei Mitglieder des Stadtrats und der Bezirksvertretung Süd. Unrealistisch ist es dabei in der Tat, dass sich die Fraktionen im Stadtrat mehrheitlich für ein AfD-Mandatsträger aussprechen - aktuell sind es vor allem CDU-, SPD- und Grünen-Politiker, die in den Beiräten sitzen.